ß YALE MEDICAL LIBRARY HISTORICAL LIBRARY COLLECTION OF 6tUA^O C\ t?JLtM± Pathologische Untersuch u 11 gen von Dr. HENXiE, l'roscctur und Privatdocentcn in Berlin. Pt-wyx,cttjta6. BERLIN, Verlag von August H i r s c hw n I d. 18 40. Digitized by the Internet Archive in 2012 with funding from Open Knowledge Commons and Yale University, Cushing/Whitney Medical Library http://www.archive.org/details/pathologischeuntOOhenl o r r c d c. ich übergebe meinen Fachgenossen einen Band, wel- cher wenig neue Thatsachen und viel Reflexion ent- hält. In unsrer Zeit, welche sich mit Stolz eine em- pirische nennt, bedarf dies vielleicht einer Entschuldi- gung. Was ich zu meiner Rechtfertigung zu sagen wüsste, habe ich am Schlüsse der ersten Abhandlung ausgesprochen. Ich konnte mich nicht enthalten, über den Zusam- menhang von Erscheinungen nachzudenken, die nicht nur täglich uns begegnen, sondern auch uns zum thä- tigen Einschreiten auffordern. Wenn ich dabei zu An- sichten kam, die von den allgemein aufgenommenen ab weichen, so war dies ein Grund mehr zur Mittheilung derselben. Der Gegenstand ist es werth, von allen Seiten beleuchtet zu werden und ich bin mir bewusst, ihn ernsthaft genug behandelt zu haben, um eine Wider- legung zu verdienen, wenn man mir nicht beistim- men kann. IV Eine Bitte habe ich noch, dass der Leser die einzelnen Aufsätze als ein zusammenhängendes Ganze betrachten und mit dem Anfang anfangen möge. Dem Kundigen wird es nicht entgehn, dass es keiner bedeu- tenden Zuthaten bedurft hätte, um aus denselben Stoffen ein System der allgemeinen Pathologie zu construiren. Die Form, welche ich gewählt habe, machte hier und da Abschweifungen und Wiederholungen nöthig: mir schien indess der analytische Weg zur Entwicklung des Gegenstandes geeigneter, und ich hielt es in meinein Interesse und im Interesse der Sache für gerathen, die einzelnen Materialien einer sorgfältigem Prüfung und der Beurtheilung Erfahrner zu unterwerfen, ehe ich sie zum Gebäude zusammenfügte. Die in der ersten Abhandlung erwähnten Untersu- chungen von Bassi und Aud oui n über die Muscard ine haben schon weitere Früchte getragen und in der kur- zen Zeit, seitdem jene Bogen gedruckt sind, hat sich die Zahl niederer pflanzlicher und thierischer Parasiten, welche als Contagien auftreten können, schon um einige vermehrt. Ehrenberg zeigte der hiesigen Gesellschaft naturforschender Freunde eine Vegetation, die auf Fi- schen wuchert und eine Krankheit derselben erzeugt. Ich fand an Trifolien, die ich in Gläsern in meiner Stube aufbewahrte, Vorticellen, welche zuerst auf tod- ten Exemplaren sich entwickelten, dann aber auch tue lebenden ergriffen. Am häufigsten wuchsen sie zwi- schen den Zehen hervor; sie umhüllten dieselben in Massen, die dem blossen Auge das Anschn eines grauen Schleims gewährten, und sie vermehrten sich auf Ko- stcn der Substanz des lebenden Tliiers, denn bald waren die Zebcn bis auf die Knocben von der Vege- tation abgezehrt und die einzelnen Phalangen fielen ab. Sehr leicht entstanden die Infusorien in Wunden, de- nen sie ein Anschn gaben, wie wenn Brand die Stelle ergriffen hätte. Dieses Factum ist um so in- teressanter, weil auch sehr häufig Vorticellcn in dem Wasser vorkamen, ja selbst auf den Kiemen der Thiere festsassen, ohne weder örtlich noch im Allgemeinen einen nachtheiligen Einfluss auf die Trifolien zu äus- sern, und weil es also beweist, dass ausser den para- sitisch lebenden Wesen noch andre Momente nöthig sind, vielleicht längeres Fasten oder Mangel an fri- schem Wasser, damit die Parasiten die organische Substanz des Thieres, auf welchem sie leben, gleich- sam überwinden und sich aneignen können. Ganz ähnliche Beobachtungen hatte gleichzei- tig Dr. Hannover in Kopenhagen an einer andern Tritonenart gemacht; seine Abhandlung erscheint im vierten Heft 1839 von Müller's Archiv. Dem äussern Ansehn nach verhielten seine kranken Tri- folien sich, wie die meinigen, die Vegetation auf jenen aber bestand nicht aus Infusorien, sondern aus Schimmel, wie sich selbst an den in Weingeist auf- bewahrten Exemplaren, die Hannover mir zu zeigen die Güte hatte, deutlich erkennen Hess. Hannover hat mit dieser parasitischen Pflanze aueh Inocula- tionsversuche angestellt, welche über die contagiöse Natur derselben keinen Zweifel lassen. Er fand, dass die kranken Trifolien oft ihre äussere Haut sammt den VI Pilzen abstreifen und clanaeh genesen, dass in andern Fällen aber die Pflanze auch tiefer in der Substanz der Cutis Wurzel schlägt. Auch dieser Parasit zeigte sich ohne Impfung (miasmatisch) auf verletzten Stel- len, namentlich auf dem Stumpfe des Schwanzes, wenn dieser abgeschnitten worden war, und es ist von be- sonderm Interesse , dass die Thiere starben , sobald vom Schwanzende aus die Vegetation den After er- reicht hatte. Wahrscheinlich setzte sie sich von die- ser Oelfnung aus nach innen fort und führte dadurch den Tod herbei. Berlin, den 30. August, 1839. Inhalt. Seite Von den Miasmen und Contagien und von den miasmatisch - contagiösen Krankheiten 1 Ueber Nervensympathien 83 Ueber Verlauf und Periodicilät der Krankheit 166 Ueber das Fieber , 206 Von den Miasmen und Contagien und von den miasmalisch - contagiösen Krankheiten. HiS ereignet sich zuweilen, dass plötzlich in einem grössern oder kleinern Landstriche eine grosse Zahl von Individuen zu gleicher Zeit oder fast gleichzeitig auf dieselbe Weise erkran- ken. Solche Krankheiten heissen epidemische oder, wenn ihre Verbreitung sehr ausgedehnt ist, pandemische. Man sieht ferner, dass in einem gewissen Landstriche die daselbst lebenden Individuen nach einander auf dieselbe Weise erkranken, dass Personen, die, vorher gesund, sich in solche Landstriche begeben, von der einheimischen Krankheit ergrillen werden. Solche Krankheiten nennt man endemische. Epidemische und endemische Krankheiten sind also dieje- nigen, die gleichzeitig eine Menge Individuen auf dieselbe Weise afficiren, und der Unterschied ist nur der, dass bei den epide- mischen die Krankheitsursachen das Individuum aufsuchen, bei den endemischen die Krankheitsursachen, örtlich gebunden, von dem Individuum aufgesucht werden. Da Epidemien und Endemien die verschiedenartigsten In- dividuen ergreifen, ohne dass eine krankhafte Prädisposition vorausgesetzt würde, und da eine grosse Zahl zugleich und auf dieselbe Weise ergriffen wird, da selbst epidemische Krankhei- ten nicht auf eine Gattung beschränkt bleiben, sondern sehr häufig Epidemien und Epizootien gleichzeitig herrschen: so müs- sen die Ursachen derselben voa der Art sein, dass sie in wei- Henle, path. Unters. \ teil Slrecken zugleich, in gewissen Strecken beständig wirken, und dass es schwer ist, sich dem Einfluss derselben zu entziehn. Sieht man ab von gewissen Gewohnheilen der Lebensweise, der Kleidung u. s. f., die wohl gewissen Völkerschaften und Regionen eigenthümliche Krankheitsformen bedingen können, 60 kann man demnach den Grund epidemischer und endemi- scher Krankheiten nur in den Nahrungsmitteln, in klimatischen Verhältnissen und in Einwirkungen der Atmosphäre suchen. Auch die klimatischen Verhältnisse wirken, so viel man mit Sicherheit weiss, nur durch die Conslitution der Atmosphäre. Diese bleibt also allein anzuklagen in allen Fällen, wo in den Nahrungsmitteln und Getränken, deren Beschaffenheit leichter zu untersuchen ist, die Krankheitsursache nicht entdeckt wer- den kann. Die Veränderungen der Atmosphäre, wodurch sie als äus- sere Schädlichkeit wirken kann, sind entweder physiealische oder chemische. Die physicalischen sind Veränderungen der Strömung, fer- ner der Spannung und Temperatur, die sich durch Barometer- und Thermometerstand ausdrücken lassen und der Electricität. Wir wollen dazu noch den hygrometrischen Zustaud der At- mosphäre rechnen. Die nahe Beziehung, in welcher diese Ver- hältnisse zur Gesundheit der Menschen und Thiere stehn, ist durch tausendfältige Erfahrungen festgestellt. Man kennt die Wirkung hoher Wärme - und Kältegrade und rascher Abwech- selung beider; man kennt die Zufälle, Krankheiten oder Exa- cerbationen von Krankheiten, welche unter gewissen atmosphä- rischen Bedingungen, bei hohem Barometerstand u. dgl. , Men- schen von krankhafter Anlage befallen. Oft aber scheint die Heftigkeit und Vcrderblichkeit epidemischer und endemischer Krankheitsfälle zu der Veränderung der LuftbeschafTenheit in gar keinem Verhältnisse zu stehn, oft dauern sie bei allem Wech- sel des Thermo- und Barometerstandes fort, oft zeigen sie sich ganz ähnlich in den verschiedensten Klimalen. Kommen dazu noch die Wanderungen, welche manche Epidemien, und also auch die Ursachen derselben, innerhalb bestimmter Grenzen un- ternehmen, erwägt man endlich die hier und da erprobte gün- stige Wirkung chemischer Agcnticn in Räucherungen und Dün- sten gegen die Krankheitsursache, so scheinen die physicalischen 3 Veränderungen der Atmosphäre zur Erklärung nicht ausreichend, und die Annahme einer beigemischten, die Luft vergiftenden Malerie, die sich transportiren, abscheiden, zerstören lässt, scheint unvermeidlich. So entstand das Miasma, d. h. das Verunreinigende, als ein Begriff, und wenig mehr als ein Begriff ist es bis auf unsere Tage geblieben, denn noch hat es sich durch kein Hiilfs- mittel unsern Sinnen wahrnehmbar darstellen lassen *), noch weiss man nicht, in welches der Naturreiche, ja ob es über- haupt in eins derselben gehört, und man dürfte eben von die- sem Wesen nichts weiter aussagen, ohne die empirische Basis gänzlich aufzugeben, wenn es nicht in gewissen Eigenschaften und Wirkungen übereinkäme, und dadurch ßich identisch zeigte mit andern krankheiterzeugenden Potenzen, die allerdings an palpable Stoffe gebunden, der sinnlichen Betrachtung zugäng- lich, zum Theil auch schon sinnlich nachgewiesen sind, ich meine die Contagien. Unter der Zahl der Krankheiten, die durch Contagion sich fortpflanzen, kennen wir mehrere, die auch, ohne nachweis- bares Contagium, epidemisch sich entwickeln, Krankheiten, die also zugleich miasmalisch und contagiös sind, und von denen man sagt, dass sie miasmalisch entständen und im weitern Ver- laufe contagiös würden. Ohne vorerst die Erfahrungen, auf welche diese Ansicht sich stützt, einer Kritik zu unterwerfen, will ich von diesem Gesichtspunkte aus die endemischen und epidemischen Krankheiten in drei Gruppen sondern. Die erste bilden diejenigen, welche allein miasmatisch und, soviel man weiss, nie contagiös 6ind. Ich rechne dahin nur das WechscI- fieber. Zur zweiten Gruppe gehören die Krankheiten, welche miasmatisch auftreten, aber ollenbar auch durch Contagium sich ausbreiten, ich werde sie die miasmalisch -contagiösen nennen. Solche sind die contagiösen Exantheme, Pocken, Masern, Rö- *) Man darf mit der Luftvcrderbniss durch Miasmen nicht zusam- menwerfen die Verderbniss der Luft durch Entziehung ihrer athemba- ren Bestandtheile. Eingesperrte Luft, in welcher viele Organismen geathmet, und den Sauerstoff vermindert haben, kohlensäurehaltige Luft der Cloaken und Brunnen ist nicht miasmatisch, und erzeugt nicht miasmatische Krankheiten. 1 thelo, Scharlach, ferner der Typhus, gewisse Formen des Schnu pfens und Calarrhs, namentlich die Influenza, die Ruhr, Cho- lera, Pest, eine Art des Puerperalfiebers. Alle diese Krankhei- ten zeichnen sich aus durch ihren genau typischen Verlauf, der, wenn die Krankheit einmal ausgebrochen ist, durch kein Mittel weder wesentlich beschleunigt, noch verlangsamt werden kann, es sei denn, dass durch gänzliche Umstimmung der Lebenskräfte der Entwickelung der Krankheit überhaupt Einhalt gethan werde. Ferner durch eine eigenthümliche Verbindung von Fieber und Hautausschlag *) entweder auf äussern oder innern Häuten. Da- von scheint nur die Pest eine Ausnahme zu machen, da man weder die Bubonen, noch auch die Carbunkeln oder Petechial- flecken für Exanthem ansehn kann, und nach Bulard's**) neuern zahlreichen Beobachtungen auch unter den innern pa- thologischen Veränderungen keine constant ist, als die Entar- tung der Lymphdrüsen. Ich ziehe ferner hierher die egyp- tischc Augenentzündung, die Ophthalmia neonnalorum und den Hospitalbrand als mehr örtlich beschränkte Formen. Von den Epizootien will ich nur die am besten gekannten, die Rinder- pest, Schaafpocken, den Milzbrand und Zungenkrebs (Rank- korn) erwähnen. Vielleicht könnte ich noch einige andere Krankheitsformen zufügen, vielleicht möchte selbst an den genannten hier der conta- giöse, dort der miasmatische Ursprung bezweifelt werden. Indess kömmt es, zum Behufe eines allgemeinen Systems, nicht auf die grösste Vollständigkeit und auch nicht darauf an, dass Eigenschaf- ten, die an den Repräsentanten der Gruppe festgestellt sind, auch bei jeder Species nachgewiesen wären. Ich folge dabei nur dem Beispiel des Systematikers in der Naturgeschichte, der, wenn er sein System nach typischen und wohlerforschtcu Formen *) In einer Abhandlung über Schleim- und Eiterbildung (Bcrl. 4838, u. Hufeland's Journ. 1838. Mai) habe ich die Identität der Calarrhe mit den Exanthemen, und heider mit dem Entzündungsjiro- cess nachgewiesen. Den dort angeführten Thatsachen habe ich noch hinzuzufügen, dass hei der Influenza tl iiser ein papulöses, seltner auch pustulöses Exanthem der Schleimhaut des Schlundes und Gau- mens gefunden hat. Allg. med. Ztg. 1S37. No. 22. **) Ca sp er 's Wochenschr. 1838. No. 42. 5 consfruirt hat, es der Zeit überlässt, die weniger gekannten und neu entdeckten Gattungen an der geeigneten Stelle einzureiben. Die gastrischen, catarrhalischen und rheumatischen, soge- nannten remittirenden Fieber habe ich von beiden Gruppen aus- geschlossen, weil 6ie vielleicht einen Uebergang zwischen beiden bilden. Denn einerseits entwickeln sich remittirende Fieber, wie es scheint, unmittelbar und selbst in demselben Indivi- duum aus den intermittirenden, und würden deshalb den rein miasmatischen Krankheiten zuzuzählen sein, wie denn in den meisten Fällen, auch wo sie in verheerenden Epidemien auf- treten, kein Contagium nachgewiesen wird. Auf der andern Seite aber stehn die gastrischen Fieber mit dem gelben Fieber, und selbst dem Typhus, die catarrhalischen mit der Influenza, also mit contagiösen Formen, in so naher Beziehung, dass die Grenze schwer festzusetzen sein möchte. Wenn also hier nicht unter demselben Namen wesentlich verschiedene Krankheitspro- cesse zusammengefasst sind, so würden die remittirenden Fie- ber gerade den Beweis liefern, dass eine Krankheit miasma- tisch ent6tehn und im weitern Verlauf ihrer Enlwickelung Con- tagium bilden könne. Der Standpunkt, von dem aus diese An- sicht zu beurtheilcn ist, kann sich aber erst aus dem Begriffe ergeben, den wir mit dem Miasma verbinden werden, weshalb ich von den remittirenden Fiebern für's erste ganz abstrahire. In die dritte Gruppe endlich stelleich diejenigen Krankhei- ten, die nur durch Conlagium entstehn, die man wenigstens heut zu Tage niemals miasmatisch sich entwickeln sieht. Solche sind die Syphilis, Krätze mit ihren mannichfaltigen Varietäten, und einige andere chronische Hautausschläge, wahrscheinlich auch der Rotz und Wurm der Pferde, und die bösartige Klauenseuche der Schafe. Auch die Hydrophobie muss ich hieher ziehn, da sie nur bei Arten des Hundegeschlechts 6elbstständig, bei allen andern Thieren nur durch Conlagion entsteht, und auch bei den Hunden, wenn sie spontan auftritt, doch nicht von eiuetn Miasma erzeugt sein kann, denn sie kömmt zu jeder Jahreszeit und immer nur in einzelnen Individuen vor, und wird schein- bar epidemisch nur durch Conlagion. Ob die schwarze Blatter unter den contagiösen Krankheilen eine Stelle finden könne, ist zweifelhaft. Sie ist Folge einer Vergiftung durch Säfte eines Thicrcs, welches an Milzbrand, also an einer ganz andern Krank- 6 Iicit, verstorben ist, und das sogenannte Contagium derselben gehört also in die Reihe der thierischen Gifte (wie sich deren oft, z. B. nach Peritonitis, in Leichen finden), so lange nicht erwiesen ist, dass die schwarze Blatter selbst wieder Contagium erzeugt. Mandt *) erhielt durch Impfung derselben von Men- schen auf Thiere nur oberflächliche Eiterung. Da ich mir nun die Aufgabe gestellt habe, Aufschlüsse über die Natur der Miasmen durch Erforschung der in gleicher Weise wirkenden Contagien zu suchen , so kann unter den erwähnten drei Gruppen eigentlich nur die zweite oder die der miasmatisch- contagiösen Krankheiten benützt werden. Die rein contagiösen werden indess ebenfalls dienen, um die Gesetze der Contagion und das Wesen derselben zu erläutern. Dagegen lässt sich über das Miasma der bloss -miasmatischen Fieber auch auf diesem Wege nichts erfahren, und es bleibt dasselbe rein hypothetisch. Auch bei den miasmatisch -contagiösen Krankheiten ist das Miasma nur per exclusionem gefunden worden, d. h. es wird da angenommen, wo sich kein Contagium nachweisen lässt, und seine Eigenschaften sind daher nur negative. Es muss also die Untersuchung der Krankheitsursache der mias- matisch-contagiösen Krankheiten von der Untersu- chung des Contagium anfangen, und zwar sollen zuerst die Eigenschaften desselben an sich kurz dargestellt werden, daraus soll ein Schluss auf das Wesen des Contagium gemacht, und von der gewonnenen Ansicht aus eine Erklärung der mias- matisch-contagiösen Krankheiten versucht werden. Eigenschaften des Contagium der miasmatisch-con- tagiösen Krankheiten. Das Contagium ist ein im Verlauf einer Krankheit von dem kranken Körper ausgeschiedener (ich sage nicht, wie mau sich gewöhnlich ausdrückt, in dem kranken Körper erzeugter) Stoff, der, auf Gesunde übertragen, dieselbe Krankheit in ihnen her- vorbringt. Man theilt die Contagien ein in flüchtige und fixe. Die letzten theilen sich durch unmittelbare Berührung, die erstcren * ) Darstellung der wichtigsten ansteckenden Epidemien und Epi- zoolien. Ilerl. 1828. durch die Atmosphäre mit, Die fixeu Conlagicn können durch eine dem kranken Körper entnommene Materie übertragen, ge- impft werden, die flüchtigen nicht. Bloss lixe Conlagicn sind nur diejenigen der drillen Krankheitsgruppe oder der rein con- tagiösen Krankheiten. Die Conlagien der miasmatisch -conta- giösen Krankheiten sind sammtlich flüchtig *). Einige derselben kennt man aber auch als fixe, die sich also nicht bloss durch *) Das Contagium der Vaccine macht davon eine Ausnahme, die aber wahrscheinlich nicht durch die ursprüngliche Qualität desselben, sondern durch mehrere zufällige Gründe bedingt ist. Denn 1 ) ist schon die Quantität des Ansteck ungsstoffes in jedem Körper so gering, dass er nicht leicht durch die Atmosphäre wirken kann. 2) Ist die Vaccine ein übertragener und modificirter Stoff, und es ist sehr wahr- scheinlich, dass er in seiner ersten Form, vielleicht als Mauke oder ächte Kuhpocke, auch flüchtig ist. Ganz ähnliche Verhältnisse finden sich bei den Schaafpocken. Auch diese haben ein flüchtiges Conta- gium, welches sich nach Waldinger und Liebbald durch fortge- setzte Impfung in ein fixes verwandeln soll, das nur eine einzige Pu- stel au der Impfstelle erzeugt (s. Veith Veterinärkunde. 3te Aufl. Bd. II. p. 505.). Zwar haben Andere von Impfpocken der Schaafe auch noch in der 5ten, 12ten und 31slen Propagation allgemeine Blat- ternausbrüche gesehn, welche auch durch die Atmosphäre ansteckten, es kommt aber auch nach der Impfung der Vaccine hei Menschen in seltnen Fällen eine allgemeine Eruption, der sogenannte Kubpocken- ausschlag, zu Stande, und es wäre zu untersuchen, ob nicht dann auch ein flüchtiges Contagium gebildet werde. 3 ) Endlich ist noch zu berücksichtigen, dass Vaccine, Kuh- und Schaafpocken nur dann einen kräftigen Impfstoff liefern, wenn die Pocken noch wasserhell oder lymphatisch sind, und dass Impfungen mit Pocken-Eiter entwe- der keinen Erfolg haben, oder bösartige Geschwüre erzeugen, die aber nicht gegen die contagiösen Krankheiten schützen. Das Contagium wird nach eingetretener Eiterung, man weiss nicht warum, unwirk- sam. Wim kann zwar von der Fläche innerer Schlei in merabra- nen mit weicher Oberhaut das Contagium schon im Zustande der Lymphe entleert, und dadurch sein flüchtiger Theil der Atmosphäre mitgetheilt werden. Auf der äussern Haut' aber wird die Lymphe durch die erhobene Epidermis hermelisch abgeschlossen und verwahrt, bis das Contagium durch die Eilerung unwirksam geworden ist. Con- tagion ist hier nur möglich durch künstliches Oeffncn der Pustel vor der Eiterung. Ob aber der hieraus entnommene Stoff ein flüchtiges Contagium enthalte, ist ebenfalls noch nicht versucht. 8 die Atmosphäre ausbreiten, sondern auch an tropfbar flüssigen und festen Körpern haften können, wie das Contagium der Pok- ken, der Pest, der Ruhr, des Schnupfens, des Hospitalbrandes, der contagiösen Ophthalmien, vielleicht auch noch andere. Der tropfbar flüssige oder feste, palpable Stoff, durch wel- chen das sonst flüchtige Contagium fix und gleichsam gebunden erscheint, ist das Vehikel des Contagium. Vehikel sind die Flüssigkeiten des kranken Körpers: Eiter, Schleim, Blut, Ex- cremcnte, Lochien u. s. f. Dass diese Materien nicht in ihrer Totalität das Ansteckende, sondern eben nur Vehikel des An- steckungsstoffes sind, geht daraus hervor, dass sich das Con- tagium auch ausser diesen Flüssigkeiten luftförmig, oder richti- ger gesprochen in der Luft suspendirt verbreitet. Was man also gewöhnlich das fixe Contagium miasmatisch -contagiöser Krankheiten nennt, ist eine Verbindung des Contagium mit fixen Stoffen. Pockeneiter ist Eiter und Pockencontagium, Pest- eiter ist Eiter und Pestcontagium u. s. f. Von den organischen Vehikeln des Contagium muss man unterscheiden die Träger desselben, unbelebte, oder wenig- stens mit dem kranken Individuum nicht in Zusammenhang ste- hende Körper, an denen das Contagium, luftförmig ausgeschie- den oder mit seinen organischen Vehikeln, haftet. Die besten Träger sind bekanntlich feine, poröse, thierische oder pflanz- liche Theile, Wolle, Haare, Federn, Hörner, Häute, Holz, Lein- wand, Papier. Glatte Körper, z. B. Glas, Metalle, leiten fast gar nicht. Auch lebende Individuen können Träger des An- steckungsstoffes sein, indem dieser äusserlich an ihnen haftet, ohne sie selbst zu afficiren. Daraus erklärt sich, wie Armeen und Heerden, selbst gesund, die Verbreitung von Krankheiten ver- mitteln, die vor Zeiten unter ihnen geherrscht haben *). Als Isolatoren der Contagien nennt man z. B. Oel, Wachstaft, Harze, Firniss. Das1 flüchtige Contagium scheint durch Haut und Lungen ausgeschieden zu werden. Man kann also auch Haut- undLuu- gcnausdünsluug als Vehikel der flüchtigen Contagien anschu, *) Lorinser, über die Kinderpest. Berlin. 1831. p. 84. 9 das Conlagium erscheint flüchtig, weil sein Vehikel flüch- tig ist. Mit einem tropfbar flüssigen Vehikel secernirt, wird das Contagium tropfbar flüssig, fix. Dies Vehikel ist am gewöhn- lichsten Eiler (von Vesikeln, Pusteln, Abscessen etc.). Der pathologische Process aber, wodurch der confagiumfübrende Eiter, oder allgemeiner ausgedrückt, das contagiöse Exsudat ge- bildet wird, ist nicht verschieden von dem, wodurch gewöhn- licher Eiter sich erzeugt, es ist Entzündung *). Hautentzün- dung in contagiösen Krankheilen ist also nicht Bildung von Contagium, sondern von Eiter, welcher aber in diesem Falle das Contagium enthält; die Bläschen, Pusteln etc. sind nicht der contagiösen Krankheit eigenthümliche Keim- oder Fructi- ficationsorgane, oder auch Secretionsorgane, für was man sie genommen hat, sondern die der Hautentzündung gewöhnli- chen Exsudationsformen. Dies ist wichtig, denn es lehrt be- greifen, wie es den contagiösen ähnliche Krankheiten geben könne, die nur darin, aber auch wesentlich dadurch verschie- den sind, dass sie weder miasmatisch entstanden sind, noch Contagium bilden. Was man von der Aufnahme des Miasma und Contagium ins Blut und von der kritischen Absonderung desselben aus dem Blut vermittelst des Exanthems oder in dem Exanthem gesagt hat, ist, so hestimmt es auch täglich wiederholt wird, ganz hypothetisch. Zuerst wäre doch die Gegenwart des Contagium in dem Blute empirisch nachzuweisen. Dies ist unter den mias- matischen Krankheiten allein bei der Hydrophobie durch Im- pfung mit Blut geschehn**), und diese Krankheit verläuft ohne Exanthem. Die Impf- Versuche, welche Namias mit dem Blute Cholerakranker an Thieren machte, und die die conta- giöse Kraft des Blutes beweisen sollten, sind im vorigen Jahre durch Semmola***) widerlegt worden. Auch die Erfahrungen über die Rinderpest kann ich nicht für beweisend halten. Nach *) Vgl. meine Schrift über Schleim- und Eiterhildg. **) Hertwig, Beiträge zur nähern Kenntniss der Wulhkrankheit. 156. 160. ***) Oiuodei Anuali. Genu. p. 150. 10 Lorinser**) ist zwar Blut, Schleim, Galle, Fleisch und Talg eines pestkranken Rindes vom Contagium durchdrungen , aber dasselbe wird auch von den Hörnern und Klauen, ja von jeder Gerätschaft, mit welcher es in Berührung kam, behauptet. Wenn das Vieh von einer contagiösen Atmosphäre umgeben ist, 60 kann das Blut, das demselben entnommen wird, eben so- wohl das Coufagium von aussen aufnehmen, wie jeder andere Stoff. Auch kann die Anwesenheit des Contagium im Blut nicht damit bewiesen werden, dass der Genuss des Bluts oder Fleisches der gefallenen Thiere nachtheilig wurde; denn 1) wird hier nicht die contagiöse Krankheit erzeugt, und 2) kein neues Contagium gebildet. Das Blut verhält sich vielmehr in diesem Falle wie ein thierisches Gift, und so können die Säfte der Leichen nach den verschiedenartigsten, auch nicht ansteckenden Krankheiten wirken. Für die Möglichkeit einer Aufnahme des Contagium ins Blut scheinen allerdings die Fälle bewei- send, wo Pocken und Masern von der Mutter auf den Fötus übergingen. Aber auf demselben Wege lässt sich darthun, dass die Infection des Blutes nicht noth wendig ist, denn die Er- fahrungen, wo der Fötus verschont blieb, währeud die Mutter an Pockenkrankheit litt, sind vielleicht noch zahlreicher **), und, was noch entscheidender ist, die Impfung einer Schwan- gern verhinderte nicht, dass bei demselben Kinde, 3 Jahre nach der Geburt, die Pocken anschlugen ***). Erwägt man dazu noch, dass Blattern beim Fötus beobachtet worden sind, ohne dass die Mutter an denselben litt f), ja Voa Müttern, welche früher bereits die Blattern durchgemacht hatten j|), so verliert die ganze *) Ueber die Rinderpest, p. 129. **) Unter 32 Fällen von Pocken bei Schwängern, welche Kite gesammelt hat (Essays and Observations physiol. and med. Lontl. 1795. p. 213.), war nur in 15 Fällen der Fötus angesteckt. Heim (die Pockenseuchen im Königr. Würtemh. Stuttg. 1838.) sagt p. 370: „Alle Neugebomen der pockenkranken Mütter kamen hautrein zur Welt, die lebend gebornen wurden jedoch alsbald von der Krankheit befallen." So auch bei Variolois p. 396. ***) Davidson, Lond. med. Journ. Vol. X. P. IV. p. 353. f) Gazette salutaire. 1780. N. 30. Kite, a. a. O. p. 220. ff) Dlead, opera. Vol. I. p. 252. Jenner, Abhandl. d. med.« chirnrg. Gesellsch. in Lond. Bcrl. 1S11. No. XX. 11 Argumentation ihren Wcrth. Aber zugegeben, dass durch die erwähnten Falle die Anwesenheit des Pockencontagium im Blut erwiesen sei, so folgt noch nicht, dass das Exanthem ein kri- tischer Proccss sei, der die Ausscheidung des Contagium aus dem Blut zum Zweck habe. Nichts ist gewisser, als dass heim Rotz der Pferde das Blut inficirt werden könne, aber dies ge- schieht nur seeundär; das Exanthem oder die örtliche Entzün- dung ist das Erste, und im günstigen Falle auch das Einzige. Auf diesen Punkt muss ich später noch zurückkommen. Es ist leichter, theoretisch zu beweisen, dass eine Entzün- dung der Darm- oder Respirationsschleimhaut aus mechanischen Ursachen, von Erkältung etc., einer miasmatischen Entzündung derselben ähnlich sein müsse, als die Mittel anzugeben, wo- durch man die Diagnose solcher Zustände practisch feststellen könne. So giebt es auch von Croup, Ruhr, Cholera, Puer- peralfieber u. a. sporadische Formen, die von den epidemischen, d. h. miasmatischen, kaum unterscheidbar sind. Kein fixes Contagium (die allein contagiösen Krankheiten ausgenommen) wirkt, wenn es auf die unverletzte äussere Haut gebracht wird. Bedingung der Wirkung ist die Aufnahme des- selben entweder unter die Oberhaut *) durch Impfung, oder auf Schleimhäute oder Geschwürflächen. Auch die flüchtigen Con- tagien scheinen zuerst nur auf Schleimhäute oder Geschwür- flächen zu wirken, da immer die Entzündungssymptome zuerst in den Schleimhäuten auftreten, und erst später sich über die äussere Haut ausdehnen. Die Krankheitssymptome zeigen sich nicht unmittelbar nach der Aufnahme des Contagium, sondern erst nach einer gewissen Zeit, die bei verschiedenen Conlagien verschieden ist. Sie beträgt bei Pocken 2 — 3, bei der Pest 3 — 5, bei den Schaafpockeo 7 — 8, der Rinderpest 4 — 6 Tage u. s. f. Diese Zeit ist das Stadium latentis contagii. Man denkt sich während desselben das Contagium an der Impfstelle ru- hend. Auch die Ausscheidung des Contagium ist an gewisse *) Man pflegt zu sagen, in das Blut. Dies ist aber eine Er- schleicliung. Man weiss nur, dass der Impfstoff auf der unverletzten Epidermis nicht wirkt. Dass er in den Kreislauf gelangen müsse, ist damit keineswegs bewiesen. Man könnte ebenso consequent schlies- sen, dass er in die Nerven aufgenommen werde. 12 zeitliche Verhältnisse ( Stadien ) der miasmatisch - contagiösen Krankheiten gebunden. Die meisten erzeugen dasselbe zur Zeit ihrer Acme, andere, wie Scharlach, erst gegen das Ende in der Abschuppungsperiode. So kann man also die weitere Entwicklung des Conta- gium in dem kranken Körper gleichsam historisch verfolgen. Die Schädlichkeit wird an einem Orte (bei der Impfung an einem ganz beschränkten Orte) aufgenommen. Sie ruht einige Zeit scheinbar, dann äussert sich ihre Wirkung auf den Kör- per durch Fieber und eine Hautentzündung, welche entweder nur an der Stelle Statt findet, wo die Krankheitsursache auf- genommen wurde (Kuhpocken, vielleicht Catarrh, Schnupfen), oder auch sich weiter verbreitet. Der Eiter oder das dunst- förmige Secret der entzündeten Häute enthält wieder die Krank- heitsursache, und zwar in vermehrter Quantität, und es steht die Quantität derselben (d. h. die Sicherheit der Ansteckung) in directem Verhältniss mit der Ausbreitung der Hautentzün- dung; so sind z. B. zerstreute und örtliche Pocken weniger ansteckend, als confiüirende. Dass Contagien und Miasmen innerhalb des kranken Kör- pers wirklich vermehrt werden, ist leicht zu beweisen. Ein Atom Pockengift kann einen Pockenausschlag über den ganzen Körper erzeugen. Der Eiter aus jeder dieser Pusteln ist wie- der im Stande, einen neuen Körper zu inficiren u. s. f.; ob ins Unendliche, ist indess zweifelhaft. Die Contagien aber ver- mehren sich nicht nur im ganzen Körper während der Dauer der contagiösen Krankheit, sondern auch örtlich. Wiederholte Impfungen aus einer Vaccinepustcl haben zuletzt keinen Erfolg. Nach einiger Ruhe kann aber wieder kräftiger Impfstoff aus ihr genommen werden *). Sie vermehren sich, wie es scheint, auch ausserhalb des Körpers. Nach Howard**) soll sich ein Atom Pestgift einem ganzen Ballen Baumwolle mittheilen. Da es verschiedene, den Erscheinungen und dem Verlaufe nach scharf zu unterscheidende miasmatisch-contagiöse Krank- keiten giebt, so muss man auch speciGsche Verschiedenheiten der Krankheitsursachen, der Contagien, statuiren. Gewöhnlich *) Stark, allg. Pathologie, Cd. I. p. 371. **) Accouut of ihc piiucipal Lazarettos in Europe. p. Gl. 13 ist zu derselben Zeit, oder an demselben Orte nur Eine Spc- cics von Krankheiten epidemisch, eine scheint die andere aua- zuschliessen, und so anch ist in den einzelnen Individuen selten mehr als Eine miasmatische Krankheit. Indess kommen Aus- nahmen vor, z. B. Keuchhusten und Masern oder Scharlach, Blattern und Scharlach, Vaccine und Masern u. s. w. Beide Krankheiten verlaufen dann in dem ergriffenen Körper entweder gleichzeitig, ungestört nebeneinander; in diesem Falle sah man sie zuweilen räumlich getrennt, Pocken auf der einen, Masern auf der andern Seite: oder die latente Periode der einen ver- längert sich so lange, bis die andere verlaufen. Aus dem bisher Mitgetheilten ergiebt sich, dass das Con- tagium der miasmalisch- contagiösen Krankheiten ein Stoff ist, der sowohl in der Luft schweben, als in Flüssigkeiten des kran- ken Körpers enthalten sein kann, ein Stoff, der im kranken Körper eine bestimmte Zeit verweilt, und innerhalb desselben einer Vermehrung fähig ist. Es ist noch übrig, die physicalisch-chemischen Eigenschaf- ten desselben kennen zu lernen. Von der äussern Form und Gestalt des Contagium ist nichts zu sagen, denn selbst die mikroskopischen Untersuchun- gen contagiöser Flüssigkeiten beziehen sich, wie ich später noch zeigen werde, nicht auf das Contagium, sondern auf das Ve- hikel desselben. Sonst sind äusserlich, wie man weiss, die mit Contagium imprägnirten Flüssigkeiten von den entsprechenden gutartigen nicht zu unterscheiden. Das luftförmige Contagium aber ist dem Auge gänzlich entzogen. Von den fluchtigen Contagien behauptet man, dass sie einen eigenthümlichen Geruch besitzen, das Pestcontagium nach süs- sen Aepfeln, Pocken nach Moschus, Scharlach nach Käse, Ma- sern nach frischgerupften Gänsefedern etc. Es ist aber nicht zu entscheiden, wie weit an diesem Geruch das Conlagium selbst Theil habe. Ich weiss nicht, ob Schnurrer's Bemer- kung (allg. Krankheits- Lehre p. 54.) richtig ist, dass Typhus- contagium zuweilen nur bei denen eine besondere Gcruchsem- pQndung veranlasse, die angesteckt werden. Erhöht wird die Verbreitung und Wirkung der Conta gien durch Wärme; zerstört werden dieselben durch einen ho- hen Grad von Wärme, durch Kälte, durch oonccjitrirte Sau- 14 rcn und Alkalien, durch Chlor- und Arsenikdämpfe, durch Rauch, durch Essigsäure. Auch das Verdauungsprincip zerstört die Anstcekungsstoffe; von vielen weiss man, dass sie nicht wirken, wenn sie in den Magen gebracht und verdaut werden. Nach Hertwig's Erfahrungen *) enstand zwar ein fieber- haftes, vesiculäres Exanthem nach dem Genuss der Milch von Kühen , die an Maul- und Klauenseuche litten. Hier konnte aber die Infection von der Schleimhaut der Speiseröhre aus- gehn und von da aus erst sich dem Magen mittheilen. War der Magen auf diese Art erst mitergriffen, so hörte die Secre- tion des Magensaftes auf. O0) Auffallend ist die grosse Tenacität der meisten Con'a- gien: das Pest-, Pocken-, Vaccinecontogium erhallen sich jah- relang, das Pocken- und Hospitalbrandgift selbt in faulenden Körpern. Die fixen Contagicn verlieren auch durch Trocknen ihre Kraft nicht, wie man vom Vaccinecontagium aus unzähli- gen Erfahrungen weiss. Wesen des Contagium der miasmatisch- contagiösen Krankheiten. Aus den physicalisch - chemischen Eigenschaften der Con- iagien ergiebt sich mit Wahrscheinlichkeit, dass ihre Materie eine organische, um so mehr, da die chemische Analyse weder in den fixen Contagien, noch in der contagiösen Luft von Kran- kenzimmern andre, binär gemischte Stoffe aufgefunden hat, die man anklagen könnte. Brugmans, Moscati, Jahn***) haben die Luft von Zim- mern, worin Hospitalbrand-, Fieber-, Blatter- und Scharlach- kranke sich befanden , mit Wasser geschüttelt und durch die Rcactionen des Wassers gegen Gold-, Silber-, Bleisalze, Ger- bestoff nachzuweisen gesucht, dass dasselbe einen organischen Stoff aufgenommen habe. Dies beweisst freilich nicht, dass die *) Med. Vereinsztg. 1834. Nr. 48. **) Vielleicht sieht man die ansteckende Kraft der Milch in die- sem Fall als einen Beweis für den Uebcrgang des Conlagium in's Blut an. Ich will daher nachträglich noch bemerken, dass das Exan- them auch vom Euter aus in die Milchgänge gelangen, ja sogar pri- mär in den letzteren auftreten kann. ***) Physiatrie p. 31G. 15 organische Materie das Contagium sei, denn wahrscheinlich wird sich die Luft in andern Krankenzimmern chen so verhallen. Es heweist aher, dass organische Materie in der Luft suspen- dirt sein könne. Ich werde jetzt die Gründe anführen, welche beweisen, dass die Materie der Conlagien nicht nur eine organische, son- dern auch eine belebte, und zwar mit individuellem Leben begabte ist, die zu dem kranken Körper im Verhällniss eines parasitischen Organismus steht. Dem Princip nachstimmt diese Ansicht überein mit der alten Theorie vom Contagium animatum, die oft bekämpft, und in verfeinerter Form immer wie- der neu aufgetreten ist, denn in der That mussten die Er- scheinungen im Verlaufe der contagiösen Krankheiten zu allen Zeiten auf dieselbe führen. Dagegen will ich mich verwahren gegen eine scheinbare Uebereinstirnmuug, welche, oberfläch- lich betrachtet, die Lehre von dem Leben des Contagium mit einer pathologischen Theorie zeigen möchte, die als Residuum der Naturphilosophie in Deutschland noch viele Anhänger, und unter denselben Männer von grossem wissenschaftlichem Ein- fluss zählt. Nicht das Contagium, sondern die Krankheit wird von dieser Schule als ein parasitischer Organismus, oder, zweideutiger noch, als ein parasitischer Lebensprocess be- trachtet. Das Contagium ist der Keim oder Same dieses para- sitischen Wesens mit geborgtem Körper, durch welchen das- selbe sich fortpflanzt. Das Contagiöswerden miasmatischer Krank- heiten ist der eigentliche Hebel und die Stütze dieser Theorie, und wird nach einer unklar angewandten Analogie so erklärt, dass die Krankheit in ihrer vollsten Enlwickelung zeugungsfähig werden könne, wie jeder Organismus eist in der Blüthe seiner Kraft zur ZeuguDg geschickt sei. Um die Basis dieser Lehre selbst vom theoretischen Standpunkte zu bekämpfen, müsstc ich mich zu weit von meinem Gegenstande entfernen, doch will ich nicht verschweigen, dass ich sie, trotz der Conscqucnz, womit sie ins Einzelne durchgeführt wurde, immer eher für eine geistreiche, ja mitunter nur im Interesse des Witzes ver- folgte Vergleichung, als für eine eigentliche Erklärung angese- hen habe. Hier kömmt es mir nur darauf an, den Unterschied zu zeigen, der zwischen dem Contagium in unserm Sinne uud dem lebendigen Krankheitssamen oder Keim im Sinne der ge- 16 dachten Schule besteht. Der Unterschied aber lässt sich mit wenigen Worten so bezeichnen, dass es nach unserer Theorie nicht die Krankheit, sondern die Krankheitsursache ist, welche sich fortpflanzt. Um ein grobes Beispiel zu wählen, so denke man sich, dass ein Dorn, in den Finger eingedrungen, Entzün- dung und Eiterung erzeuge. Eitert der Dorn heraus, so kann er in den Finger eines andern Individuums eingestochen wer- den, und dieselbe Krankheit zum zweiten Mal erzeugen. liier würde also durch den Dorn nicht die Krankheit, auch nicht ein Product derselben, sondern der Reiz, der sie hervorbrachte, übertragen. Und vorausgesetzt, der Dorn könne im kranken Körper sich vervielfältigen, oder jeder kleinste Theil wieder zum Dorn werden, so könnte man durch Uebertragung jedes kleinsten Theils desselben in andern Individuen dieselbe Krank- heit, Entzündung und Eiterung, erregen. Nicht die Krankheit ist der Parasit, sondern der Dorn. Die Krankheiten gleichen einander, weil die Ursachen derselben einander gleichen. Das Contagium in unserm Sinne ist also nicht der Keim oder Same der Krankheit, sondern der Krankheitsursache, wie z.B. das Ei einer Tänia nicht, das Erzeugniss der Wurmkrankheit ist (sollte auch die Wurmkrankheit die erste Veranlassung ge- wesen sein, dass eine Tänia im Danninhalt entstand), auch nicht das Erzeugniss des Individuums, welches an der Wurm- krankheit leidet, sondern desjenigen parasitischen Körpers, der, gleichviel wie, zuerst in die Welt gekommen, jetzt sich durch Eier fortpflanzt, und die Symptome der Wurmkrankheit, we- nigstens zum Theil, bedingt. Nicht der Same der Kraukheit, sondern der Krankheitsursache wird geimpft; die Krankheits- ursache vermehrt sich in dem kranken Körper, und wird am Ende der Krankheit wieder ausgeschieden. Ob wirklich als Keim, als Ei, als Sprosse oder wie sonst, soll jetzt noch nicht weiter gefragt werden; nur nicht als Sperma, denn dann be- dürfte es immer noch eines zu befruchtenden Eies, und am wenigsten als ein Samen, der mit dem anzusteckenden Körper die Krankheit erzeugen soll. Die Gründe, welche das individuelle Leben der Conlagien beweisen, sind folgende: 1) Die Fähigkeit, sich durch Assimilation fremder Stoffe zu vermehren, kennen wir nur an lebendigen organischen We- 17 scn. Keine todlc, chemische Substanz, auch nicht organische, vermehrt sich auf Kosten einer andern; sie geht immer nur, mit dieser zusammengebracht, Verbindungen ein, aus denen sich die ursprünglichen Quantitäten der auf einander wirkenden Stoffe wieder ausscheiden lassen. Die Fermentation wird als ein Beweis des Gegentheils be- trachtet, und es wird angenommen, dass sich bei der Gährung das Ferment selbst auch immer wieder neu erzeuge, da die ge- ringste Quantität Ferment hinreicht, die Gährung in den gröss- ten Mengen gährungsfähiger Flüssigkeiten so lange zu erhalten? als noch Zucker in Alkohol verwandelt und Kohlensäure frei werden kann. Deshalb glaubte man das Räthsel der Multipli- cation des Contagium gelöst zu haben , wenn man es mit einem Ferment verglich, das aus dem Blute wieder sich 6elbst neu erzeuge. Dieser Vergleich scheint auch ganz passend, aber er ist es gerade, der besonders für die hier aufgestellte Ansicht spricht. Gährung ist nämlich, wie durch Cagniard Latour *) und Schwann **) fast ausser Zweifel gesetzt ist, Zersetzung einer organischen Flüssigkeit durch pflanzliche Wesen, niedere Pilze, welche auf Kosten Stickstoff- und zuckerhaltiger Flüssig- keiten wachsen, sich vermehren, und dabei den Zucker etc. zersetzen. Die kürbiskernförmigen Körnchen, welche Leeu- wenhoek ***) in dem Essig, im Wein und Bier entdeckte, sind nicht Krystalle, wieLeeuwenhoek glaubte (ernannte sie des- halb Sal aceti), sondern Theile eines Faden -Pilzes (Torula ce- revisiae Turpin). Schon Leeuwenhoek bemerkt, dass er die Salztheile oft zu ästigen Figuren verbunden geschn habe, und bildet solche ab. Schwann beschreibt sie am genauesten aus der Bierhefe folgendermaassen (a. a. O. p. 189.): „theils runde, grösstenteils aber ovale Körnchen, die theils einzeln vorkommen, grösstentheils aber in Reihen von 2 — 8 zusam- menhängen. Auf einer solchen Reihe stehen gewöhnlich eine oder mehrere andere Reihen schief auf. Häufig sieht man auch zwischen 2 Körnchen einer Reihe seitwärts ein kleines Köro~ *) L'institut. 1837. Decbre. Compte rendu 1838. 23 Jaul. **) Vorläufige Mittheilung , betreffend Versuche über die Wein- gährung und Fäulniss in Poggend. Ann. 1837. Bd. XLI. p. 187. ***) Opera omnia. L. Bat. 1722. T. IV. p. 2 ff. Henle.path. Uuters. keit, Contagiumorganismen und Contagiumflüssigkeit isoliren > und eines jeden Kräfte besonders beobachten könnte, ein Ver- t such, auf den man wohl verzichten muss. Umgekehrt aber ist auch das negative Resultat unsrer Beobachtungen nicht hinreichend sicher, um eine Hypothese aufzugeben, die durch die allgemeinen Begriffe, die wir mit dem Leben verbinden, nothwendig erscheint. Es ist nicht einmal nöthig, zu der Ausflucht zu greifen, dass die Organis- men des Contagium für unsere optischen Hilfsmittel zu klein wTären. Aber wenn sie nicht bewegliche llnerische Wesen, sondern Eier derselben oder Keime niedrer Pflanzen sind , so kenne ich kein Mittel, dieselben von den Zellen, deren Kernen oder körnigem Inhalt, wie sie in der Oberhaut, im Eiter, ja in allen Geweben und Excretcn vorkommen, zu unterscheiden, wenn nicht die Art ihres Zusammenhangs oder die weitere Entwicklung derselben Aufschluss giebt. Die Kügelchen, aus welchen die Botrytis bassiana an der Oberfläche der todten Seidenraupen besteht, verhallen sich ganz wie Pigmentkügel- chen und wie die kleinsten mikroskopischen Molecule mit Moleculaibewegung, die man in jeder eiterigen Flüssigkeit an- trifft. Ich habe die Kügelchen, aus welchen die niedern Pflan- zen bestehen, mit Liter gemischt, neben den zerfallnen Kernen 44 der Eilerkörperchen unter dem Mikroskop betrachtet und che- misch untersucht, ohne einen Unterschied zu finden, der fer- nem Untersuchungen zur sichern Basis hatte dienen können. Ja wie leicht man selbst grössere Sporen mit den thierischen Fetlkörnchen und Bläschen verwechseln kann, beweisen die vonBalsamo*) und Turpin**) begangnen Irrthümer, von denen der erste die Thalli der Botrytis bassiaua unmittelbar aus den Kügelchen des Fettkörpers der Seidenraupe, der andre den Schimmel, der auf der Milch entsteht (Penicillium glaueum) aus den Milchkügelchen selbst sich entwickeln liessen. Und in gewisser Beziehung sind diese Dinge in der That identisch. Es war längst zugegeben, dass, wenn auch nicht die Eier, doch das Wesentliche derselben, die Keimbläschen der verschiedensten Thiere einander in der Form und Mischung, so weit wir sie erkennen, vollkommen gleichen, so dass man selbst den materiellen Unterschied, der sich doch im Fortschritt der Entwicklung so deutlich offenbart, für einen bloss dynami- schen erklärte. Später fiel wieder einzelnen Beobachtern die Aehnlichkeit gewisser thierischer Elementargebilde in den Häu- ten, den Drüsen, den Nerven, den Knochen u. A., mit dem Keimbläschen und aller dieser Theile mit Pflanzenzellen auf. Den Schlüssel zu diesen rälhselhaften Thatsacben liefern die Arbeiten von Schieiden und Schwann*0). Sie zeigen, dass die ersten Anfänge der verschiedenartigsten, organischen Bildung überall dieselben ßind; Körnchen oder Tröpfchen, um welche sich eine Scheibe oder Zelle bildet, welche Kern einer zweiten, umschliessenden Zelle wird. Der complicirteste, thierische oder pflanzliche Körper ist ein Aggregat von solchen, nach verschied- nen Richtungen entwickelten Zellen, und auf der andern Seite giebt es niedre Pflanzen und wahrscheinlich auch Thiere, d. h. bewegliche Wesen, die nur aus einer einfachen oder wenigen an- einander gereihten Zellen bestehn. Es erklärt sich hieraus, warum die Deutung der mikroskopischen Körnchen an sich so *) Bassi a. a. O. p. 64. **) Annales des sciences naturelles. T. VIII. p. 338. ff. ***) Die letztem sind nunmehr vollständig erschienen u. d. T. Mikroskopische Untersuchungen über die Uebereinstimmung in der Struclur uud dem Waclislhuiu der Thiere uud Pflanzen. Berl. 1839. 45 schwierig ist. Aber diese grosse Entdeckung führt zugleich neue Schwierigkeiten herbei, indem durch sie der Begriff der Individualität ciu relativer Begriff wird. Denn selbstständiges Behaupten der Form und Mischung unter verschiedneu äussern Eintlüssen, gesclzmässige, zeitliche Entwicklung und Fortpflan- zung sind Eigenschaften, welche nicht bloss dem ganzen thie- rischen oder pflanzlichen Organismus, sondern iu beschränktem Maasse auch den isolirten Elementargebilden desselben zukom- men, und es wird schwer, diese streng von den niedersten Thieren oder Pflanzen zu scheiden. Die cylindrischen Zellen des Flimmerepilhelium mancher Thiere vibriren noch Wochen lang nach ihrer Abtrennung von dem Organismus, dem sie an- gehören, die Spermatozoen erhallen noch länger ihre Lebens- äusscrungen, und das Ei selbst ist im einfachsten Zustande eine von dem mütterlichen Körper losgetrennte Zelle, die sich unter günstigen Bedingungen selbständig zum vollkommnen Thicr entwickelt; und wenn man au den Zellen im isolirten Zustande, ahgeselm vom Ei, keine Vergrosser nng und keine Bildung jun- ger Zellen beobachtet hat, wie innerhalb des Körpers z. B. an den Zellen der Knorpel und der Membrana deeidua, so scheint dies hauptsächlich daher zu rühren, weil dem abgetrennten Elemenlartheile die Bedingungen der Ernährung fehlen. Wo diese geboten sind, z. B. nach Verpflanzung in einen fremden aber gleichartigen Organismus , wächst derselbe allerdings fort und vermehrt sich vielleicht auch, wie ein Parasit den Körper, wor- auf er geboren ist, verlassen und auf einem andern, gleicharti- gen fortleben kann. Auf dieser relativen Selbstständigkeit der Elementartheile beruht die Möglichkeit der Transplantation, und es muss ein Theil um so geschickter zur Transplantation sein, je länger er, abgetrennt, sein Leben (im latenten Zustande) zu \S behaupten vermag. Man könnte also Coutagium und Coutagion ' auch damit erklären, dass unter gewissen Umständen die Ele- mentartheile sich krankhaft verändern, und dass die veränder- ten Elementartheile die Fähigkeit besässen, in andern Organis- men uud auf Kosten derselben fortzuwachsen. Offenbar findet in dieser Art eine Mittheilung von Einem Theil des Körpers anf einem andern Theil desselben Körpers Statt bei den Ge- schwülsten, welche parasitische genannt wurden, weil an ihnen die Selbstständigkeit der pathologischen Gewebe auffiel. Krebs, 46 Melanose, am Läufigsten aber Markschwamm breiten sich so, von dem zuerst ergriffenen Theile ausgebend, längs der Venen ond Lympbgefässe aus, wenn diese, gleichviel auf welchem Wege, Elemente des paibologiscben Gewebes aufgenommen ha- ben, und selbst an entferntere Stellen können durch den Blut- strom die Keime der krankhaften Bildung gebracht werden. Es ist bekannt, dass Eilerkügelchen, wie kleine fremde Körper von den Venen aufgenommen und mit dem Blute circuliren kön- nen, bis in dem Capillarkreislauf die Enge der Gefässe ihrem weilern Fortschreiten Einhalt thut. Eiterkögclchen erregen dann von den Lungenvenen aus im Gebiete des grossen Kreislaufs, von den Körpervenen aus in dem Luugencapillarsystem Stok- kung und Entzündung. Wenn statt der Eiterkügelchen Tuber- kelzellen *) in das Blut übergingen, so würden da, wo dieselben sich ablagern, nicht einfache Entzündung und Eilerung, sondern auch \ Tuberkeln erzeugt werden, da dem Gewebe der Tuberkeln die Fähigkeit nicht abzusprechen ist, sich auf Kosten der benach- barten Theile zu vergrössern. Vielleicht ist es auf diese Weise und nicht aus einem Allgemeinwerden der Dyskrasie zu erklä- ren, dass hei höhern Graden der Phthisis sich so gewöhnlich auch Tuberkeln im Darm, in den serösen Häuten und den Knochen entwickeln. Man dürfte diese Art der Ausbreitung feine Infection oder Ansteckung von einem Körpertheile durch den andern nennen. Wenn nun K«ebs, Warzen, Condylome, Tuberkeln und *) Auch die Tuberkeln bestehn, wie ich an einem andern Orte gezeigt habe, aus Elementarzellen, die mit einer eigentümlichen, kör- nigen Substanz gefüllt sind. Diese Zellen bilden sieh, der Analogie nach zu scbliessen, um ihre Kerne und innerhalb einer ausgeschwitz- ten, formlosen Substanz, dem Cytoblastem. Eine Frage, auf die ich nicht weiter eingehe, weil jetzt noch alle Mittel zur Beantwortung derselben fehlen, ist, ob die verschiedne Bedeutung und weitere Ent- wicklung der Zellen von Verschiedenheiten des Cvtoblastems oder von dem Einüuss bereits gebildeter, lebender Zellen auf das überall gleichartige Cytoblastem abhänge. Im ersten Falle würde schon der Kern der Zelle, und selbst der formlose, flüssige Stoff , in welchem Zellen sich erst Lüden sollen, wie der ausgeschwitzte Faserstoff, hin- reichen , um gleichsam als Ableger eines Elementargewebes dasselbe an einen andern Ort, auf einen andern Körper zu verpflanzen. i 47 dergl. wirklich ansteckend sind, worüber ich nicht entscheiden kann*), so wäre die Ansteckung gleichsam Transplantation eines pathologischen Gewebes, welches nach der Verpflanzung auf dem neuen Boden zu wachsen fortführe. Der ganze Ent- wicklungsgang der Krankheit Hesse sich kurz folgendermaassen darstellen: In Folge einer gewissen Körperconstitution und lange einwirkender, äusserer Schädlichkeilen entwickelt sich eine fehlerhafte Beschaffenheit des Blutes, oder, um mich we- niger bcslimmt auszudrücken, eine Dyskrasie. Mancherlei ört- liche Krankheiten können Folge derselben sein, chronische Ent- zündungen, Ausschläge, Geschwülste etc. Bildet sich durch die allgemeine Dyskrasie örtlich eine parasitische Geschwulst aus, so wächst diese, verbreitet sich innerhalb des ergriffenen Körpers, und ist je nach dem Sitz, dem Stadium, der Beschaf- fenheit der Entartung etc. wieder Ursache bestimmter allgemei- ner Symptome (z. B. eines inflammatorischen oder hectischen Fiebers). Diese Geschwulst ist es auch, die durch Verpflan- zung ihrer Elementartheile in einem andern Körper wurzeln und wuchern kann, und dann in diesem Körper die nämlichen consecutiven Symptome herbeiführt, die sie in demjenigen veranlasste, in welchem sie zuerst sich bildete. So consequent diese Erklärung scheint, so ist sie doch vielleicht überflüssig; denn, wie gesagt, lässt sich die Contagio- sität der parasitischen Geschwülste, selbst der Condylome**), noch bezweifeln, und wird wirklich noch von Vielen be- zweifelt. Daher möge diese ganze Darstellung einstweilen als ein Gleichniss gelten, um eine zweite Hypothese zur Erklärung der Contagion überhaupt zu erläutern. Die erste Vermuthungi war, dass das Contagium der miasmatisch -contagiösen Krank- !■ heiten niedere Pflanzen oder Thiere oder deren Keime enthalte. *) Ein merkwürdiges Beispiel von Contagiosität der Phthisis erzählt Maliu (Casper's Wockenschr. 1839 No. 14). Zwei Hunde, die Tuberkeleiter aufzulecken pflegten, starben hectisch. Ich erinnere mich eines ähnlichen Falles, wo eine Katze, die mit einer phthisischen Frau beständig in demselben Zimmer war, von Husten ergriffen wurde und an Tuberkeln crepirte. **) Ricord hat die Jauche von Krebs und Condylomen oftmals tu impfen versucht, aber immer ohne Erfolg. 48 Es kommt jetzt dazu die zweite Möglichkeit, dass dasselbe aus V: krankhaft gebildeten und isolirten, zu einer gewissen Selbst- i ständigkeit gelangten thieriscken Elementartheilen bestehe, Ele- t inentarlheilen des Individuums, von welchem die Infeclion aus- geht. Dieser letzte Fall ist bei den miasmatisch -contagiösen Krankheiten des Menschen und höherer Thiere darum unwahr- scheinlich, weil wir keine Elementartheile derselben kennen, die so lange Zeit nach der Abtrennung vom Körper ihre Lebensener- gien behaupten oder sie gar nach dem Austrocknen wieder er- halten. Wichtiger aber um diese Frage zu entscheiden, ist die Untersuchung, wie überhaupt Contagien zuerst sich entwickeln. Entsteht das Contagium zuerst innerhalb des kranken Körpers im Verlaufe einer Krankheit, die aus irgend welchen anderu Gründen hervorgerufen wurde, so dürfte man dasselbe nicht für selbslständig thierischer oder pflanzlicher Natur halten, wenn man nicht sonst noch mehr Gründe für die Möglichkeit einer ungleichartigen Zeugung hat, als beim gegenwärtigen Stand der * Controverse angeführt werden können. Wäre es aber nachzu- ■j weisen, dass ein Contagium ausserhalb des Körpers gebildet werden kann, wie in den angeführten Beobachtungen von Au- douin über die Muscardine erwiesen ist, so könnte ein solches Contacium nur eine Thier- oder Pflanzenart, wenn auch eine bis jetzt unbekannte, sein. Die Frage über den Ursprung der Contagien hängt aber genau zusammen mit der Untersuchung über das Miasma, zu welcher ich daher jetzt übergehe. Das Miasma der miasmatisch-contagiösen Krankheiten. Nur vom Miasma der miasmatisch-contagiösen Krankheiten soll, wie ich wiederholt erinnere, hier die Rede sein, denn nur auf dieses lassen sich die Schlüsse anwenden, die aus der Un- tersuchung der entsprechenden Contagien gezogen sind. Während von den Krankheilen, die ich in der Ablhcilung der miasmatisch-contagiösen zusammengestellt habe, die einen erfahrungsmässig häufiger durch Contagion, die andern mehr miasmatisch (mittelst einer allgemeinen, in der Atmosphäre ent- haltnen Schädlichkeit) sich ausbreiten, giebt es doch kaum eine, für die nicht beide Arten der Vci breitung nebeneinander zuge- geben würden. Krankheiten, deren Contagiosität unzweifelhaft 49 ist, weil sie, an fixe Stoffe gebunden, geimpft werden können, denkt man sich dennoch als miasmatisch bedingt, wenn sie plötzlich an einem Orte in grosser Menge auftreten, wenn sie zu gleicher Zeit an verschiednen Stellen ausbrechen, nachdem sie lange unerhört gewesen waren, endlich wenn man solche äussere atmosphärische Einflüsse, die überhaupt zur Entstehung von Epidemien Anlass geben, nachweisen kann. Umgekehrt sieht man sich genöthigt, die Möglichkeit einer conlagiösen Mit- theilung zuzugeben auch bei den Krankheiten, deren miasma- tischer Ursprung unzweifelhaft scheint, wenn Personen, die unter gleichen Einflüssen und nahe beieinander leben, nach- einander von der Krankheit ergriffen werden, wenn durch ein Individuum aus einer inficirlen Gegend die Krankheit an einen Ort gebracht wird, der bis dahin gesund war, und an diesem Orte augenscheinlich von der Wohnung des Kranken ausgeht *). Es breiten eich also Epidemien meist auf doppeltem Wege aus, miasmatisch und contagiös. Wenn man nun sieht, -wie dieselbe Krankheit hier durch Miasma, dort durch Contagium erzeugt wird, sollte man nicht sich bewogen fühlen, beides, Miasma und Contagium als identische Stoffe zu fassen? Die Schule lässt es sich angelegen sein, beide Begriffe strenge aus- einander zu hallen. „Das Miasma" sagt sie „ist eine der Luft beigemischte und aussen entstandene Schädlichkeit, welche in den Körper eindringt, und selbst in unendlicher Menge Krank- heit erregt, nach Art der Gifte. Das Contagium dagegen ist eine Materie, durch eine Krankheit gebildet, welche in andern dieselbe Krankheit veranlasst." Dagegen muss fürs erste be- merkt werden, dass man in praxi oft nicht im Stand ist, zu entscheiden, ob eine krankmachende, der Atmosphäre beige- mischte Potenz innerhalb eines kranken Körpers oder ausserhalb desselben gebildet, ob sie Miasma oder flüchtiges Contagium *) Für leine Krankheit sind die Beweise für und wider den mias- matischen und coutagiösen Ursprung mit solcher Gründlichkeit und Unbefangenheit untersucht worden, als für das gelbe Fieber durch Mathaei (S. dessen Preisschr. über d. gelbe Fieber. Bd. I. Kannov. 1827). Das Resultat ist, dass die Krankheit contagiös sei, dass sich aber das Contagium auch selbstständig entwickeln könne. He nie, path. Unters. A 50 sei. Die alleren Schriftsteller bezeichnen sogar das letztere ge- radezu mit dem Namen Miasma, und unterscheiden wieder das Miasma als Contagium mortuum von dem gewöhnlich sogenann- ten Contagium (C. vivum). Erwägen wir nur, wie im concre- ten Fall über die Genesis der inficirenden Materie entschieden wird. Wenn der Kranke nachweisen kann, dass er mit einem andern, an derselben Krankheit Leidenden in naher Berührung war, so ist er angesteckt. Wenn die contagiöse Atmosphäre eines Kranken über eine Strasse, über ein Paar Häuser weg einem andern zugeweht wird, so hat dieser die Krankheit durch Miasma empfangen. Es kann also mitunter eine nur graduelle Verschiedenheit sein, welche veranlasst, dass man dieselbe Krank- heit bald für contagiös, bald für miasmatisch hält. Die Ma- terie, die ein einzelner Kranker ausscheidet, ist so gering, dass 6ie nur in seiner nächsten Nähe die Krankheit mittheilt. Sind viele Kranke auf einen Raum zusammengedrängt, so wirkt das von denselben erzeugte Contagium in weiteren Strecken, und wird wieder Miasma. Bei den Epizootien hat man sogar Ge- legenheit, den Durchmesser der ansteckenden Atmosphäre zu messen, die den Kranken umgiebt. Sie beträgt z. ß. in der Bruslseuche der Pferde nur wenige Fuss0), in der Rinderpest nach Abildgaard 4 — 6 Ellen. Stellt man die Thiere so auf, dass die Entfernung derselben voneinander mehr als 12' be- trägt, so findet gewöhnlich keine Ansteckung Statt. Ist darum ein Thier, welchem das Contagium auf weitere Strecken zuge- führt wird, wie wir denn wissen, dass solches durch eine Strö- mung der Luft möglich ist, ist ein solches Thier miasmatisch erkrankt? Aber zugegeben, dass viele Krankheitsfälle, die miasma- tisch genannt werden, in Wahrheit durch Contagion veranlasst sind, so ist doch der miasmatische Ursprung unter den oben angegebenen Umständen sehr wahrscheinlich, und es bleibt die Frage noch zu beantworten, wie weit die Identität von Miasma und Contagium sich erweisen lasse. Eine derLuft beigemischte Materie wird von dem Körper aufgenommen. Folge der Auf- nahme ist eine Krankheit mit eigenlhümlicben Symptomen. Während der Dauer der Krankheit oder am Ende derselben, *) Körb er, Handbuch der Seuchen, p. 1S2. 51 wird von dem kranken Körper eine Materie ausgeschieden, wie- der der Luft mitgetheilt , und die durch dieselbe verunreinigte Luft bringt in einem zweiten Individuum dieselbe Krankheit mit denselben Symptomen hervor. Mit demselben Rechte, wo- nach man das Contagium des Scharlach in Einem Falle für identisch hält dem Contagium des Scharlach in einem zweiten Falle, weil die Krankheitssymptome in beiden Fällcu einander gleich sind, mit demselben Rechte würde auch das Miasma, welches das erste Scharlachfieber hervorrief, identisch zu achten sein dem Contagium, in dessen Folge das zweite Scharlach- fieber auftritt. Nun ist zwar bei dieser Art zu schliessen ein Irrlhum möglich: Denn da die meisten Krankheitssymptome erst seeundäre, durch das Nervensystem vermittelte Verände- rungen sind, und da es gerade im Wesen des Nervensystems liegt, auf die verschiedenartigsten Reize in gleicher Weise zu reagiren, so ist hier der Schluss von gleicher Wirkung auf gleiche Ursache, so nothwendig er sonst ist, nicht ganz zuver- lässig. Indessen darf man doch, bis ein Beweis auf anderm, sichern» Wege möglich sein wird, die Identität der Miasmen und der entsprechenden Contagien für wahrscheinlich ansehn. Was man von ihren physicalischen und chemischen Eigen- schaften weiss, widerspricht dieser Annahme nicht, obgleich es ebenso wenig hinreicht, sie zu beweisen. Wrenn aber Contagium und Miasma identische Stoffe sind, so gilt von dem Miasma dasselbe, was vom Contagium gefunden wurde. Das Miasma der ersten miasmalisch-contagiösen Krankheit, welches am Schluss der Krankheit als Contagium wieder ausgeschieden wird, erweist sich dadurch als eine der Reproduction fähige, inner- halb eines bestimmten Zeitraums aus innern Gründen sich ent- wickelnde Materie, ist lebendig. Contagium ist gleichsam Mi- asma in der zweiten General ion, ein Miasma, welches die erste Entwicklungsepoche innerhalb eines kranken Körpers durchlau- fen hat. Ich werde daher Miasma und Contagium der mias- matisch-contagiösen Krankheiten im Folgenden unter dem Na- men „inficirende Materie" vereinigen. Sie ist für jede speciGsche Kraukheit immer dieselbe und erscheint uns als Contagium, wenn ihr Ursprung aus einem kranken Körper sich direct nach- weisen lässt, im entgegengesetzten Falle als Miasma. Das fixe 4* 52 Contagium ist die infielrende Materie an einen festen oder flüs- sigen, dem kranken Körper entnommenen Stoff gebunden. Man kann sich nunmehr die Genesis der inficirenden Ma- terie auf doppelte Weise denken, so dass sie entweder unter den bisherigen Begriff des Contagium oder des Miasma fällt. Wir wollen beide Ansichten einer genauem Prüfung unterwerfen: 1) Abgesehen vom ersten Auftreten einer Krankheit, zu wel- chem die Geschichte ebenso wenig, wie zur Entstehung der lebeudigen Schöpfung überhaupt, hinaufreicht, könnte die infi- cirende Materie überall contagiösen Ursprungs sein, auch wo die Krankheit neu und miasmatisch aufzutreten scheint. Man weiss, wie lange die fixen Contagien, auch getrocknet, ihre an- steckende Kraft behalten. Nimmt man an, dass das Contagium einer Epidemie, nachdem die Bedingungen zu ihrer Ausbreitung erloschen sind, in einem solchen Zustande latenten Lebens zu- rückbleibe, so würde nach Jahren unter günstigen Verhältnissen die Krankheit anscheinend miasmatisch, in der That aber con- tagiös, wieder entstehn. Unter dieser Voraussetzung giebt es keine miasmatisch-contagiösen Krankheiten in dem Sinne, wie wir ihn anfangs aufstellten, sondern nur unter den contagiösen eine Abtheilung mit flüchtigem und typisch sich entwickelndem Contagium. Für Pocken, Masern und Scharlach hört man oft diese Ansicht vertheidigen, es wird sogar behauptet, dass diese, so entschieden contagiösen Krankheiten nie ganz verlöschen, immer in einzelnen Individuen sich fortpflanzen und von diesen aus unter gewissen, äussern Einflüssen nur von Zeit zu Zeit zur Epidemie auflodern. Aber bei vielen andern epidemischen Krankheiten stellen sich dieser Annahme grosse Schwierigkeiten entgegen: Ich habe schon erwähnt, dass bei einzelnen miasmatisch - contagiösen Krankheiten bald die miasmatische Entstehung, bald die Conta- giosität mehr oder minder zweifelhaft ist. Einige epidemische Krankheiten mögen schon darum weniger geeignet sein, sich contagiös auszubreiten, weil die inGcireude Materie aus dem Körper auf eine Art wieder ausgeschieden wird, die nicht wohl zu Infection Veranlassung giebt. Ansteckung muss z. B. viel leichter seiu, wenn Haut- und Lungenausdünstung des Kranken das Contagium enthalten, als wenn es von der Fläche des Darms und mit dem Stuhlgang ausgeschieden wird. Auch ist 53 es allgemein angenommen, dass der nicht conlaglöse Typhus, wenn er nicht eine eigne Species ist, 6ich von dem anstecken- den Typhus darin unterscheidet, dass bei jenem das Exanthem mehr auf den Darmkanal beschränkt ist, während bei der con- tagiösen Form die Luftwege in höherm Grade und auch die Conjuncliva und die äussere Haut von Entzündung ergriffen, und demnach wohl auch Secretionsorgan des Contagium sind. Ohne Zweifel giebt es aber nicht nur einzelne Fälle, sondern auch einzelne Epidemien miasmatisch -contagiöser Krankheiten, in denen kein Contagium gebildet wird, oder in denen conta- giöse Fälle wenigstens zu den Ausnahmen gehören (Cholera, Influenza). Dann endet also in jedem Individuum mit der Krankheit auch die Krankheitsursache. — Wenn nun die inG- cirende Materie nichts weiter wäre, als luftförmiges Contagium, ßo müsste bei jeder Epidemie die Zahl der Erkrankungen mit der Sicherheit der Conlagion in directem Verhältniss slehn und eine Epidemie, in welcher die inücirende Materie sich nicht (durch Contagiumbildung) reproducirte, müsste sehr bald zu Ende sein, sobald als die, wenn ich mich streng ausdrücken soll, von der letzten Krankheit übrig gebliebene inficirende Ma- lerie verbraucht wäre. Dies ist aber nicht der Fall. Denn es giebt Epidemien, die bei geringer Conlagiosität sehr ausgebreitet sind und lange Zeit wüthen. Man muss also 2) wenigstens die Möglichkeit einer Vermehrung und Reproduction der inficiren- den Materie auch ausserhalb des kranken Körpers zugeben *), und so würde sie nothvvendig, nach dieser und ihren übrigen Eigenschaften, unter den Begriff thierischer oder pflanzlicher Organisation fallen. Ich habe im Laufe dieser Untersuchung zuerst gezeigt, *) Dadurch wäre auch zu begreifen, wie Ansteckung von Gesun- den ausgehen kann, wenn diese lange unter Verhältnissen, die der Entwicklung einer infichenden Materie günstig sind, eingesperrt wa- ren. (Der berühmte schwarze Gerichtstag in Oxford). Behaupten, dass das Contagium hier im gesunden Körper gebildet werde, wi- derspricht dem Begriff des Contagium. Um den Gesunden erzeugt es sich in dem Raum, den er bewohnt, und wird durch ihn verschleppt während er selbst, vielleicht aus unbekannten Gründen verschont bleibt. 54 dass die inficirende Materie selbstständig belebt sei, ferner dass man sich unter selbstständig belebter Materie denken könne, entweder thierische und pflanzliche Organismen oder zu einer bedingten Individualität gelangte Elementartkeile von Thieren. Ich habe sodann dargethan, wie die directe Beobachtung keinen dieser beiden Fälle weder bewiesen habe, noch entschieden wi- derlegen könne. Es blieb also nichts übrig, als in der theoretischen Betrachtung fortzuschreiten. Ich schloss weiter so : Wenn die in- ficirende Materie der miasmatisch - contagiösen Krankheiten aus organischen Elementartheilen besteht, so kann sie sich nur in- nerhalb derjenigen Körper vermehren, welchen die Elementar- theile angehören; vermehrt sie sich auch ausserhalb derselben oder entsteht sie gar unabhängig von ihnen, so müssen wir sie für absolut individuell halten. Wie sie zuerst entstanden sei, lässt sich nicht erfahren (es würde uns bei einem Versuche, diese Frage zu beantworten, gerade so ergebn, wie es den Freunden und Gegnern der Generatio aequivoca geht; was die einen für Bedingungen der Entstehung ansehn, halten die an- dern für Bedingungen der Entwicklung und Vermehrung, da man bei den Experimenten, welche die Generalio aequivoca be- weisen sollen, niemals mit völliger Sicherheit alle kleinsten Keime ausschliessen kann); es wurde aber wahrscheinlich, das8 die inficirende Materie sich ausserhalb des Körpers vermehren könne und demnach selbstständig thierisch oder pflanzlich sei. Zur Unterstützung dieses Resultats kann man noch einige Gründe anführen : 1) Der Ursprung epidemischer Krankheiten lässt sich häu- fig von Fäulniss grosser Mengen thierischer oder pflanzlicher Stoffe herleiten. Miasmatische Krankheiten sind endemisch da, wo beständig Zersetzung organischer Wesen stattfindet, in sum- pfigen und feuchten Gegenden, sie entwickeln sich epidemisch unter denselben Umständen, nach Überschwemmungen, ferner an Orten, wo eine grosse Menschenzahl bei geringem Luftwech- sel zusammengedrängt ist, auf Schiffen, in Kerkern und bela- gerten Orten etc. Man findet Beispiele davon in allen Hand- büchern angeführt*). Da aber Fäulniss und Verschimmelung *) Am vollständigsten bat sie Starft gesammelt, allgera. Patho- logie. Bd. I. p. 315 — 319. 55 nichts anders sind als Zersetzung organischer Substanz durch Infusorien oder Pilze (s. oben) und also, wenn nicht Erzeu- gung, doch Vermehrung der letzlern auf Kosten der erstem, so ist jeder faulende Körper gleichsam eiue Infusorienhecke oder Pilzplantage, und wo organische Massen auf weilen Flächen der Faulniss ausgesetzt sind, muss die ganze Atmosphäre mit Keimen derselben erfüllt sein. Fast allgemein erklärt man in unsern Zeiten die Miasmen für Efiluvien faulender oder gühren. der Substanzen, und häuGg hat man aus diesem Grunde gefol- gert, dass sie Infusorien sein möchten. Diese Hypothese steht auf 6chr schwachen Füssen, so lange man vom Miasma nichts weiter weiss, als dass es aus stagnirenden Wassern ent- springe, denn auf wie vielerlei Wegen können nicht solche Veranlassung zu Krankheiten geben? — Ganz anders gestaltet sich die Sache, wenn man sieht, dass diese, ursprünglich aus Faulniss hervorgehende Schädlichkeit sich vermehren und re- produciren kann, dass sie aus innern Gründen, unabhängig vom Boden, auf dem sie wuchert, bestimmte Entwickelungsepochen durchläuft, dass sie sterblich ist. Nur dies berechtigt uns das Miasma für belebt zu halten, und dies liess sich allein dadurch beweisen, dass wir die Identität von Miasma und Contagium anerkannten. Deswegen musste ich von denjenigen miasmati- schen Krankheiten abstrahiren, die nicht contagiüs werden, bei welchen also das wichtigste Kriterium, die Reproduction der Krankheitsursache, fehlt. Bei fernerer Vergleirumng der mias- matisch-conlagiösen Krankheiten mit dem rein miasmatischen Wechselfieber ergiebt sich, dass dem letztern auch die übri- gen Merkmale abgesehn, auf welche ich bei der Entwicklung mei- ner Ansicht von der inficirenden Materie besonderes Gewicht legte. Das Wechselficber ist nämlich auch nicht typisch, ob- gleich sehr genau rhytmisch. Es verläuft ohne Exanthem und ist daher, um mich des gewöhnlichen Terminus zu bedienen, am sichersten ein essentielles Fieber. ' Das Wechselfieber ist auch niemals eine epidemische oder pandemische Krankheit, son- dern endemisch und, wie Scropheln, Kropf, Cretinismus, an einen bestimmten Complex örtlicher Einflüsse gebunden, wäh- rend die miasmatisch -contagiösen Krankheiten, z. B. Cholera, Iufluenza, Pest, auf ihren Wanderungen durch ganze Parallel - und Meridiankreise ziehen, sich unter den mannigfaltigsten 56 atmosphärischen Verhältnissen und über die verschiedenartigsten Regionen ausdehnen, und Menschen mitten auf dem Meere er- reichen *) , dagegen durch hohe Gebirge und "Waldungen in ihrem Fortschreiten aufgehalten werden können. Nach allen Chroniken hat sich die Pest, wenn sie aus Sachsen über Thü- ringen gegen Franken vordrang, mehrmals an der Kette des Thüringer Waldes gebrochen. Jahn, welcher dies anführt, be- merkt **J, dass im Meiuingischen jedes Jahr ähnliche Verhält- nisse bei Keuchhusten vorkommen. Es bleibt also für das "Wechselfieber nach wie vor das Miasma ein rein hypothetisches Princip. Es ist übrigens für unsere Frage gleichgültig, oh die in der Luft enthaltne organische Materie schon wirkliche Thiere und Pflanzen, oder deren Keime seien, die sich am geeigneten Orte entwickeln und mehren, oder ob nur im Allgemeinen eiuc lebensfähige, zu individuellem Leben bestimmbare Masse, 6o wie ferner, ob eich diese Wesen, einmal entstanden, durch. Keime, Theilung, Eier oder wie sonst fortpflanzen. Nur das ist noch zu erwähnen, dass die Species der Infusorien und Pilze, die sich bildet, durch die Qualität der faulenden Substanz mit bedingt ist, indem entweder die in der Luft enthaltnen Keime bald mehr diesen, bald mehr jenen Boden zu ihrer Entwicklung suchen, oder nach der andern Ansicht, indem die allgemeine individualisirbare Substanz durch verschiedne Stoffe zu speeifi- 6chen Entwicklungen bestimmt wird. Wenn daher nicht jede Fäulniss Ursache von Krankheiten wird, wie denn die Luft von Cloaken, Abdeckereien, Schlacht- häusern, von einzelnen Individuen, die darin leben, oft vortreff- lich, ertragen wird, so muss man erwägen, dass es von beson- deren Verhältnissen abhängt, welche Art von Infusorien und Pflanzen sich entwickelt, und dass nicht jede Art derselben der Gesundheit gleich feindselig sein kann. So ist es unter allen Keimen von Pilzen, die die Luft mit sich führt und an verschiedenen Orlcn absetzt, nur die einzige Art von Botrytis, durch welche die Seidenwürmer angegriffen werden, 2) Dieselben Mittel, welche die Bildung der niederen Or- *) Schnurrcr, Chronik der Seuchen. Bd. I. p. 15. II. p. 371. **) Physiatrie, p. 37S. 57 ganismen befördern oder beschränken oder dieselben zerstören, befördern, bescliränken und verniebten aueb die Wirkung der inücirenden Materie. Alles, was oben von den physicalisch- ebemischen Eigenschaften der letztern angegeben wurde, passt auch auf jene. Man weiss, um ein Beispiel anzuführen, wie feindlich dem Leben der meisten niedern Organismen die Essig- säure ist und so Hess sich schon a priori vermuthen, was für den Hospilalbrand erfahrungsmässig festgestellt ist"), die gün- stige Wirkung des Essigs zur Verhütung und Heilung dieser Krankheit. Wärme und Feuchtigkeit begünstigen die Erzeugung und Fortpflanzung der Infusorien und des Schimmels, wie der Mias- men und Contagien, daher miasmatisch -contagiöse Krankheiten am häufigslen endemisch in warmen, feuchten Landstrichen und epidemisch in nassen Sommermonaten. Eines gewissen Grades atmosphärischer W7ärme bedürfen fast alle zu ihrer Entwicklung. Niemals aber kann man mit solcher Sicherheit die Entstehung epidemischer Kraokheiten voraussagen, als wenn eine sumpfige Fläche durch anhaltende Hitze aufgetrocknet worden ist, weun auf ausgebreitete Ueberschwemmung starke Hitze folgt. **) Sauerstoff ist Lebensbedingung aller organischen Wesen und in unathembarer Luft werden auch die Miasmen zerstört. Nur die Eier und Samen der Thiere und Pflanzen erhalten sich keimfähig auch in unathembarer Luft und wo daher ein Con- tagium ohne Zutritt derselben seine Wirksamkeit erhält, dürfte man annehmen, dass es aus Eiern oder Samen besieht. Dies würde also überall vorauszusetzen sein, wo ein Contagium, verschlossen und ohne eich zu vermehren, Jahre lang keim- fähig bleibt. Es giebt aber noch eine andere W7eise, wie eich niedere Thiere und Pflanzen Jahre lang ohne Nahrung und, wie es scheint, auch ohne Aufnahme von Sauerstoff erhalten, nämlich durch Eintrocknen, und auch so können, wie bereits erwähnt, Contagien lange Zeit keimfähig erhalten werden. *) LeinveLer, Ztg. des Vereins für Heilkunde. 1836. No. 37. **) S. Ferguson, uiedico-chirurg. transactions. T. VIII. p. 131. 56 3) Wenn man dieser Hypothese gemäss den Unterschied zwischen blos miasmatischen und contagiösen Krankheitsfüllen bezeichnen will, so könnte man es ungefähr ebenso, wie es gewöhnlich geschieht, ausdrücken, dass es bei diesen innerhalb des kranken Körpers bis zur Keimbildung komme, bei jenen nicht. Aber der Keim nach unsrer Hypothese ist nicht der Sprössling eines Krankheitsprocesses, d. h. einer Reihe von Veränderungen, auch nicht die Frucht einer mehr als gemisch- ten Ehe zwischen einem Begriff, der Krankheit, und einem thie- rischen Körper, sondern der Same eines gleichartigen Organismus. Organismen, welche nicht oder wenigstens nicht im Kör- ;per Samen zeugen, würden miasmatische Krankheiten erregen, Organismen, welche innerhalb des Körpers Keime bereiten, die nach Verlauf der Krankheit ausgeschieden werden, wären die Ursache contagiöser Krankheiten und die Keime das Con« tagium. Damit würde die grosse Tenacität der Conlagien stimmen, vermöge welcher sie, lange Zeit allem Luftwechsel entzogen, dennoch ihre ansteckende Kraft behalten. Im Wesentlichen aber ist es immer derselbe Stoff, der als Miasma, als flüchtiges und als fixes Contagium erscheint: Man könnte auch von der Gährung sagen, dass sie bald miasmatisch oder durch ein weit verbreitetes flüchtiges Contagium entstehe, wenn die Keime der Pilze sich aus der Luft in eine gährungs- fähige Flüssigkeit niederlassen, bald durch ein fixes Contagium, das Ferment. Noch näher liegt die Vergleichung mit der Mus- cardine, deren Keime Audouin in feuchtem Moos selbstständig sich entwickeln sah, als Miasma, dann sowohl als fixes, wie als flüchtiges Contagium weiter impfte. Das Contagiöswerden miasmatischer Krankheiten. Ich habe bisher die miasmatisch - contagiösen Krankheiten so aufgefasst, wie der Naturforscher seine Species, als etwas, in der jetzigen Schöpfung wenigstens, Constantcs und Unwan- delbares, dessen erstes Werden aber eben so wenig der Erfor- schung zugänglich ist, als die Entstehung der ganzen, todlen und lebenden Natur. Und wirklich, je characteristisclicr eine miasmatisch * contagiöse Krankheit ist, um so ßichercr ist es, dass sie von der Zeit an, bis zu welcher geschichtliche For- schung hinaufreicht, in wesentlich derselben Form geherrscht 59 Labe, und wenn sie irgendwo ßcheinbar neu auftritt, so lässt es sich wahrscheinlich machen, dass sie entweder nur von einem andern Orte dahin verpflanzt worden sei, oder dass Umstände ihre Ausbreitung begünstigt und ihre Verderblichkeit in der Art gesteigert haben, dass sie mehr als früher Aufmerk- samkeit erregte. Wo die Krankheit mit solchen speeifischen Characteren er- scheint, da haben wir auch ein Recht, deren Ursache als etwas Constantes und Unwandelbares, als distinete Species anzusehen, deshalb durfte ich das Miasma der genannten Krankheiten für identisch dem Coutagium halten, so weit als die speeifische Identität der miasmatisch entstandenen Krankheit mit der con- tagiös entstandenen festgestellt werden kann und aus demselben Grunde musste ich das sogenannte Wechselfieber - Miasma für eine Schädlichkeit anderer Art erklären. Es kömmt noch hinzu, dass auch andere Einflüsse, als das Sumpfmiasma, z.B. anhallende psychische Leiden Wechselfieber zu veranlassen scheinen (ich muss auch hier wieder sagen: scheinen, denn da wir vom Wechselfieber nichts wahrnehmen, als die Reaction des Gehirns und Rückenmarks auf unbekannte somatische Ver- änderungen, so wäre es leicht möglich, dass diese letzteren verschieden und jene doch einander ähnlich wären) während die characteristischsten miasmatisch - contagiösen Krankheiten, z. B. die acuten Exantheme sicher nicht anders, als durch die inficirende Materie entstehen. Es wird aber vielfältig behauptet, dass auch aus einer Wechselfieber-Epidemie oder Endemie sich nach und nach eine contagiöse Krankheit entwickeln könne, und es gehören na- mentlich die gastrisch-nervöseu, die SchleimGeber und das gelbe Fieber zu den Krankheiten, die unter gewissen Umständen aus endemischen Wechselfiebern allmählig hervorgehen und dann auf ihrer Höhe Contagium bilden sollen. So soll aus einfa- cher catarrhalischer Augenenlzündung die contagiöse egyptische, aus einfacher Diarrhöe die contagiöse Ruhr und Cholera ihren Ursprung nehmen. Es ist dieser Fall wohl zu unterscheiden von dem, wo dieselbe Krankheit erst miasmatisch, dann con- tagiös auftritt. Hier durften wir annehmen, dass, weil die Krankheit dieselbe ist, auch die Schädlichkeit dieselbe sei und der Unterschied nur darin liege, dass sie anfangs kinderlos 60 sterbe, spater auch im kranken Körper sich fortpflanze.') Die Annahme einer spontanen Entstehung der inGcirenden Materie erschien dabei nicht mehr und nicht weniger gerechtfertigt, als der Glaube an eine Generatio aequivoca in der Thier - und Pflanzenwelt. Dort dagegen, wenn das Wechselfieber zum gelben Fieber wird, gleicht die erste miasmatische Krankheit nicht der contagiösen, also auch das Miasma nicht dem Con- tagium, und es scheint, als würde die inficirende Materie im Innern eines Körpers gebildet, dessen Krankheit aus irgend welchen andern Gründen sich herschreibt. Es ist übrigens gleichgültig, ob diese Umwandlung der Intermittens in eine contagiöse Remittens im Verlaufe Einer Krankheit in demselben Individuum, oder im Verlauf einer Epidemie in verschiedenen Individuen Statt findet. Immer müsste es doch nach dieser Vorstellung Einer sein^ der die Krankheit miasmatisch und als mehr oder minder reines Wechselfieber empfangen hätte und sie contagiöa und als entschiedenes remitlirendes Fieber weiter gäbe. *) Ich will hier nochmals bemerken, dasä ich jede Krankheit für eine miasmatisch-contagiöse halte, deren Contagiosität auch nur durch eine einzige, sichere Erfahrung bezeugt ist. Aepfel tragen kann nur ein Apfelbaum. Und wenn in einem Jahre kein Apfel reif wird, wenn in einer Gegend niemals ein fruchttragender Apfelbaum gesehen worden ist, so ändert dies nichts in dem Wesen des Baums. An der Art seines Wachsthums, an seinen Blättern und Blüthen erkennen wir ihn doch als den, der unter einer günstigen Bedingung die Frucht zur Reife bringt. Das muss aber namentlich denen entgegnet werden, welche eine Krankheit, wie z. B. das gelbe Fieber oder die Cholera, sogleich für rein miasmatisch halten, weil in einer Epidemie keine Contagion nachgewiesen wurde oder weil ein Erkrankter ausser dem Ort, wo die Epidemie herrscht, die Krankheit nicht weiter mittheilt. Auch die Parasiten bedürfen zu ihrer Entwicklung und zur Fortpflan- zung nicht Llos eines geeigneten organischen Bodens, sondern eines bestimmten Bodens und Klimas im weitern Sinne (wie die geo- graphische Verbreitung des Bothriocephalus und der Taenia beweist). Wennn also das gelbe Fieber sich an den Küsten hält und nicht ins Innere des Landes verschleppt werden kann, so ist daraus nur zu ersehen, dass die inficirende Materie, die es erzeugt, dort die Bedingungen findet, sich fortzupflanzen und hier nicht. 61 Es wäre leicht die Thatsache überhaupt zu läugncn, denn die Möglichkeit, da9s ein ansteckendes, rerniltirendcs Fieber au3 Wechselficberepidemie hervorgehe, ist keineswegs ausser Zwei- fel gesetzt, so wie es umgekehrt wohl keine noch so ent- schieden und speeifisch contagiöse Krankheit giebt, die man nicht hier und da aus einem herrschenden Status gaslricus, bilio- su8, catarrhalis, rheumalicus u. s. f. abgeleitet hätte. Zu den, Umständen, die die Entscheidung, ob eine Krankheit contagiös* sei, überhaupt so misslich machen, kömmt hier noch eine Schwierigkeit, die der Diagnose. So wenig jeder Schnupfen eine Influenza, so wenig jede catarrhalische Augenentzündung eine egyptische, so wenig jedes acute Erythem ein Scharlach: ebensowenig darf jedes remittirende, gastrische oder nervöse Fieber für gelbes Fieber oder Typhus gehalten werden. Aeus- serc und innere Exantheme können aus vielen anderen, örtlichen und allgemeinen Ursachen, ausser einer inficirenden Materie, entstehen und Fieber kann zu diesen, wie zu den miasmatisch- contagiösen Exanthemen hinzukommen. Ich verweise über die- sen Gegenstand auf die nachfolgende Abhandlung vom Fieber. Ich will indess eine allmählige Umbildung der Intermittens in den contagiösen Typhus und das gelbe Fieber zugeben und, da es in der Kürze geschehen kann, andeuten, wie dieselbe mit der bisher vorgetragenen Hypothese in Einklang gebracht werden könne. Es sind zwei Auslegungen möglich: 1) Man kann annehmen, dass die iuficirende Materie, wie bei den miasmatisch -contagiösen Krankheiten, ausserhalb des tbierischen Organismus lebe oder wenigstens sich erhalte, dass aber ein gesunder Körper nicht der geeignete Boden für ihre Entwicklung sei, sondern eine pathologische Veränderung vor- hergegangen sein müsse, damit sie in demselben wuchere. Auch für diese Hypothese lässt sich in dem Process der Gährung eine Analogie finden. Obgleich nämlich die Materie, welche Gährung bedingt, in der atmosphärischen Luft beständig ent- halten ist, so entsteht die Gährung spontan doch nur in sol- chen Flüssigkeiten, welche ausser Zucker auch noch Kleber oder sonst eiue stickstoffreiche Substanz enthalten. Von da aus können dann mittelst der Hefe auch stickstofflose, zuckerhaltige Flüssigkeiten zum Gähreu gebracht werden. Das Ferment ist für beide Fälle dasselbe, aber die letztere ist in chemischer 62 Hinsicht nicht geeignet, um dasselbe aus der Atmosphäre anzu- ziehn oder seine Vermehrung zu einem merklichen Grade zu gestatten. Um dies Gleichniss auf unsern Gegenstand anzuwen- den, so -wäre der gesunde Körper gleich der zuckerhaltigen Flüssigkeit, die inficirende Materie gleich den Gährungspilzen und das Wechselfiebermiasma oder die durch dasselbe umgeän- derte oder gebildete, palhische Materie gleich der stickstoffhal- tigen Substanz. Durch Sumpfluft, durch Kohlenwasserstoffgas, negative Electricität, oder was man sonst will, entsteht Wech- selfieber; durch das Wechselfieber werden die chemischen Be- standteile des Bluts oder andrer Säfte umgeändert; durch diese Umänderung wird das Individuum geeignet, lebende, in der At- mosphäre schwebende Körper aufzunehmen und zu ernähren, die alsdann eine neue Form der Krankheit bedingen, und am Ende derselben als Contagium weiter wandern. Auf ähnliche Weise könnte es geschehn, dass durch den Genuss von unrei- fem Obst oder durch gewisse Witterungsconstitution bei vielen Individuen Diarrhöen entständen, und dass eben die kranke Darmschleimhaut der Boden würde für die Entwicklung leben- der, der Reproduction fähiger Wesen, die weiterhiu Bedingung von Darmexanthem werden könnten. Bei dieser Hypothese würde es also möglich auszukommen ohne Generatio aequivoca, der wir gerne, so lange es möglich ist, aus dem Wege gehn. Sollte diese indess von andrer Seite her wieder neue Stützen erhalten, so würde auch noch eine andre Erklärung für die Entwicklung contagiöser Krankheiten aus rein miasmatischen Krankheiten statthaft, indem man 2) eine spontane Entstehung der inficirenden Materie im Kranken zugäbe. Diese wäre alsdann entweder bedingt selbst- ständig, wie Elemente der Tuberkeln, des Krebses etc. (s. oben p. 45 ff), und auch damit könnte noch die Generatio aequivoca vermieden werden: oder wahrhaft individuell belebt, thierisch oder pflanzlich. Unter dieser Voraussetzung verhält eich die rein miasmatische Krankheit zur contagiösen ungefähr ebenso, wie man sich eine Dyskrasie, z. B. Scropheln zur Helminthia- sis denkt; das Miasma würde analog den Ursachen der Dys- crasie, das Contagium den Würmern oder deren Eiern ßein. Diese Vergleichung scheint mir um so stallhafter, da auch Eutozoenbilduug, wie z. B. die Egelkrankheit der Schafe, epi- ilcmlsch vorkömmt. Die Schädlichkeiten, welche hier auf ganze Ileerden wirken, erzeugen, nach der gewöhnlichen Vorstellung, nicht Lehercgcl, sondern eine eigenthümliche Cachexie, in de- ren Folge eich das Disloma in grosser Menge in der Galle bil- det. Hat sich dieser Wurm aher einmal entwickelt, so ist, da er nun einmal Eier legt, nichts leichter, als dass diese von einem Individuum den Weg za einem andern finden*). *) Die Entstellung der Eingeweidewürmer lässt sich heutzutage ohne Generatio aequivoca nicht wohl erklären. Indess ist es vielleicht nicht unpassend, hier auf eine Thatsache in der Entwicklungsge- schichte der Eingeweidewürmer aufmerksam zu machen, für welche eich mehr und mehr Belege häufen, dass nämlich die Entozoen in verschiednen Lehensperioden ganz verschiedne Organisation hesitzen und zu einer gewissen Zeit dazu bestimmt scheinen, ausserhalb des Körpers zu leben, wirklich auch freilebend angetroffen werden. Die Lernäen haben in der Jugend Augen und Schwimmfüsae wie die ei- gentlichen Schmarotzerkrebse (v. Nordmann, mikrograph. Beiträge. Bd. II. p. 49 ) , Monostomen und Distomen sind in früheren Perioden mit Wimperhaaren über die Körperoberflächc und mit Augen versehn (v. Siebold In Wiegmann 's Archiv. 1835. Bd. I. p. 69 und in Burda ch's Physiologie. 2te Aufl. Bd. II. p. 183; ferner Du j ardin in Ann. des sciences nat. T. VIII. p. 304). Viele Distomen entwickeln sich aus Cercarien, die wenigstens eine Zeit lang frei im Wasser le- ben können, und diese wieder aus organisirten, zum Theil mit Maul und Darm versehenen Keimschläuchen, die mit ihren Jungen nicht die geringste Aehnlichkeit haben. (Nitzsch, Beiträge zur Infuso- rienkunde. Ralle 1817.; Bojanus, Isis 1818. p. 729; v. Baer, N. Acta Nat. curios. T. XIII. P. 2. p. 583; Carus, ebendas. T. XVII. P. 1. p. 87. und v. Siebold in Burdach's Physiologie, a. a. O.). An diese herrlichen Entdeckungen, die Frucht und Lohn einer selt- nen Liebe und Ausdauer sind, reihen sich würdig, und auf einem andern Wege für die gleichartige Zeugung der Entozoen beweisend, die Beobachtungen von Eschricht über die Entwicklung der Band- würmer des Cottus scorpius. Diese Würmer stossen alljährlich ihre Massen von eiertragenden Gliedern ab, während nur der Kopf zurück- bleibt, der dann selbst wieder neue Glieder treibt. Kann man glau- ben, dass diese Unzahl von Eiern, welche jährlich neu gebildet wer- den, dazu bestimmt seien, zwecklos im weiten Meer zu verkommen? In anderer Weise interessant ist ein von Mies eher kürzlich mitge- teiltes Factum, dass Trematoden epizootisch in den Federbälgen jun- 64 In allen genannten Fällen ist aber das, was man Miasma nennt, etwas von der inficirenden Materie durchaus Verschied- nes. Wollte man selbst der Consequenz zu Liebe annehmen, dass auch das Miasma des Wechselfiebers ein lebendiges sei, so müsste dasselbe, damit aus dem Wechselfieher ein Typhus werde, doch seinen Character ganz umändern, es müsste gleich- sam zu einer andern Gattung werden und die Schwierigkei- ten der Erklärung würden dann dieselben sein. Vom Contagium der rein contagiösen Krankheiten. Schliesslich wende ich mich zu den rein contagiösen Krank- heiten, um zu untersuchen, inwiefern sie die vorgetragne An- sicht von der Natur des Contagium (und Miasma) der miasma- tisch-contagiösen Krankheiten unterstützen oder widerlegen. Der Ansteckungsstoff der bloss contagiösen Krankheiten ist nicht, oder nur in bedingtem Maasse, flüchtig. Der Verlauf der Krankheiten ist meistens nicht genau typisch. In allen übrigen Verhältnissen kommen sie aber mit den miasmatisch -contagiösen Krankheiten überein, darin namentlich, dass ihr Contagium im Minimum wirkt und im kranken Kör- per sich vermehrt. Unsrer Voraussetzung nach müssten also auch bei ihnen belebte organische Wesen sich nachweisen las- sen als Ursache der Krankheit und der Infection. Diese Orga- nismen müssten aber von denjenigen, welche miasmatisch -con- tagiöse Krankheiten erzeugen, darin verschieden sein, dass sie 1) nicht durch die Luft transportabel wären uud 2) nicht nach einmaliger Zeugung ausstürben, sondern in demselben Körper gleichsam perennirend, in ihrer Fortpflanzung unbeschränkt wä- ren. Sehen wir nun, wie weit die Thatsachen dies bestätigen. ger Sperlinge vorkommen (Beschreibung und Untersuchung des Mono- storaum bijugum. Basel. 1838). An diesen Ort können die Würmer leicht von aussen gelangt sein, und dies ist, wie Bliescher bemerkt, um so wahrscheinlicher, da die Würmer nur bei jungen Vögeln und immer nur an dem Hinterleihe vorkommen, also an Theilen, die hei den elien ausgekrochnen Vögeln fast unbeweglich im Grunde des Ne- stes liegen. Nach dem Absterben des Wurmes bleiben seine Eier in der fettigen, den Balg ausfüllenden Materie liegen, und könnten also» unter günstigen Umständen, etwa während des Brütens, zur Entwick- lung gelangen uud auf eine neue Generation tibergebn. 65 1) Bei der Krälze bestätigen sie es vollkommen. Die Krätze ist eine Hautentzündung, veranlasst durch den Reiz einer Milbenart, Acarus Scabiei, Sarcoples bumanus, welche auf der Haut, richtiger gesprochen, in Gängen derselben lebt. Jede Thicrspecies hat ihre eigentümliche Krätze, Räude und ihr eigenthümliches Krätzinsect. Ich darf an dieser Stelle vielleicht nochmals darauf hiuweiscn, wie es oft bei der Unterscheidung contagiöser von andern Hautentzündungen allein nur auf die Diagnose der Ursachen ankömmt. Auch die Krätzpusteln oder Bläschen wurden lange für ein eigenthümliches Excretionsorgan eines pathischen Stoffs gehalten, und man beschrieb sie genau und genauer, in der Hoffnung, sie von andern, zufälligen Entzün- dungsformen der Haut zu unterscheiden, obgleich es bekannt war, dass der Brechweiustein einen der Krätze ganz ähnlichen Ausschlag erzeuge. Viele pathognomonische Kennzeichen wer- den angegeben, die aber alle in einzelnen lallen fehlen können, und nur in der vollen Blüthe characlerisirt sich das Krätzexan- iheni mehr noch durch seinen Sitz, als durch seine Form. Jetzt, da man die Aetiologie der Krätze kennt, ist es keine Schande mehr, zu geslehn, dass sie der Form des Exanthems nach schwer von andern Hautausschlägen aus innern Ursachen, namentlich von Prurigo, zu diaguosticiren sei, und man hat ein sichres Mittel, sich zu überzeugen, dass oft Krätze, in einem geringen Grade der Ausbreitung, ohne die in den Handbüchern angegebenen Merkmale, und Prurigo mit Characteren der Krätze auftreten könne. Es lässt sich auch erklären, wie es gesche- hen konnte, dass man Krälze ohne Contagium, als Krisis inne- rer Krankheiten u. s. f. auftreten sah. Dass die Luft nicht ein geeignetes Mittel sei, die Krätz- milbe und ihre Eier zu transportiren, versteht sich von selbst. Dies Epizoon kann sich so wenig durch die Atmosphäre ver- breiten, als Läuse. Ja, es bedarf sogar einer dauernden An- näherung an das krätzige Individuum, damit Contagion Statt finde und besonders zur Nachtzeit, weil die Krätzmilbe ein nächtliches Raubthier ist *). Erwägt man ferner die Bewaffnung der Milben, so erklärt es sich, warum ausnahmsweise die Krätze auf der unverletzten Haut ansteckt. *) Aube considerations sar la gale. Paris, 1836. He nie, path. Unters. et w Dass aber die Krälzmilbe nicht ein zufälliges Epizoon der Krätzigen, sondern wirklich das Contagium der Krätze sei, wird aus folgenden Thatsachen bewiesen: a) Einimpfung des Eiters aus Krätzpusteln erzeugt nicht Krätze0). b) Die Krätze wird geheilt durch Abreiben der Milben mittelst Ziegelmehl, und durch Absuchen der Milben. Auch das SpeciGcum, der Schwefel, wirkt so sicher dadurch, dass es die Milben tödtet. c) Die Krätze kann nicht übertragen werden durch mann- liclte Krätzmilben, sondern nur durch befruchtete Weibchen. Die männliche Milbe erzeugt nur örtlich ein Paar Bläschen, aber keine wirkliche Krätze*"). Zur allgemeinen Krankheit wird also die Krätze nur dadurch, dass die Milben sich fort- pflanzen. Die Vermehrung derselben ist in's Unendliche unbe- schränkt und daher ist die Krankheit chronisch und heilt nicht von selbst. Dagegen verlassen die Acari den Körper, auf wel- chem sie leben, wenn derselbe bedeutende pathologische Um- änderungen erleidet (wie auch andre Epizoen tbun). Die Hautentzündung hört zugleich auf, und es kann scheinen, als sei die innere Krankheit eine Folge des Aufhörens der äussern. 2) Morel de Vinde schreibt auch die Klauenseuche der Schafe einem Thierchen zu, welches, wie die Krätzmilbe in der Haut, so in der Klaue des Schafes nistet, und welches er selbst gesehn haben will. Veith, der dies anführt***), bezweifelt die Thatsache, vermuthet aber selbst, dass Klauenseuche und Räude in einer gewissen Beziehung zu einander stehn, da sie bei dem- selben Individuum oft mit einander abwechselten und selbst vereint vorkamen. Hoffen wir, dass der rege und auf physio- logische Erforschung der Krankheit gerichtete Eifer der Thier- ärzte diesen Gegenstand bald aufklären werde. 3) Syphilis. Ich rede nicht von den venerischen Wür- mern oder Insecten, welche bei den älteren Schriftstellern vor- °) Köhler, in Med. Vereinszeitung. 1836. No. 9. 41. **) Hertwig in Gurlt uud Hertwig, Magazin der Thierheil- Icunde. 1835. Heft 2. ***) Veterinärkunde. Bd. II. p. 93. 67 kommen und nicht beobachtet, sondern erschlossen sind"). Kürzlich fand Donne**) im Schankcrcitcr mikroskopische Thier- cheu, Vibrio lineola; diese kommen auch vor in syphilitischen Geschwüren, die man durch Inoculation von Schankereiter erzeugt hat (p. 11). Im Eiter des Trippers und der ßubo- nen sollen diese Vibriouen fehlen (p. 7. 39. ) und dieser Eiter auch, wie Donne meint, nicht syphilitische Geschwüre erzeugen. Dem widersprechen aber, für den Buboneneiter we- nigstens, Ricord's Erfahrungen***). In dem Eiter bei syphilitischer Vaginitis kommeu nicht al- lein Vibrionen vor, sondern auch Infusorien von ganz eigen- tümlicher Form, Trichomonas vaginalis Donne, etwa doppelt so gross, als menschliche Blutkörperchen (T|5 — ^j Mm.) Ihr Körper ist oft rund, kann sich aber in verschiedne Formen ver- längern und ist meistens elliptisch an beiden Enden zugespitzt. An dem einen Ende trägt das Thier einen sehr langen, dün- nen, einfachen, zuweilen gabiig gelheilten, peitschenförmigen Anhang, den es nach allen Richtungen bewegt, und an einer Seite 3 — 5 feine Cilien, die eine rotirende Bewegung haben, und, wie es scheint, eine Mundöffnung umgeben. Das andre Ende ist oft unregelmässig, zuweilen aber, wenn das Thierchen sich bewegt, dehnt es sich in eine Art Schwanz aus, der viel- mehr aus einem zähen, klebrigen, in die Länge gezognen Saft zu bestehn scheint. Im Innern des Körpers unterscheidet man nur unregelmässige dunkle Punkte, unter denen oft einige grös- ser und deutlicher sind. Nicht selten sieht man die Thierchen mit dem Hinterlheile gruppenweise zusammengeheftet. Meistens liegen sie ganz ruhig und bewegen bloss die Cilien, doch ge- lingt es auch zuweilen eine Ortsbewegung warzunehmen. R. Froriepf) hat diese Thierchen auch gesehn, in der sonst ge- *) Vergl. Deidier, dissertation sur les mala dies veneriennes. Paris, 1710. **) Recherches raicroscop. sur la nature des mueus. etc. Paris. 1S37. Im Auszug und kritisirt. Ricord, mal. ven. p. 58. ff. ***) Unrichtig ist Donne' s Angabe, dass die Eiterkügelchen des Schankers und der Bubonen weniger scharf und regelmässig seien, als die von phlegmonösem Eiter. Dagegen hat sien auch schon Gluge ausgesprochen (Anat. mikroskop. Untersuchungen. Heft 1. p. 28). i) Neue Notizen. No. 25. 68 sundea Scheide eines Mädchens, die an syphilitischem Exanthem litt. Ich habe sie bei syphilitischen Ausflüssen der Scheide sel- ten vcrmisst. Endlich habe ich auch bei syphilitischen Mäd- chen zuweilen confervenarlige Fäden gefunden, wenn ich den Schleim von den Wänden der Scheide abschabte. Es fehlt also nicht an Thatsachen, welche die Vermulhung erregen, dass die Ansteckung in der Syphilis durch Thierchen oder Pflanzen erfolge. Man muss indess gestehn, dass alle an- geführten Beobachtungen nichts weniger, als beweisend sind. Was zunächst die Vibrionen betrifft, so erscheinen sie in einer Menge von Excreten und auch in Eiterarten, die nicht syphilitischen Ursprungs sind. Donne giebt selbst zu, sie bei gutartiger Balanitis gefunden zu haben (p. 8). In andern Eiter- arten hat er sie nicht gesehn (p. 5); dass sie indess an jeder Stelle, wo Eiter stockt, vorkommen können, ist ein constatir- tes Factum. Auf der andern Seite fehlen die Vibrionen iu Ge- schwüren, die offenbar syphilitischer Natur sind, wie die Bu- bonen. Gluge vermisste sie in reinlich gehaltnen Schankern und in Eiter, mittelst dessen Inoculation Ricord syphilitische Geschwüre hervorbrachte0). Man kann also Donne nicht ein- mal zugeben, dass die Vibrionen zur Diagnose syphilitischer Geschwüre benutzt werden könnten, wenn man sie nicht für das Contagium selbst halten wolle. Noch unwahrscheinlicher ist es, dass die Trichomonas vaginalis in dem Contagium der Syphi- lis eine wesentliche Rolle spiele. Sie fehlt in venerischen Ge- schwüren der Männer und findet sich in der weiblichen Scheide auch bei nicht syphilitischen Ausflüssen. Im gesunden Schleim (Epithelium) der Scheide soll sie zwar nach Donne nicht vor- kommen (p. 27), gutartigen Eiter aber hat derselbe nicht unter- sucht, nur in einem Falle fand er das Thierchen, wo der syphi- litische Character des Ausflusses wenigstens sehr unwahrschein- lich war (p. 34). Es ist also vielleicht nur ein Entozoon der Scheide oder ein Infusorium des Schleimes derselben**). Aehnliche Iufusorien kommen in der sogenannten Matrix der Blutegel vor. Dasselbe kann endlich von den confervenartigen Fäden gel- *) a. a. O. p.*8. **) Von den Flimmercylindern des Uterus unterscheidet es 6ich leicht durch seine Form und seinen peil. sehen förmigen Anhang. 69 tcn, deren ich oben gedacble. Ich finde deren auch, untermischt mit Vibrionen, in dem Schleim des Mundes, der zwischen den Zähnen stockt und in den ausgeräusperlen Sputa bei gastrischen Zuständen, zwischen den Epitheliumfragmcnten. 4) Schönlein hat in den Pusteln der ansteckenden Por- rigo einen Pilz entdeckt*) und weitere Mittheilungen über diesen Gegenstand versprochen. Erst danach wird sich beur- I heilen lassen, ob der Pilz Ursache der Pusteln und also das Contagium derselben oder ein nur zufällig auf ibnen wuchern- des Gewächs ist. Dies sind alle Thatsachen, welche sich bis heule für die Theorie des Contagium animatum anführen lassen. Ausser der Krätze ist also nirgends die Ansteckung durch Thiere oder Pflan- zen sicher bewiesen, und ich kann noch aus eigner Beobach- tung hinzufügen, dass ich in dem Schleim rotziger Pferde, den ich durch Herrn Prof. Hertwig's Güte mehrmals zu untersu- chen Gelegenheit fand, in Schanker- und Trippereiter nur die gewöhnlichen Elemente eines schlechten, jauchigen, oder selbst normalen Eiters sah. Bei ansteckenden Dyäcrasien denkt ohne- hin Niemaud an ein belebtes Contagium im gewöhnlichen Sinne. Es gilt aber für die Untersuchung dieser Contagien, was für die Contagien miasmatisch -contagiöser Krankheiten, dass das negative Resultat nicht ganz entscheidend ist, und es bleibt ferner bei jenen, wie bei diesen, die Möglichkeit, dass das Con- tagium lebend und doch nur Elementartheil des kranken Kör- pers, dass es, wie ich es früher nannte, iglativ belebt sei. In der Alternative, ob die inficirende Materie miasmatisch -conta- giöser Krankheiten absolut oder relativ selbstständig sei, wurde das erstere wahrscheinlicher, weil Gründe dafür sprachen, dass die inficirende Materie sich ausserhalb des kranken Körpers ent- wickeln und vermehren könne. Diese Gründe fallen weg bei den rein contagiösen Krankheiten, deren Ansteckungsstolf jetzt nur noch von Körper zu Körper sich forterbt oder unter ge- wissen Bedingungen in einem einzelnen Körper neu gebildet wird. Dies, zusammengehalten mit dem negativen Resultat der mikoskropischen Beobachtungen, könute uns bestimmen, das Contagium der rein contagiösen Krankheiten für eine relativ *) Müll er 's Archiv. 1839. Heft i. p. 82: 70 . selbständige, trausplanlirbarc Materie zu halten. Es zerfallen aber die hierher gehörigen Krankheiten, wenn man die Conta- giosität der dyscrasischen Producte, des Krebses, der Tubeiv kein, Warzen etc. zugiebt, wieder in 2 Familien, von denen die erste noch in Bezug auf die Eigenschaften ihres Ansteckungs- stoffes den miasmatisch-contagiösen Krankheiten mit fixem Con- tagium sich nähert; ich rechne dazu Syphilis, Rotz, Hunds- wuth, Lungenseuchc (?) und Klauenseuche (?). Schankergift zeigte sich, in gläsernen Röhrchen aufbewahrt, nach 8 Tagen noch wirksam*). Das Contagium des Rotzes**), der Hunds- wulh, der Lungenseuche behält bekanntlich auch im getrock- neten Zustand seine Kraft. Die meisten unter den hier zu* eammengestellten Krankheiten haben ausserdem noch das mit- einander gemein, dass sie, heutzutage wenigstens, nicht neu erzeugt, sondern immer nur von einem Körper zum andern fortgepflanzt werden, ein Umstand, der sich ebenfalls noch wohl mit der Ansicht verträgt, dass sie einem absolut selbstständigen Wesen ihre Entstehung verdanken. Das Contagium der zwei- ten Familie aber (Tuberkeln, Krebs, Condylome, Warzen) un- terscheidet sich von der inficirenden Materie auch noch in den andern Beziehungen, in welchen wir gerade eine Achnlichkcil der letztem mit Infusorien und Pilzen erkannten. Während der Ansteckungsstoff der miasmatisch - contagiösen und auch der früher genannten rein contagiösen Kraukheiten an Lebenszä- higkeit den niedersten Thier- und Pflanzenformen gleich kömmt, erhalten die Contagien dieser zweiten Familie grösstenteils, wie Samen und Blut, ihre Wirksamkeit nur bei der unmittel- barsten Ueberlragung. Daraus lässt sich schon ciusehu, warum bei vielen dieser Krankheiten die Ansteckung so selten erfolgt, und meistens nur, obgleich sie immer das Werk eines Augen- blicks ist, nach längerm Zusammenleben, wo die Gelegenheiten" der Mittheilung sich mehren. Diese Krankheiten sind es eben, die spontan in dem dispo- nirten Körper sich entwickeln, und die Erblichkeit derselben *) Ricord, traite pratique des maladics veneriennes. Paris. 1838. pag. 99. **) Hurtrel d'Arboval, Wörterb. der Tliierlieilkunde. Aus d. Französ. Weimar 1831. Bd. III. p. 510. 71 beweist, dass die Bedingungen dazu schon im einfachen Keim enthalten sein können. Ihr Contagium entwickelt sich im Laufe einer Dyscrasie, während bei der ersten Familie die Dyscrasie der Bildung von Conlagium nicht vorangeht, sondern folgt. Alle rein conlagiösen Krankheiten oder fast alle haben aber das miteinander gemein, dass ihre Ansteckungssl offe entschieden nicht flüchtig sind, und auch diejenigen, welche für flüchtig gehalten werden, wie das Conlagium des Rotzes, stecken nur in der nächsten Nähe des Kranken an. Deswegen kann auch das Contagium dieser Krankheilen niemals die Luft auf weitere Strecken inficiren und als Miasma wirken. Endlich zeigt sich die Ursache rein contagiöser Krankheiten in ihrer zeitlichen Ent- wicklung minder sclbstständig, als die inficirende Materie; der Verlauf rein conlagiöser Krankheiten ist meistens chronisch und mehr oder weniger abhängig von den Reaclionen des erkrank- ten Organismus. Auch schützt die Krankheit weder während ihrer Dauer, noch nach ihrem Ablaufe vor neuer Infection. Erscheinungen und Verlauf der rein conlagiösen Krankheiten. Ich rede hier nur von der ersten Familie der rein conta- giösen Krankheiten. Für die zur zweiten Familie gehörigen, die man unter der Benennung der ansteckenden Geschwülste zusammenfassen kann, ist schon oben p. 45 eine Erklärung versucht worden. Zu derselben Gruppe gehören vielleicht noch, da sie ebenfalls aus einer Dyscrasie hervorgehn, die scrophulö- sen chronischen Hautentzündungen, Tinea u. A., wie überhaupt Excresceuccn der Haut nnd Entzündungsformen derselben nicht streng voneinander geschieden werden können. Das breite Con- dylom und der granulirende Schanker, ja schon ein eiterndes Geschwür und ein luxuriirendes sind allmählig in einander über- gehende Formen derselben krankhaften Metamorphose. Mit Ausnahme der Hundswuth, welcher am Schlüsse die- ses Abschnittes gedacht werden soll, verhalten sich die rein contagiösen Krankheiten hinsichtlich der Aufnahme und der er- sten Wirkungen des Ansteckungsstoffes ganz gleich den mias- malisch-contagiösen, aber die Entzündung wird bei jenen chro- nisch, zu einem Geschwür, theils weil die Entwicklung des TTontagium nicht in so bestimmte, zeitliche Grenzen eingeschlos- 72 sen ist*), theils weil in dem ergriffnen Körper durch die Krank- heit die Anlage nicht erschöpft wird, theils endlich, weil auf dem callössn Wall, der durch die entzündliche Exsudation ins Zellgewebe gebildet wird, eine normale Regeneration nicht leicht von Statten geht. Auch gutartige Geschwüre mit callösen Rän- dern sind nicht geneigt zu heilen. Es wäre von grosser Wichtigkeit für unsre Aufgabe, das Verhältniss, in welchem Tripper und Schankercontagium zu einander stehn, klar zu durchschauen, da der Tripper in man- cher Beziehung den miasmatisch -contagiösen Catarrhen so nahe verwandt ist. Die Ansicht, die schon von Hunter bekämpft und jetzt wieder ziemlich die allgemeine geworden ist, dass nämlich dasselbe Contagium hier Tripper, dort Schanker mit- theilen könne, erhält durch Ricord einen neuen Stoss. Die Versuche, welche er in einer Ausdehnung und mit einer Ge- nauigkeit angestellt hat, die vollkommne Sicherheit versprechen, haben gezeigt, dass Schanker eich durch Impfung verpflanzen lässt, Tripperschieini aber immer ohne Erfolg geimpft werde, dass also Schanker- und Trippergift nicht identisch sind. Die älte- ren Beobachtungen, die diese Identität voraussetzen, können daher nur mit Misstrauen benutzt werden, und aus Ricord's sonst so schätzbarem Werke erfahren wir, ausser der negativen Eigenschaft, vom Trippergift nichts. Ricord hält es nicht ein- mal für einen speeifischen Stoff; er trennt den Tripper nicht von andern Schleimflüsscn in Folge von Irritation und rechnet den Schleim mit zu den irritirenden Substanzen. Darnach müsste jeder Schleimfluss anstecken. Da dies nicht der Fall ist, so müsste der Tripperschleim eine besondre Schärfe haben, die zur Entzündung reizt. Da aber das Secret der zweiten, fortgepflanz- ten Entzündung wieder nicht ein gewöhnlicher Schleim, son- dern derselbe scharfe Schleim ist, so ist an der Keproduction des speeifischen, scharfen Stoffs nicht zu zweifeln, und also ist dieser ein Contagium. *) Auch das Stad. latentis contagii scheint zu fehlen. Nach Ri- cord (a. a. O. , p. 89) entwickelt sich die characteristische Schan- kerpustel vom Augenblicke t)er Impfung an und auch bei der natür- lichen Ansteckung wird oft der rolhe Fleck , aus dem das Geschwui hervorgeht, schon wenige Stunden nach dem Coitus bemerklich. Die Lungenseuche*) zeichnet sieb dadurch aus, dass nicht Geschwüre, sondern tuhcrkelartige Geschwülste in den inGcir- ten Lungen sich bilden, die später zu Vereiterung und Schleim- fluss Anlass geben und mit dem Schleim wieder Contagium ausslossen. Lange Zeit können die Geschwülste ohne merkliche Krankheitssymptome bestchn, und darum ist der Zeitraum zwi- schen Infeclion und sichtbarem Ausbruch der Krankheit sehr lang, zwischen 12 und 20 Wochen. Seine Dauer ist unbe- stimmt, weil das frühere oder spätere Eintreten der Vereite- rung und des Fiebers von vielen Zufälligkeiten abhängt; es kann selbst das Fieber und die sichtbare Krankheit für den Augen- blick beschwichtigt werden und die Krankheit gehoben schei- nen, dabei aber dennoch die Desorganisation der Lunge fort- schreiten und conlagiös bleiben. Ohne Zweifel sind aber auch diese cnl arteten Massen nicht wirkliche Tuberkeln, sondern hc- patisirfe Stellen der Lungen, faserstofGgc Exsudationen in die Lungenzellen, die das Ansehn von Tuberkeln dadurch gewin- nen, dass sie anfangs auf einzelne Stellen beschränkt sind. Gewiss werden sehr häuGg solche locale Faserstoffexsudatc für Tuberkeln angesprochen, und ich glaube, dass die Con- troverse, ob Tuberkeln Folge von Entzündung sein könneu oder nicht, bald entschieden wäre, wenn man einig darüber wäre, was Tuberkeln sind. Bis jetzt heissen alle isolirten, grauen oder weisslichen, mehr oder minder rundlichen Knöt- chen der Lunge und andrer Organe Tuberkeln. Das Mikroskop aber weist nach, dass dergleichen Knötchen bald nur aus unorga- nisirtem, geronnenem Faserstoff, bald aus Eiterkügelchcn, bald aus wahrhaft eigenthümlichen Elementen, Zellen mit körnigem Inhalt bestehn. Wenn man die letzten allein für Tuberkeln hält, so sind Tuberkeln niemals die unmittelbare Folge von Entzündung. Auch bei den rein contagiösen Krankheiten rühren also die ersten Symptome von der örtlichen Einwirkung her, und nicht von der Aufnahme der Krankheitsursache ins Blut. Im weitern Verlauf aber kommen Zufälle vor, die für den Ueber- gang des Contagium ins Blut oder in die Lymphe zeugen, seeun- *) Ich folge der Darstellung von Sauter, die Luugenseuche des Rindviehs, ihr Wesen etc. Winterthur. 1835. 74 därc Entzündungen und Abscesse, deren Eiter Conlagium ent- hält, und an Körperstellen, wohin dieses nur durch das Blut gelangt sein kann. Ich rede von den Bubonen bei der Syphi- lis, deren Eiter nach Ricord gewöhnlich inoculirbar ist, und von den Lymph- und Wurmgeschwülsten beim Rotz der Pferde. In beiden Fällen findet gewissermaassen eine Ansteckung eines Theils durch den andern Statt und der Träger des Ansteckungs- stoffs ist Lymphe und Blut. Beide Krankheilen aber, Syphilis und Rotz, verhalten sich nicht gleich in Beziehung auf die Tiefe, bis zu welcher die Säfte des Körpers inficirt werden. Bei der Syphilis kann durch die Impfung das Contagium nicht jenseits der Lymphdrüsen nachgewiesen werden. Das Blut, die secer- nirten Säfte und die seeundären Eiterungen und Ausschläge stecken nicht an, und Ricord ist der Meinung, dass in dem Blute sogleich die virulenten Eigenschaften des Scbankers ver- nichtet würden *). Beim Rotz dagegen geben auch die seeun- dären, durch das Blut vermittelten Entzündungen einen anstek- kenden Eiter und in Uebereinstimmung damit lässt sich die Krankheit sowohl durch das Blut selbst, als durch die zunächst aus demselben bereiteten Säfte impfen. Viborg**) impfte den Rotz, abgesehn vom Rotzeiter selbst, der sich in 43 Versuchen jedesmal ansteckend erwies, mit folgenden von kranken Pfer- den entnommenen Stoffen, mit Eiter aus Lymphdrüsen des Netzes und Darms und aus Wurmgeschwüren, mit Urin, Spei- chel, Schweiss, Blut***). Auch die zu Tropfen gesammelte, dampf- förmige Ausdünstung aus der Nase wurde mit Erfolg inoculirt. In allen diesen Fällen geschah die Impfung auf der Naseuschleim- haul; aber auch auf die äussere Haut unmittelbar konnte Rotz- eiter geimpft werden und verursachte dann Wurmblattern (11.315). Endlich wurde durch Injection von Blut rotziger in die Venen gesunder Pferde ebenfalls Rotz übertragen (II. 335). Die Krank- heit entstand hier zuerst in den Lungen, weil das Conlagium von Körpervenen aufgenommen war; es würde Wurm cnlslan- *) a. a. O., p. 162. **) Ueber Rotz, Wurm und Kropf in dessen Sammlung von Ab- bandlungen etc. Bd. II. p. 255. III. p. 261. »**) a. a. O. Bd. II. p. 302. 326. 331. 334. 347. III. p. 312. 75 den sein, wenn es möglich gewesen wäre, dasselbe unmillclbar in die Lungenvenen einzuführen. Nach allem diesem scheint fcs, als ob die allgemeine Dys- crasic, welche den rein contagiösen Krankheilen folgt oder sie begleitet, nicht überall in den nämlichen Verhältnissen begrün- det sei. In der Lungenseuche bleibt das Gift ganz local be- schränkt, das Blut enthält kein Conlagium*), die allgemeine Krankheit und der Tod sind Folge der Lungenentzündung und Eiterung und der beschränkten Respiration. Im Rotz wird die Krankheit allgemein, weil das Blut allen Theilcn den Anstek- kungssloff zuführt, und die Erfahrungen lehren auch hier wie- der, dass nicht die Schleimhäute, Drüsen u. s. f. Cootagiuni aus dem Blut bereiten, sondern dass dieses im Blute präcxistirl und die Ausleckung gleichsam von innen heraus Stall findet. In der Mitte zwischen beiden Krankhcitsformen steht die Syphi- lis, deren Contagium zwar von den nächsten Lymphgefässen aufgenommen wird und die nächsten Lymphdrüsen, wie das Rolzgift, von innen heraus ansteckt, dann aber im Blute ver- schwindet und in den seeundären Eiterungen nicht wieder er- scheint. Um diese sich zu erklären, müsste man annehmen, entweder dass das Schankergift zwar fortbestehe, auch sich innerhalb des Kranken vermehre, aber aufhöre, transplantirbar zu sein, oder dass im Laufe der primären Syphilis das Blut und die Gewebe eine Umwandlung erleiden in derselben Weise, wie auch unbelebte Stoffe, metallische Gifte, Narcotica elc. lauge einwirkend, den Körper so verändern, dass mit der Neu- tralisation und Entfernung der Stoffe selbst die pathologische Reacliou nicht beseiiigt ist, sondern, mit einem Worte, eine Dyscrasic zurückbleibt. Ich würde lieber der letztem Ansicht bei- treten, schon deshalb, weil die seeundäre Syphilis gleich andern Dyscrasicn erblich ist. Zwar wird auch vom Rolz behauptet, dass er erblich sei, doch sind darüber die Stimmen sehr ge- theilt, und sehr strenge Beobachter, unter ihnen Viborg, ha- ben sich gegen die Erblichkeit erklärt. Die Vertheidigcr der- selben aber sind solche, die, wie z. B. Dupuy, den Rotz überhaupt nicht für eine contagiöse, ja nicht einmal für eine speeifische Krankheit, sondern für eine Form der Druse oder *) Sauter, a. a. O. p. 127. 76 der Tuberkelkrankheit halten, und 6ic begelin noch ausserdem den Fehler, dass sie angeborne und erbliche Krankheiten ver- wechseln. Dass rotzige Stuten rotzkranke Fohlen werfen, zeugt nicht für die Erblichkeit, da hier die Krankheit nickt von feh- lerhafter Beschaffenheit des Keimes, sondern von Infection des reifen Fötus durch das mütterliche ßlut bedingt ist. Hundswut h. Das Contagium der Hundswuth vermehrt sich in dem angesteckten Körper und zeigt sich auch in der Entwicklung einigermaassen typisch durch die ziemlich gleichmässige Dauer des Stad. latentis contagii. Nach y. Walther kann dieses durch intercurrente Krankheiten, z. B. Masern, verlängert werden*). Das Wuthcontagium unterscheidet sich dadurch von den thierischen Giften und erweist sich als eine selbstständig belebte Materie. Das Contagium ist fix. Es zeichnet sich aber von den andern fixen Ansteckungsstoffen dadurch aus, dass es nicht an der Impfungsstelle, sondern im Blute selbst sich entwickelt. Es nähert sich in dieser Hinsicht dem Peststoffe und ist ein Para- sit des Blutes in dem Sinne, wie wir den Peststoff einen Para- siten der Lymphe genannt haben. Die Impfungsstelle verhält sich dabei ganz indifferent. Die Impf- und Bisswunden ver- narben und scheinen auch später, wenn die Krankheit aus- bricht, nicht wesentlich betheiligt zu sein. Sicher ist dies bei Hunden**); bei Menschen soll, wie allgemein angegeben wird, zur Zeit des Ausbruchs der Wuth die Eiterung der Wunde schlecht, die Wunde und Narbe schmerzhaft werden. So würde aber wohl jede andere Wunde und Narbe, nicht bloss die in- ficirte sich verhalten, da bei tiefen Affectionen des Nervensy- stems jedes Geschwür sich verschlimmert und bei allgemein excilirenden Einflüssen immer in Wunden und frischen Narben Schmerz empfunden wird. Ich weiss aus eigner Beobachtung, dass ganz oberflächliche Hautausschläge (Eczema) noch 2 — 3 Wochen nach der Vernarbung bei einer allgemeinen Aufregung und Erhitzung heftig jucken, selbst brennen. Dass das Contagium au der Impfstelle ruhe und erst spä- *) System der Chirurgie, p. 273. **) Hertwig>_a. a. O. p. 171. 77 (er aufgesogen werde, ist also eine unerwiesene Voraussetzung, die auch schon dadurch widerlegt wird, dass die Zerstörung der Impfstelle, wenn sie nicht in der ersten Zeit unternommen wird, nicht mehr vor der Krankheit schützt. Es fragt sich weiter, wenn das Wulhgift ins Blut gelangt ist, ruht es hier bis zur Zeit des Ausbruchs unentwickelt, oder vermehrt es sich von Anfang an allmählig und bricht die Krankheit aus, wann es sich zu einer gewissen Quantität angehäuft hat? Das letztere ist wahrscheinlicher, weil die Dauer des Stad. latentis coutagii zu sehr schwankt *) , als dass sie von innern Verände- rungen der ansteckenden Materie allein abhängen sollte. Das plötzliche Auftreten der Krankheit ist kein Einwurf; man sieht auch wie Quecksilber in kleinen Dosen lange ertragen wird und dann in wenig Tagen den Speichelfluss erregt, wie die Bleikolik ihre Anfälle rasch und heftig macht, indess die Blei- theile unausgesetzt, während Wochen, Monaten im Organismus sich anhäufen. Die Hydrophobie ist eine Nervenkrankheit, d. h. die auf- fallendsten Symptome derselben hängen von Alteration der Cen- tralorgane ab. Der Grund aber der Veränderung im Nerven- system ist die abnorme Beschaffenheit des Blutes. Das Blut nimmt die Krankheitsursache auf und enthält sie noch am Ende der Krankheit, denn es ist ansteckend und theilt das Contagium den Secreten, wenigstens dem Speichel, mit**). Die Central- organe sind auch nicht die einzigen, welche den Einfluss des veränderten Blutes empGnden. Bald dieser, bald jener Theil, Schlund, Rachen, Lungen, Magen, Darm etc. zeigen nach dem Tode Spuren einer Art von Entzündung und verändern während der Krankheit durch ihren Antheil das Bild derselben. Bei die- sen Eingeweiden beschränkt sich unsre Erkenntniss auf die ab- weichenden Quantitäten des Blutes, welches sie enthalten; qua- litative Verschiedenheiten zwischen hydrophobischen (wenn ich so sagen darf) und typhösen Lungen- oder Darmentzündungen zu finden, sind unsre diagnostischen Hülfsmittel nicht fein ge- nug. Anders beim Gehirn. Auch das Gehirn leidet an Con- *) Zwischen 19 undj.50 Tagen in Hertwig's Versuchen. Bei Menschen hat man noch grössere Differenzen wahrgenommen. •*) Hertwig, a. a. O. p. 113 ff. 78 gcstion aber zugleich fällt uns die lleaction in ganz speeifischer Weise, die eigenthümliche Art der Delirien auf, welche der Qualität des kranken Blutes entspricht. Wenn Ein Wein mürrisch, ein andrer fröhlich, ein dritter zänkisch macht, wenn bei chronischer Intoxication (im Delirium tremens) jedesmal Hatten und Mäuse vorgestellt werden u. s. f., so hat es nichts Wunderbares, dass das speeifische Gift der Hundswuth be- stimmte Bilder, bestimmte Appetite und Wahnvorstellungen hervorbringt. Durch diese aphoristische Darstellung, die ich nicht weiter ausführe, weil ich auf denselben Gegenstand an einem an- dern Orte zurückzukommen denke, wünschte ich zu zeigen, dass sich die Phänomene der Hundswuth zwanglos aus der Voraussetzung erklären lassen, dass eine speeifische, der Re- produetion fähige Materie dem Blute beigemischt sei. Welcher Art aber ist diese Materie? Wir haben keine di- recten Untersuchungen darüber, und dieselbe Betrachtungsweise, die uns bisher geleitet hat, führt hier zu unauflöslichen Räth- seln. Die Krankheit entsteht nicht bloss durch Ansteckung, sondern auch spontan, wie auch Hertwig, dessen Stimme in dieser Angelegenheit wohl die gewichtigste ist, bezeugt*). Aber die spontane Entstehung ist keine miasmatische. Zwar sprechen ältere Beobachtungen (1783. 1785.) von Hundswuthepidemien in America, wo selbst Hunde am Bord der Schiffe toll wur- den**): aber heutzutage tritt die Hydrophobie sporadisch, bei jeder Jahreszeit und Witterung auf. Die Schädlichkeit kann also, nicht in weitern Strecken der Atmosphäre beigemischt sein; sie kann aber überhaupt nicht durch die Luft verbreitet werden, da eie als Contagium wenigstens nicht flüchtig ist und auch Hunde in der nächsten Nähe der Kranken nicht ansteckt. Dass aber in allen Fällen, wo die Wuth von selbst ausbrach, ein fixes Contagium, etwa aus frühern Epidemien, eingewirkt habe, klingt sehr unwahrscheinlich***) und ist auch deshalb nicht wohl *) a. a. O. p. 28. **) Schnurrer, Chronik der Seuchen. Bd. II. p. 382. 389. ***) Obgleich von der Tenacität des Hundswutligiftes sehr merk- würdige Beispiele angeführt werden. S. unter Andern Stark, allg. Path. p. 368. 79 zuzugeben, weil das Gift nicht schadet, wenn es auf den gewohn liehen Wegen, sondern nur, wenn es unmittelbar ins Blut ge- langt; ferner weil nur Thicrc aus dem Hundegeschlecht primär erkrauken, da doch das Contagium, wenn es fertig in der Schöpfuug exislirte, auch von andern Thieren, die unter glei- chen Einflüssen leben, b. B. Katzen, aufgenommen werden mutetet Demnach könnte das Nundswuthgift nur in der Reihe der relativ selbslständigen Stolle eine Stelle finden; es muss sich im Körper neu erzeugen können. Dazu stimmt auch, dass es, wie man doch annehmen muss, im flüssigen Zustande die Wände der Capillargefässe durchdringt und in abgesonderten Säften erscheint*) Allein die spontane Krankheit tritt auf, wie die contagiös erzeugte, und da sie ganz so verläuft, wie diese, so muss , wenn wir bisher richtig geschlossen haben, der Stoff, dessen Wirkung sie ist, vor dem Ausbruch der Krankheit im Körper existirt haben, er muss sich also im scheinbar gesunden Körper bilden können. Wie wenn man gar den Erzählungen glauben müsste (die man freilich noch bezweifeln darf), dass heftig gereizte Hunde, ohne selbst krank zu sein oder krank zu werden, durch ihren Biss Menschen die Wulh mitgetheilt hätten? Ich habe die Schwierigkeiten nicht verhehlen wollen, welche1 diese Krankheit meinem Erklärungsversuche entgegensetzt. Es kömmt auf das statische Moment an, wie schwer die hier er- regten Zweifel drücken im Verhältniss zur Festigkeit der Er- fahrungssätze, auf welchen unsre Deduction bis hicher aufge- baut wurde. Dies zu ermessen, muss dem Urtheil des Lesers, der mir bis hieher gefolgt ist, überlassen bleiben. Ich darf mich indess darauf berufen, dass die Hydrophobie unter andern, zur Zeit möglichen Voraussetzungen nicht begreif- licher wird. Vielleicht wird sie es durch fortgesetzte Erfor- schung der Thatsachen auf dem so erfolgreich eingeschlagene» Wege**). Aber weun man auch am Ende eingestehn müsste *) S. oben p. 46. Anra. **) Eine Frage von hohem Interesse, die experimentell entschie- den werden könnte, ist, ob das Blut geimpfter Thiere vor dem Aus- bruche der Wasserscheu oder zur Zeit der Vorläufer schon Contadum 80 dass sie überhaupt von eiueni andern Standpunkte zu beurtheilen sei, so scheint mir nicht zweifelhaft, welchen Weg man zu verfolgen habe. Sollen wir die chemischen Forschungen, die uns Einsicht in die Wirkung des Speichels, des Magensaftes, der Galle auf die Speisen gewähren, deshalb aufgeben, weil an dem Problem, wie der Samen auf das Ei wirke, alle chemi- schen Kenntnisse zum Spott werden? Es gab eine Zeit, wo man so verfuhr, wo man lieber Speichel und Galle dem Samen ver- glich, der die unentwickelte, belebungsfähige Materie der Sub- stanz des verdauenden Körpers assimlirc. Die Früchte, welche diese Methode für die Physiologie und practische Medicin ge- tragen hat, sprechen nicht günstig für dieselbe. S c h 1 n s s. Es ist ein Uebelsiand, der die theoretische Betrachtung über unsern Gegenstand sehr schwierig macht, dass nämlich so wenige Beobachtungen so angestellt und erzählt sind, dass sie mit Zuversicht benützt werden könnten. Es giebt in dem gan- zen Gebiet kaum eine Behauptung, die nicht auf Erfahrungen gegründet und wieder durch Erfahrungen widerlegt wäre. Un- ter diesen Umständen wird man der Theorie rathen zu warten, bis die Erfahrungen reifer sind; aber ich glaube vielmehr, dass die Erfahrungen, um zu reifen, des Lichtes einer vernünftigen Theorie bedürfen. Man gefällt sich in dem Witze, dass der Theoretiker eine geneigte Antwort auf seine Frage der Natur abzwinge; aber die Natur antwortet nur, wenn sie gefragt wird, oder richtiger, sie spricht beständig zu uns und mit tausend Zungen, aber wir vernehmen nur die Antwort auf unsre Frage. Es giebt nur Eine reine Erfahrung, das ist die sinnliche Wahr- nehmung; schon indem wir sie aussprechen, theoretisiren wir; wir sondern das Bleibende, Wesentliche (Subject) von dem Zufälligen (Prädicat). Was aber unter einer Masse von Prädi- caten wesentlich sei, was zufällig, lernen wir nur durch Ver- gleichen und das Resultat der Vergleichung spricht sich aus als enthält und durch Impfung ansteckt. Ein affirmatives Resultat würde wenigstens beweisen, dass nicht der Körper während der Krankheit das Contagium bereitet. Sl Gesetz, als Theorie. Man hat gar nicht die Wahl, die Nalur theoretisch oder empirisch zu studircn, sondern nur, oh man Eine Theorie und mit Bcwusstsein, verfolgen oder bei jeder neuen Beobachtung von neuen, willkührlichen Voraussetzungen ausgehn wolle. Wie es dabei mit dem Erfahren gehe, lehren schon die beschreibenden Naturwissenschaften. Warum wird es jedem unerlässlich, der nach neuen Gesichtspunkten bekannte Körper in ein System ordnet, die Natur mit eignen Sinnen zu studiren, als weil Andere, die von anderen Gesichtspunkten aus- gingen, Heterogenes für identisch nahmen, und Charactere über- sahen, die jetzt wesentlich geworden sind? Und wenn dies an Objectcn geschieht, wo es nur darauf ankömmt, slätige Merk* male in ihrem Nebeneinander aufzufassen, wie viel mehr häu- fen sich die Gelegenheiten zu Irrthum, wo Veränderungen in ihrer Beziehung zu einander und äussere Phänomene in ihrer Abhängigkeit von innern Vorgängen dargestellt werden sollen. Auch die Aerzte, die als strenge Empiriker glänzen, haben sich der Theorien nicht enthalten. Oder lehrt es etwa die Erfah- rung, dass die kritischen Molimina ein Heilbestreben der Natur seien, dass die Haut das Pockengift aus dem Blut abscheide, dass Hirnkrankheit, welche nach dem Verschwinden eines Exan- thems sich äussert, vom Zurücktreten des Exanthems bedingt sei? u. s. f. Diese Sätze 6ind vielleicht mehr als Theorie, es sind Meinungen. Und soll ich endlich für diejenigen, welche medicini- sche Theorien nur nach der Beziehung zum ärztlichen Han- deln würdigen, den Beweis führen, dass es auch für die Therapie nicht gleichgültig ist, wie man vom Wesen des Con- tagium denkt? Es ist leicht einzusehn, dass das Verfahren ge- gen die örtlichen Symptome, die Entzündung, den Ausschlag etc. in contagiösen Krankheiten ein ganz andres sein werde, je nach- dem man dieselben für die Consequenz oder für die Ursache der allgemeinern Phänomene hält. Eine traumatische Entzün- dung darf geheilt werden, und je schneller, je besser, eine symptomatische soll man pflegen, weil sie dem Körper not- wendig ist; man weiss, dass sie nicht geheilt werden kann oder dass, wenn die Heilung gelingt, die Krankheit in andrer, viel- leicht schlimmerer Form hervorbricht. Die contagiösen Ent- zündungen sind nach der gewöhnlichen Ansicht symptomatische, Hernie, patb. Unters. Q p 82 nach unsrer Ansicht traumalische. Ein Beispiel statt vieler. Nach unsrer Ansicht ist der Schanker eine anfangs örtliche Krankheit, die, wenn sie längere Zeit gedauert, eine Dyscrasie erzeugt. Darnach hätte der Arzt nichts Angelegentlicheres zu thun, als nach der örtlichen Infection den Schanker zu verhü- ten, und, wenn dies nicht möglich, ihn, sobald es geschehn kann, zu unterdrücken. So verfährt Ricord und seine Be- handlung wird mit dem besten Erfolge gekrönt. Warum finden diese Erfahrungen keinen Eingang? Nur darum, weil nach einer Meinung, die man aus der Erfahrung abgeleitet zu haben glaubt, der Schanker für das Symptom einer allgemeinen Infection des Blutes gehalten wird; das Contagium soll vom Ort der Auf- nahme ins Blut gelangen und das syphilitische Geschwür soll das Secretionsorgan des im Blute erzeugten krankhaften Stoffes ßein. Darum soll der Schanker nicht unterdrückt, nicht ohne gleichzeitige innere Behandlung geheilt werden, ja man hört die örtliche Behandlung überhaupt verbieten, da man am Schanker gleichsam ein Maass für die innere Dyscrasie zu haben glaubt. Es darf nicht Princip werden, dass die pathologische Theorie der therapeutischen Erfahrung vorgreife, aber hier steht sie, ihrerseits von Thatsachen der Beobachtung unterstützt, einem ebenbürtigen Gegner, einer theoretischen Ansicht gegenüber. Möchte es mir gelungen sein, wenigstens den Glauben an diese m erschüttern und vorurt heilsfrei gesammelten Erfahrungen den Weg zu bahnen. Ueber Nervensvmpatliien. Ich habe In diesem viel durchforschten Gebiete weder bedeu- ende neue Thatsachen mitzutheilen, noch werde ich in der Erklärung des Weseus der Sympathie weiter, als Andre, vor- zudringen wagen. Der Zweck der folgenden Darstellung ist nur, die bekannten Erscheinungen unter allgemeine Gesichts- punkte zu ordnen und in einem Zusammenbange vorzutragen, in welchem Eine durch die andre noch eine Erläuterung fin- den möchte. Es ist Erfahrungssatz, dass Nerven ihre Erregungszustände einander mittheilen, und es ist erwiesen, dass die Mittheilung we- nigstens unter den animalischen Nerven nur innerhalb der Cen- tralorgane Statt findet. Mittheilung der Erregung in den Central- organen des Nervensystems ist der Grund aller Nervensympa- thien. Die Gesetze, nach welchen die Erregung in den Cen- tralorganen sich ausbreitet, sind zugleich die Gesetze der Sympathie. Es ist unmöglich, sich die Ausbreitung nach einem andern Wege vorzustellen, als nach dem des räumlichen Nebeneinan- derseins. Diese Anschauung liegt schon den älteren Theorien der Sympathie zu Grunde, mochte man sie auf den Zusam- menhang der Nervenäste in den Stämmen oder auf eine Ver- bindung der consensuell erregbaren Theile durch ein eigentüm- liches Nervensystem, das sympathische, zurückführen. Sie wird unterstützt durch Erfahrungen, die wir an anderen, der direc- ten Beobachtung mehr zugänglichen Geweben machen. Es ist nicht Folge der Sympathie, dass in allgemeinen Krankheiten das- 84 selbe Gewebe in grösserer Ausdehnung oder an verschiednen Stellen ergriffen wird, denn hier ist die Affcction Einer Partie nicht die Ursache der Affection einer andern , sondern beide sind von einer gemeinsamen Ursache bedingt. Aber auch auf Schäd- lichkeiten, die von aussen her und örtlich einwirken, bleibt die Reaction nicht örtlich beschränkt, sondern greift, je nach der individuellen Anlage, mehr oder minder weit um sich. Bei der Krätze, wo der Entzündungsreiz, die parasitische Milbe, gewöhnlich nur an den äussersten Theilen der Extremitäten sitzt, erstreckt sich die Entzündung selbst bald über die ganze Körperoberfläche. Auf Brechweinsteinsalbe, Cantharidenpflaster entstehn Vesikeln und Pusteln häufig im Umkreis des Ortes der Application und zuweilen, bei irritabler Haut, selbst über einen grossen Theil des Körpers. Hier muss man noch an eine Vermittlung durch die Nerven denken, aber auch bei den ner- venlosen Pflanzen sieht man die Folgen der Reizung von der gereizten Stelle an sich verbreifen und z. B. bei der Mimosa pudica, nach Berührung eines Fiederblättchens, allmählig die Fiederblättchen desselben Blatts und dann auch die der benach- barten Blätter sich aufrichten und aneinanderlegen. Und selbst in der anorganischen Natur bieten die Erscheinungen der Wärroeleitung und Mittheilung analoge Verhältnisse dar. Es können in den Centralorganen Nerven einander nahe sein, welche gegen die Peripherie hin divergiren, und dadurch werden weit entlegne Theile des Körpers so in sympathische Verbindung gebracht, als wenn die Reizung unmittelbar von einem zum andern sich verbreitete. Gesetzt es lägen die Ursprünge zweier Fasern, A und B, im Rückenmark oder Gehirn nebeneinander, von denen die eine zur rechten, die andre zur linken Seile ginge, so müsste Rei- zung der beschränkten Stelle des Centralorgans Empfindung oder Bewegung in beiden Seiten hervorrufen. Findet nun in- nerhalb des Gewebes der Centralorgane eine Mittheilung der Reizung Statt, wie in den eben erwähnten Fällen, so wird Reizung der Faser A sich auf die Faser B erstrecken und z. B. ein Druck auf A allein B zur Mitbewegung, Mitempfindung be- stimmen. Da nun sensible Nerven die Eigenschaft besitzen, ihre Erregung zum Ccntralorgan fortzupflanzen, so ist der Ef- fect derselbe, die Nervenfaser mag am peripherischen oder cen- 85 traten Ende erregt sein, und eine peripherische Reizung einer Empfindungsfascr A muss ebensowohl sich der Faser B mit- theilen, uud wird wieder am peripherischen Ende von B zur Erscheinung kommen. Wenn B motorische Faser ist, so er- folgt Contraction der Muskeln , iu welchen sie sich verbreitet, und wenn sie sensibel ist, so wird scheinbar an ihrem periphe- rischen Ende eine Empfindung Statt finden, da bekanntlich die Empfindung immer an das peripherische Ende versetzt wird, an welcher Stelle des Verlaufes eines Nerven auch die Reizung Statt finden möge. Es wird übrigens heutzutage kaum mehr nöthig sein zu erinnern, dass auch in Folge mitgetheilter Erre- gung jeder Nerve nur in seiner speeifischen Energie reagirc. Der Muskelnerve, von Gesichts-, Gehörs- oder Gefühl snerven aus gereizt, kann nur Contraction vermitteln, der Hörnervc, von Seh- oder Tastnerven sympathisch erregt, nur höreu u. s. f. Wenn uusre Kenntnisse von der Anordnung der Nerven- ursprünge in den Centralorganen vollkommen wären, so müsste ich davon ausgehn und zeigen, dass Nerven, die hier einander berühren, auch vorzugsweise mit einander in Sympathie slchn. Wir sind aber von einer solchen Einsicht in den Bau der Ccn- tralorgane noch weit entfernt. Das einzige, was sich mit eini- ger Sicherheit annehmen lässt, ist, dass die Ursprungsstellen der Nerven ungefähr in der Folge im Innern geordnet sein mögen, in welcher sie längs des Gehirns und Rückenmarks zum Vorschein kommen, und dass im Allgemeinen die Ner- ven benachbarter Theile der Peripherie auch in den Centralor- ganen nahe aneinander entspringen. Besser kennt man die Sympathien zwischen den peripherischen Körpertheilen , und wenn es nur erwiesen wäre, dass consensuell erregbare Nerven in ihrem Ursprünge zusammenhängen, so machte man noch viel sicherer deu Schluss umgekehrt, von den Sympathien auf den Bau des Gehirns uud Rückenmarks. Es ist daher der Satz, dass Nervensympathie Folge einer Ausbreitung der Erregung in den Centralorganen nach der Contiguität der Nervenwurzeln sei, für nichts mehr zu nehmen, als für eine Hypothese, die man um so annehmbarer finden wird, je häufiger einerseits Sympathien zwischen benachbarten Nervenästen und Stämmen sind, und je mehr es sich andrerseits wahrscheinlich macheu lässt, dass sympathisch verbundne Nerveu mit ihren centralen 86 Enden sich einander nähern. Wie weit dies geling?, soll nun im Folgenden dargestellt werden. Das Wort „Ursprung" oder „centrales Ende" ist aber hier nicht im strengsten Sinne zu nehmen. Denn man weiss, dass obgleich die Fasern der will- kührlichen ßewegungs- und der Empfindungsnerven 6ich bis zum Gehirn erstrecken, dennoch schon im Rückenmark eine Miltheilung ihrer Erregungszustände möglich ist. Man kann füglicherweise nicht von Nervensympathien spre- chen, ohne sich über das «ar' l4o%i)v sogenannte sympathische Nervensystem eine Ansicht gebildet zu haben, und ich glaube über diesen Punkt um so eher einige Andeutungen voranschik- ken zu dürfen, da ich zugleich auf Tbatsachen aufmerksam zu machen habe, die mir noch nicht hinlänglich gewürdigt scheinen. Begriff und Function des sympathischen Nerven, systems. Der N. sympathicus ist dem System der animalischen Ner- ven in zweifacher Beziehung entgegengesetzt worden. Man ver- stand zuerst unter sympathischen Nerven die Nerven der Ein- geweide, unter animalischen die Nerven des Stammes. So umfasste der sympathische Nerve die Empfindungs- und Bewe- gungsnerven innerer Organe, die sich durch die Dunkelheit der Empfindung und die Unwillkührlichkeit der Bewegungen von den äussern Theilen unterscheiden. Dazu kam noch eine dritte Species von Nerven, welche den Functionen vorstehen soll, die vorzugsweise den Eingeweiden übertragen sind, den chemischen Functionen der Absonderung, Aufsaugung etc. Später aber, nachdem der Zusammenhang des Eingeweidenerven mit Gehirn und Rückenmark deutlich geworden war , wurden als sympa- thische, vegetative oder organische Nerven allein die Nerven der letzten Art bezeichnet, und dagegen die Fähigkeit, Muskeln zur Contraction zu reizen und Empfiudungen dem Sensorium zu übertragen, dem animalischen System zugetheilt. Darnach sind sympathische und Cercbrospinal- Nerven überall gemischt und in den verschiedenen Organen die letztern den ersten um so mehr an Zahl überlegen, je cntschicdncr ihnen motorische 87 oder sensible Tbätigkeil zukömmt. Da die Eingeweidenerven dnreb ihre Farbe und Consistcnz und durch ihren gangliösen Bau von Ilirnnerven sich schon mit blossem Augo unterschei- den lassen, so konnte die anatomische Untersuchung Beweise für diese Theorie liefern *). Und auch mikroskopische Ent- deckungen scheinen sie zu begünstigen. Sensible und mo- torische Fasern verhallen sich bekanntlich mikroskopisch ganz gleich. In sympathischen Nerven hat aber kürzlich Remak") eine andre Art von Fasern beschrieben, die viel feiner und knotig sein, und sich gabelförmig theilen 6ollen. Diese Fa- sern kämen nach Remak auch sparsam in allen Ilirnner- ven vor , machten aber die Hauptmasse der sympathischen Nerven aus, und wurden deshalb organische Fasern genannt. Valentin***) hat die Existenz dieser Fasern bestritten oder vielmehr sie anders gedeutet, indem er sie für ein fasri- ges Epithelium der wahren Nervenfasern hielt. Dies scheint mir nicht ganz begründet. Zwar konnte auch ich den Ur- sprung der organischen Fasern von den Ganglienkugeln nicht bestätigen; ich gebe feiner zu, dass unter Remak 's or- ganischen Nervenfasern manche Gewebetheile untergemischt sind, die ganz andre Bedeutung haben, Epithelium, Capillar- gefässe und dergl. Solche Irrthümer konnten begegnen zu einer Zeit, wo die formelle Identität der verschiedenartigsten Ge- bilde noch nicht durch so zahlreiche Beweise festgestellt war, als Schwann's Schrift sie liefert, wo also jeder, der ein Gewebe mit Zellenkernen untersuchte, in jedem Zellenkern sein Ge- webe erkannte. Jetzt wäre es sehr gewagt, ein Fasergewebe mit stellenweisen Anschwellungen bloss darum für Epithelium zu halten, weil manche Epithelien auch aus fadenartig verlän- gerten Zellen mit eingeschlossnen Kernen bestehn. Es hat etwas Unwahrscheinliches, dass ein Epithelium in solcher Masse gebildet weiden sollte, um einige Fasern oder auch nichts eiiizuschliessen. Da viele graue Nerven wirklich fast allein aus Remak "'s orga- nischen Fasern bestehn, so halte ich diese für etwas Wesent- *) Müll er 's Physiologie. 3te Aufl. Bd. I. p. 676 ff. **) Observationes anatomicae et micioscopicae de systematis ner- tosi struetura. Berol. 1838. ***) Müller 's Archiv. 1839. Heft 2. 88 Hohes, und da sie mit dem Gehirn zusammenhängen, auch für Nerven. Welches ihre Function sei, muss Gegenstand fernerer Untersuchungen sein. Zuerst den sympathischen Nerven als Eingeweidenerven ge- nommen, so fragt sich, inwiefern seine Fasern in ihrer Function mit denen des Stammes übereinkommen , und wie weit sie demnach als Cerebrospiualnerven anzuerkennen sind. Die Ein- geweidenerven sind empfindlich*), enthalten also sensible Fa- sern vom Cerebrospinalsystem , und ich glaube nicht, dass ein Grund vorhanden ist, die Empfindungsnerven der Eingeweide für verschieden zu halten von den sensiblen Fasern aller andern? peripherischen Theile des Körpers. Wir habeu, ausser in Krank- heit, kein Bewusstsein von den innern Organen des Körpers; damit ist aber nicht bewiesen, dass diese Theile, ausser in Krankheit, nicht empfinden. Denn auch den Zustand der äus- sern Sinnesnerven würden wir nicht zum Bewusstsein zu brin- gen vermögen, wenn sie immer in gleicher Weise afficirt wä- ren. Nur dadurch, dass ihre Energie sich aus Gründen, die wir kennen, verändert, wenden wir ihnen Aufmerksamkeit zu und lernen sie aus dem Chaos des Gemeingefühls sondern. In Krankheiten wird nicht das vorher empfindungslose Organ sen- sibel, sondern seine Empfindung wird eine andre, sie drängt sich dem Bewusstsein auf und wird auch zu einer ganz ent- schiednen Vorstellung, die sich beschreiben lässt, wenn sie der Qualität nach mit Empfindungen äusserer Tastnerven überein- stimmt. Man sagt, dass die Sensationen der Eingeweide in Beziehung auf die Oertlichkeit minder bestimmt seien, als die der sogenannten Tastnerven. Auch dies beruht auf einer Täuschung, denn die Sensationen der Haut sind nichts weniger als genau in Bezug auf die Oertlichkeit. Sie erlangen nur eineu gewissen Grad von Bestimmtheit, wenn wir 6ie durch bewusste Bewegungen oder durch den Gesichtssinn exploriren. Weiss mau doch nicht einmal sogleich, wenn man die Hände auf dem Rücken zusammenbringt, welche Finger einander berühren; man erfährt es erst, wenn man einen nach dem andern bewegt und sie so gleichsam abzählt. Nicht richtiger ist es, dass die Empfindungen der Eingeweide der Qualität nach dunkler seien, k) Müller, a. a. O. p. 670. 89 als die der eigentlichen Sinne. Die Eingeweidenerven haben, gleich denen verschiedner Theile des Stammes, ihre speeifischen Reize und ihre speeifischen Gefühle, und diese sind dem Sub- jeet so klar, als eine Empfindung sein kann; nur in der Rc- produclion und in der Darstellung derselben liegt die Schwie- rigkeit, denn um eine Empfindung mitzutbeilen, zu erklären, giebt es nur Ein Mittel, nämlich dieselbe in andern direct oder durch Vorstellungen zu erregen. Es giebt unklare, eigenthüm- liche Gerüche und Gcschmäcke, wie es unklare Gefühle in den Eingeweiden giebt, wenn man die Substanz nicht kennt oder nicht zu nennen weiss, die den Sinn afficirte, und es giebt ebenso klare Sensationen in den Eingeweiden, wenn sie mit Schmerzen äusserer Theile Achnlichkeit haben, welche an be- stimmte Vorstellungen sich anknüpfen lassen. Solche Vorstel- lungen sind Stechen , Brennen, Drücken, Reissen, Bohreu, Klo- pfen, Spannen u. 8. f., alle hergenommen von gewissen Eindrüc- ken, die auf Anschauungen beruhn. Was endlich die Leb- haftigkeit der Empfindungen betrifft, so hängt sie bei gleicher Stärke nur von der Zahl der Nerven ab, die sich auf einer bestimmten Fläche verbreiten, und von der Art, wie sie dem Eindruck ausgesetzt sind. Darum haben verschiedue Stellen der Haut nicht gleiche Empfindlichkeit und andren Geweben scheint sie fast ganz abzugebn. Aus diesen Gründen möchte ich nicht in einer Eigenlhüm- lichkeit des Baues der sensibeln Nerven im sympathischen Sy- stem den Grund suchen, dass Eindrücke auf dieselben in der Regel nicht zum Bewusstsein gelangen, sondern nur Bewegun- gen vermitteln. Wenn eine Faser aus dem Bereich des Sym- palhicus Einmal einen bestimmten Gefühlseindrnck zum Be- wusstsein bringen kann, so muss sie sich verhalten, wie die Empfindungsfasern der Cerebrospinalnerven ; es ist nur dort Regel, was hier Ausnahme, und umgekehrt, denn auch im ani- malischen System kommen Bewegungen auf unbewusste Ge- fühlseindrücke vor, wie z. B. die Iris sich nach der Lichtstärke contrahirt auch beim unaufmerksamen Starren in die Ferne. Die Leichtigkeit aber, mit der die Erregung von sensiblen Ner- ven auf motorische übergeht, hängt nicht von der Structur der sensiblen Fasern allein ab, sondern von Bedingungen, die sie mit den Bewegungsnerven gemein haben. — Es verhalten sich 90 also die Nerven der Eingeweide in Beziehung auf ihre sensiblen Fasern wie Cerebrospinalnerven. Anders ist es aber mit den Bewegungsnerven. Seitdem der Mensch sich selbst zum Gegenstand seiner Aufmerksamkeit gemacht hat, fiel es auf, dass die Eingeweide und gewisse Or- gane, welche gleich diesen unter dem Einfluss sympathischer Nerven stehn, dem Willen entzogen sind, und nicht so durch die Vorstellung einer Bewegung zur Bewegung veranlasst wer- den können, wie die Muskeln des Stammes. Dieser Unterschied ist auch heute noch ganz strich Denn wenn wilikührliche Muskeln auch durch Vorstellungen, welche nicht Wille sind und durch Reize ganz andrer Art gleich den unwillkürlichen in Thätigkeit gerathen, so beweist dies nur, dass sie nicht allein vom Gehirn als dem Organ des Denkens, sondern nebenbei auch noch von den organischen Bedingungen abhängen, denen die Muskeln der unwillkürlichen Bewegungen unterworfen sind. Von der andern Seite muss man zwar zugeben, dass Be- wegungen auch in der Sphäre der unwillkührlichen Nerven auf Vorstellungen erfolgen, aber diese sind niemals Vorstellungen der auszuführenden Bewegung; es sind Gedanken, die immer gleichsam auf Umwegen die Bewegung vermitteln und die mei- stens nach Art der Leidenschaften die ganze Stimmung des Nervensystems verändern müssen, wenn sie wirken sollen. Da ich mir an diesem Orte eine ausführlichere Erörterung versagen muss, so will ich lieber an ein Paar Beispielen zeigen, wie die scheinbar wilikührliche Bewegung unwillkürlicher Muskeln zu Stande kömmt; ich bin überzeugt, dass Jeder sogleich aus eig- ner Erfahrung eine Menge analoger Fälle anknüpfen wird. Es kann z. B. scheinen, als ob man vermöchte, den Detrusor uri- nae und die Cirkelfasern des Rectum zur Entleerung des Urins und der Excremente nach Willkühr zur Zusammenziebung zu be- stimmen. In der That aber ist es, wenigstens beim Harnlassen, nicht die Bewegung, welche wir willkührlich iutendiren, son- dern die Empfindung, welche bei voller Blase im Damm und namentlich an der Spitze der Harnröhre entsteht, und diese Empfindung hat, wenn sie eine Zeit lang an Intensität zuge- nommen, ebenso die Contraction zur Folge, wie wenn sie ohne unser Zulhun, durch den Aufülluugszustand der Blase bedingt wäre. Es ist derselbe Fall, wie wenn die Erinnerung an einen 91 ekelhaften Geschmack oder ein Brechmittel, willkühl lieh oder zufällig erzeugt, Erbrechen erregt. Die noch zur Zeit unbe- kannten Bewegungen , deren Folge Erection ist, entstehn nicht auf den Willen, ja dieser ist ihnen bekanntlich vielmehr hin- derlich, sie entstehn auch nicht allein aof laseive Vorstellun- gen , sondern nur , wenn diese afl'ectvoll sind nud dann gleich- zeitig mit allen andern unwillkürlichen Muskelcontractionen, den Congestiouen zur Haut, dem veränderten Herzschlag u. s. f., welche Folge des Allee t es sind. — Endlich ist auch in Mül- ler's Versuchen*), wie er selbst bemerkt, die Contraction der Iris nur scheinbar willkührlich, sie begleitet nur die Con- tractionen der Augenmuskeln, und kann deshalb absichtlich hervorgebracht werden, gerade so, wie der Abgang von Blä- hungen durch Contraction der Bauchmuskeln und selbst der Schenkelmuskeln willkührlich bewirkt wird. Ein zweiter, wichtigerer Unterschied zwischen den Con- tractionen die von sympathischen und denjenigen, welche von animalischen Nerven abhängen, liegt in dem Modus der Con- tractionen. Man kann die Differenz nicht bündiger ausdrücken, als es Müller tbiit in folgenden Worten**): „dass nämlich die äusseren Reize an den organischen vom N. sympathicus abhän- gigen Muskeln nicht immer eine rasche und augenblicklich er- folgende Convulsion zur Folge haben, wie au den animalischen Muskeln, dass die erfolgende Contraction vielmehr entweder langsam eintritt und sich verstärkt, wie am Darmkanal und Uterus der Thiere, und dass sie lange nach dem Aufhören des Reizes ihr Maximum erreicht und dauert, oder dass der Reiz bei den rhytmisch sich zusammenziehenden Organen, wie am Herzen, den Modus und die Schnelligkeit des Rhylmus auf einen ganzen Zeitraum verändert. ki Drittens endlich zeigen Bewegungen organischer und ani- malischer Muskeln sich verschieden in der Weise, wie von dem gereizten Punkte aus die Contraction sich fortpflanzt. Bei den willkührlichen Muskeln setzt sie sich sicher nicht in die Breite fort, und wenn sie von einem Punkte aus der Länge nach im Verlauf einer Faser sich mittheilt, so geschieht dies momentan *) a. a. O. Bd. I. p. 693. •*) a. a. O. Bd. II. p. 65. 92 und nur Einmal. Bei allen organischen Muskeln dagegen, welche Höhlen oder Röhren umgeben, schreitet von der gereizten Stelle aus die Contraction nach einer bestimmten Richtung fort, wird zur pcristaltischen Bewegung. Die rhytmische Bewegung des Herzens ist dem Wesen nach von der peristaltischen des Dar- mes nicht verschieden; an einem geschlossnen Darmstück von der Länge des Herzens würde die peristaltische Bewegung auch nicht anders erscheinen, denn als rhytmische Contraction und Expansion, abwechselnd des obern und des untern Theiles, weil anf dieser kurzen Strecke die Contraction oben nicht eher be- ginnt, als bis sie unten abgelaufen ist, während in dem Darm jeder Welle der Contraction alsbald eine zweite und dritte in der ganzen Länge des Darmes verlaufende nachfolgt *). Dieser eigentümliche Rhytmus, den die unwillkührlichen Muskeln im Leben zeigen , hängt nicht von einer Mittheilung durch das Ge- hirn und Rückenmark ab, er erhält sich noch nach Zerstörung des Rückenmarks, ja selbst am ausgeschnittnen Herzen und Darm, und dieselbe Reizung, welche isolirte animalische Mus- keln zu Einer kurzen Convulsion bestimmt, erregt in dem Her- zen und Darm von jedem Punkte aus dieselben, einander fol- genden, peristaltisch- fortschreitenden Contraclionen **). *) Auch am ausgeschnittnen Herzen und Darm ist die Successiou der Bewegungen ganz gleich. Einer Reizung folgen mehrere Zusain- raenziehungen , die am Herzen als wiederholte Systole und Diastole, am Darm als peristaltische Verengerungen und Erweiterungen erschei- nen, die ebenfalls mehrmals neu von oben ansetzen. Eine Spur die- ser wechselnden Systole und Diastole zeigt 6ich selbst noch in den Undulationen der Iris. **) Ich darf nicht verschweigen, dass diese Behauptung, in Be- ziehung auf den Darm, in Widerspruch steht mit den Schlüssen, die Müller und Volkraann aus ihren Versuchen gezogen haben. Mül- ler sagt (a. a. O. Bd. I. p. 746), dass sich auf Reizung des ausge- schnittnen Darms und, Uterus immer nur der gereizte Theil zusam- menziehe und die Contraction sich nicht einmal cirkelförmig verbreite und Volkmann (Müllers Archiv. 1838. p. 29.), dass nach Zer- störung des Rückenmarks Kneipen der Därme nur locale Zusammen- stellungen errege. Nur nach vielfach wiederholten Versuchen wage ich , solchen Beobachtern zu widersprechen. Ich habe in der Regel nach Reizung des Darms, wenn sie auch noch so örtlich war, ring- 93 Gründe genug, um die organischen Muskeln und also auch deren Nerven für wesentlich verschieden zu hallen von dem animalischen Muskel- und Nervensystem. förmige Contraclion enlstehn und eine längere oder kürzere Strecke weit perislaltisch fortschreiten sehn. Ich glaube aber auch den Grund des Widerspruchs in unsern Resultaten angeben zu können. Vorerst muss das Thier (ich experimentirte an Fröschen, Kaninchen und Meerschweinchen) überhaupt zu Reflexbewegungen geneigt sein. Man tödtet es daher am besten durch Decapitation oder durch ein Narco« ticum ; ferner muss man nicht nach jeder Reizung die Reaction erwar- ten, wie ja auch Reflexbewegungen auf Reizungen animalischer Ner- ven zuweilen ausbleiben, wenn die Reizbarkeit erschöpft ist. Auch breitet sich die peristaltische Bewegung, nachdem tler Darm ausge- schnitten, nie so weit aus, als wenn er noch mit dem Rückenmark zusammenhängt und, wenn das Mesenterium entfernt ist, nur auf sehr kurze Strecken. Die Hauptsache aber, worauf es ankömmt, ist die Stärke des Reizes. Leises Berühren der äussern oder innern Darmfläche, Ritzen mit einer Nadel, eine Art Kitzeln reicht hin. Am besten fand ich Betupfen mit Salzsäure, da hierbei jede Erschütterung vermieden werden kann. Auf solchen Reiz folgt eine schwache ringförmige Con- traction, die nach einer oder beiden Seiten fortschreitet, oft auch die Längenmuskeln des Darms mit erregt, so dass sich das gereizte Stück aufrichtet. Wenn alle freiwillige Bewegung erloschen ist, kann man sie auf diese Art örtlich wieder in Gang bringen und der Darminhalt wird durch dieselbe auf normale Weise vorwärts geschoben. Wenn die Reizung stärker war, so bleibt oft an der gelroffnen Stelle, auch wenn in der Umgegend peristaltische Bewegung eintritt, eine Strictur zurück. Wenn man aber den Darm heftig kneipt, zerrt, sticht, so tritt alsbald eine heftige, entweder einseitige oder auch ringförmige Contraction ein, die den Darm ganz unwegsam machen kann, nicht fortschreitet, und selbst wenn sonst die Reizbarkeit längst erloschen ist, noch fortbesteht. In diesem Fall sind die peris taltischen Conlrac- tionen der Umgegend geringer, als bei leiser Irritation, oder treten gar nicht ein. Durch heftiges Kneipen und dergl. können aber auch, wenn der Darm noch mit dem Rückenmark in Verbindung steht, lange anhaltende locale Stricturen eintreten, ein Umstand, der über die Aetiologie der Krankheiten des Darmes Licht zu verbreiten verspricht. — leb bemerke schliesslich, dass an dem Magen, wenn die Speise- röhre unter dem Zwerchfell abgeschnitten und die Eingeweide mit dem Ganglion coeliacura herausgenommen werden , bei Säugethicren der Reiz nur auf die irritirte Stelle wirkt und sich nicht weiter verbrei- 94 Einige Fragen drängen sich auf, in deren genauere Erörte- rung ich an diesem Ort nicht eingehn kann. Wirken die Reize, die man auf das ausgeschnittne Herz oder den Darm anbringt, auf die Nerven oder direct auf die Muskeln derselben, und be- ruht das Fortschreiten der Bewegung in der Communication der Nerven oder in der Anordnung der Muskelfasern? Ferner, sind es zunächst Empfindungsnerven der Häute, welche den Reiz erfahren und ihn den Bewegungsnerven übertragen, oder wer- den diese selbst getroffen, wie ja auch die Nerven einer abge- schnittenen Extremität unmittelbar durch mechanische Reizung erregt werden können? Der Analogie nach ist es für jezt wahr- scheinlicher, dass auch im System der unwillkührlichen Mus- keln es zunächst die Nerven sind, welche in ihrer Reaction auf äussere Reize die Zusammenziehung der Muskelfasern ver- mitteln, und dass bei unverletzter Haut die Muskelnerven nicht unmittelbar, sondern erst von den Empfindungsnerven aus er- regt werden. Die enormen Schmerzen bei Peritonitis beweisen hinlänglich, wie reich die seröse Haut des Darms an sensiblen Nerven ist. Sie scheint reicher, als die Schleimhaut, und dem entsprechend finde ich auch, so weit man in solchen Versuchen ein sicheres Urtheil fällen kann, dass Reizung der äussern Fläche des Darms leichter die peristaltischen Bewegungen hervorruft, als Reizung der innern Fläche. Den besondern Verhältnissen der Function bei den moto- rischen Nerven der Eingeweide entsprechen Besonderheiten ihres anatomischen Baues, und so werden wir zu dem Schluss hin- getrieben, dass in diesem Bau der Grund jener physiologischen Eigenthümlichkeiten liege. Wenn Remak's organische Fasern wirklich Nerven sind, so kann man sie wohl mit Schwann*) für minder entwickelte halten, deren geringere Entwicklung der Trägheit der Bewegungen entsprechen würde. Was die rälhselhaften Ganglien betrifft, so glaube ich eine Hypothese ict, ein Beweis, dass die Substanz, welche dicLei'ung zwischen sen- siblen und motorischen Nerven, und dadurch die Ausbreitung der Bewegung vermittelt, nicht im Magen und auch nicht im Ganglion coeliacum liegt. Ob hier das Rückenmark oder höher liegende Gang- lien leiten, müssen fernere Experimente entscheiden. *) Mikroskopische Untersuchungen u. s. f. p. 481. 95 aufstellen zu künuen (und anderes als Hypothese ist in diesem Gebiet immer noch nicht möglich), welche die Wechselbezie- hung zwischen Structur und Function erklärt. Es ist nur noch vorauszuschicken, dass, wie die sensiblen, so auch die motorischen Fasern der Eingeweidenerven zuletzt in den Cen- tralorganen wurzeln und von daher ihre Kräfte erhalten. Für die motorischen Nerven wird dies bewiesen durch ihre Theil- nahme an den willkührlichen Thätigkeiten der Hirnnerven, durch den Einfluss der Vorstellungen und Leidenschaften und durch die vom Gehirn und Rückenmark aus erfolgenden Lähmungen auch der Eingeweide. Die Bedeutung der Ganglien ergiebt sieb aus folgenden Thalsachen : 1) Alle animalischen Nerven kommen zu oder gehn aus von einem bestimmten Punkte des Sensoriums, von dem aus sie bewegt werden, zu welchem sie Empfindungen leiten. So auch die sensiblen Nerven der Eingeweide. Von den motori- schen Nerven derselben aber lässt sich nicht nachweisen, dass sie weiter als zum Rückenmark gehn, weil kein directer Ein- fluss der Vorstellungen auf dieselben Statt findet. 2) Obgleich die animalischen Fasern durch die ganze Länge des Rückenmarks ununterbrochen zum Gehirn aufsteigen, so kann doch eine Mittheilung der Erregung unter denselben schon innerhalb des Rückenmarks Statt finden, wie die Phänomene der Reflexbewegung in bewusstlosen Zuständen, und die Ver- suche Volkmann's*) beweisen, denen zufolge jeder Theil des Rückenmarks leitet und die Reizung der Empfindungsnerven von einer Körperseite auf die Muskeln der andern Seite über- springt, wenn beide seitlichen Rückenmarkshälften an irgend einer Stelle noch durch eine dünne Brücke grauer Substanz verbunden sind. 3) Ohne dass die animalischen Fasern miteinander verbun- den sind oder anastomosiren, theilen sie also ihre Erregungszu- stände einander mit, sobald sie sich im Rückenmark befinden, und zwar geschieht dies, wie später gezeigt werden soll, nicht nur zwischen sensiblen und motorischen, sondern auch von motorischen auf motorische Fasern. Das Vermittelnde der *) a. a. O. P. 21. 96 Mittheilung aber ist die graue Substanz des Rückenmarks, wie sich aus dem eben erwähnten Versuche ergiebt. Sie mag aus- serdem noch andre Kräfte und Functionen haben, aber welcher Art diese sein mögen, lässt sich nicht erweisen. Man dürfte also 6chliessen, dass Nerven, sobald sie durch graue Substanz verlaufen, ihre Erregungszuslände einander mittheilen können. Unter welchen Umständen sie sie wirklich mittheilen, das zu erforschen ist der wichtigste Theil unsrer Aufgabe, ich komme darauf später zurück. 4) In den Ganglien verlaufen die Fasern, wie im Rücken- mark, umgeben von grauer Substanz, und diese besteht aus denselben Elementen, wie die graue Substanz des Rückenmarks, ans den sogenannten Ganglienkugeln. Auch in den Ganglien findet also, wenn die graue Substanz hier und dort dieselbe Bedeutung hat, eine Mittheilung zwischen Fasern Statt, ohne dass diese hier enden oder sich vermischen. Es sind gleichsam einzelne Stücke Rückenmark, die im Verlauf der Nerven von Stelle zu Stelle um dieselben gelegt sind und also schon vor dem Eintritt der Nerven in das eigentliche Rückenmark unter gleichen Umständen die Mittheilung begünstigen. 5) Danach Hesse sich der Bau der Fingeweidenerven nach folgendem Schema darstellen. Ein Paar Fasern, motorische oder sensible und motorische, die von einem Theile a eines Organs, z. B. des Darmes kommen, werden zusammengefasst und an der Stelle, wo sie zusammentreten, von grauer Substanz umge- ben, also in leitende Verbindung gebracht, so dass Reizung einer sensiblen Faser der Stelle a unter Umständen auf alle motorischen Fasern von a übergeht. Ein zweites Fascikcl kömmt von der Stelle 6 und verhält sich auf gleiche Weise, ein drit- tes von c, du. 8. f. Nachdem die Fasern von a und b, von c und d, jedes Bündel durch sein Ganglion getreten, sind sie wieder isolirt, sie pflanzen ihre Erregung weiter znm Central- organ fort, wie auch animalische Fasern im Rückenmark Re- flexbewegungen und doch im Gehirn Empfindung vermitteln. Auf dem Wege zum Centralorgan aber werden abermals a und b. c und J, von grauer Substanz, von Ganglien zweiter Ord- nung umfasst, und dadurch wird die Reizung einer sensiblen Faser a ferner auch den motorischen Fasern der Stelle 6 über- tragen. Weiterbio kommen wieder a, b, c und d durch graue 97 Substanz in leitende Verbindung, und im Ganglion coeliacum scheinen alle Bewegungsnerven des Darmes zusammenzutreten, da Reizung desselben den ganzen Darm zu Bewegungen ver- anlasst. Von den Ganglien aus treten die Fasern endlich in's Rückenmark, und dieses ist das Ganglion, welches die Mitthei- lung unter allen orgauischen Fasern, von Bauch, Brust und Kopf zu Stande bringt. Darum nimmt Reizung des Rücken- marks alle organischen Nerven in Anspruch, Reizung eines Hauptganglion (cervicale primum, coeliacum) die organischen Nerven einer ganzen Höhle, und Reizung der kleinem Ganglien, je naher dem Organ, um so geringere Ausdehnungen desselben. Indess m'uss noch bemerkt werden, dass innerhalb der Substanz des Herzens *) und wahrscheinlich auch des Darmes GaDglicn liegen, welche schon die Fasern des ganzen Herzens und grosse Strecken des Darmes miteinander in Verbindung setzen. Nach dieser Hypothese erklärt sich aus der Anwesenheit der Ganglien an den Eingeweidenerven das Fortschreitende, der peristaltische Typus in der Bewegung der Eingeweide. Es er- klärt sich aber nicht aus den Ganglien die Langsamkeit der Contraction und das Iolermittiren derselben. Der Grund der Langsamkeit kann weder in der Anordnung der sensiblen Ner- ven, noch in der Einwirkung der Ganglien gesucht werden, denn nach Müller's Beobachtung ziehen sich auf Reizung des peripherischen Stücks des N. splanchnicus, wenn derselbe noch mit dem Rückenmark zusammenhängt, durch Reflexion die Bauch- muskeln zusammen, und diese Contractionen verhalten sich ganz wie die Contractionen animalischer Muskeln auf jede andre Art von Reizung; es kann also die Eigentümlichkeit in der Zusammenziehung organischer Muskeln nur in Eigenthümlich- keilen ihrer motorischen Nerven oder in der Anordnung der Muskelfasern selbst begründet sein. Auch die Ursache der In- termissionen kann nicht in den Ganglien und auch nicht im Bau der Nerven selbst liegen. Die animalischen, ganglienloscn Athem- nerven zeigen denselben Rbytmus. Ja selbst in Ernpfinduugs- nerven sind die Reactionen auf Reizung rhytmisch steigend und abnehmend, was bei den Blendungsbildern des Auges schon von mehrern Beobachtern angegeben wurde (Plateau, Müller) und *) Remak in Caspers Woclienschr. 1S39. No. 10. li.i. 1 . path. Unters, "J 98 von jedem leicht wahrgenommen werden kann. Es ist also der Rhylmus in den Ncrventhätigkcitcn, die Folge von Arsis und Thesis, ein weit verbreitetes und darum gewiss auf allge- meinem Verhältnissen der Erregung beruhendes Factum. Der Eingeweidenerve ist demnach ein vom Centrum zur Peripherie ausstrahlender Nerve, dessen empfindende Fasern gleich den animalischen im Sensorium enden, dessen bewegende Fasern aber nicht, gleich den animalischen, vom Sensorium aus- gehn. Es ist ein Nerve, der stellenweise mit. leitender, grauer Substanz umgeben ist, durch welche eine Mitlheilung zwischen den Fasern möglich wird. Diese Mittheilung, welche zwischen animalischen Fasern nur unter besondern Umständen Statt hat, ist bei den organischen Fasern Hegel. Warum? lässt sich bis zu einem gewissen Punkte wohl erklären. Es findet nämlich auch im animalischen System Reflexbewegung dann leichler Statt, wenn der Einfluss des Sensorium auf die Nerven vermindert oder aufgehoben ist, wie z. B. namentlich im Schlaf, so dass man, indem man über diesen Gegenstand nachforschte, zu dem Schlüsse kommen konnte, dass der Wille die Reflexbewegungen verhindere. Mag dies richtig sein oder nicht, so ist wenigstens das gewiss, das8 die motorischen Nerven der Eingeweide sieh in dem Zustand beständig befinden, in welchem die motorischen Nerven des Stammes zu Reflexbewegungen geneigt sind, näm- lich der Herrschaft des Willens entzogen, und darum müssen in ihnen Reflexbewegungen beständig Statt finden. Remak's organische Fasern würden wir demzufolge für motorische Nerven hallen. Auch Müller, der es früher un- entschieden licss, ob ihnen die Leitung der chemischen Pro- ccssc oder die willkührlichen Bewegungen zuzuschreiben seien, erklärt sich, nachdem Rcmak mikroskopische Ganglien im IJcrzcn aufgefunden halle, in einem Nachtrage zur zweiten Ab- thcilung des zweiten Bandes, geneigter für die letztere Ansicht. Eine Eigcnthümlichkcit, die sich später für die Erklärung räthselhaflcr Sympathien vou Wichtigkeit zeigen wird, findet sich im Verlauf der Fasern des Sympalhicus, wodurch sie scheinbar an einer liefern Stelle von den Ccntralorgancn aus- strahlen, als es in der Thal der Fall ist. Müller sagt*), „das ') a. a. O. Bd. I. p. 674. 99 Eigcnthümlichc am Ganglienncrvcn erscheint nur in der Art, wie er seine Wurzclfädcn sammelt, und wieder zu peripheri- scher Verbreitung abgiebt. Die von den Wurzeln kommenden Fäden laufen nämlich eine Strecke im Grenzstrang des Gang- liennervcn fort, und gehn dann erst von ihm ab. Dadurch entsteht ein scheinbar zusammenhängender Strang vom Gang- lion cervieale supremum bis zum Ganglion coccygcum. Ich sage scheinbar zusammenhängender Strang, denn dass die vom Ganglion cervieale supremum kommenden Fasern bis zum Ende des Grenzstranges fortlaufen sollten, ist eine durch keinerlei Thatsachcn gerechtfertigte Vorstellung. Die Fasern, welche zu- erst in den Grenzstrang treten, gehen auch zuerst wieder von ihm ab, dann die Folgenden u. s. w. Zuerst die Nervi car- diaci, dann die Nervi splanchnici, dann die renales, dann die aortici u. s. f." Diese Thatsache, welche das Resultat ver- gleichend anatomischer Untersuchungen ist, lehrt, dass die sym- pathischen Aesle, welche aus dem Grenzstrange kommen, Nach- barn von animalischen Nerven sind, welche höher oben am Stamme sich verbreiten. Wenn man sich denkt, dass alle Ner- venfasern in conünuirlicher Reihe nach einander, die molorischen vom vordem, die sensiblen vom hintern Strange des Rücken- marks kommen, und dass immer eine gewisse Quantität der- selben zu einem Nerven zusammengefasst werden , so läuft so- gleich ein Theil dieses Nerven längs der Wirbelsäule nach abwärts, und breitet sich dann erst in Eingeweiden aus. Der abwärts laufende Theil liegt im Greuzstrang des Sympathicus. Ein solches Verhällniss ist beim Vagus schon ganz offenbar, denn er entspringt in gleicher Höhe mit Zuugennervcn und breitet sich peripherisch aus in gleicher Höhe mit den untersten Nervi thoracici. Auch die ärztliche Erfahrung liefert dazu Be- lege: Hildreth*) sah bei einer Person, die an Wcchselfiebcr litt, durch Druck auf die unteren Halswirbel Palpitalion des Herzens, durch Druck auf die ersten Rückenwirbel Aufslosscn cnstehn. Bei Paraplegie durch Bruch oder Luxation der Wir- belsäule oder durch Geschwülste reicht die Lähmung des Stam- mes immer weiter aufwärts, als die der iuuern Eingeweide. Nach einer Fractur des siebenten Halswirbels, z. B. welche die ') American. Journ. of med. sciences. iS36. p. 77. 7* 100 Muskeln des Stammes von den Armen an lähmte und die Em- pGndung im Stamm bis zu den Brustwarzen herauf aufhob, blieb der Magen auf Druck empfindlich *). Da wir die Sym- pathien aus der anatomischen Continuität in den Cenlralorgancn erklären, und da die Reihenfolge, in welcher die Fasern austre- ten, der einzige Anhaltspunkt ist, aus welchem wir auf Conti- nuität in den Centralorganen schliessen, so verdient ein solches Factum die grösste Aufmerksamkeit. Einige Punkte sind es, die unsrer Ansicht über den Einge- weidenerven zu widersprechen scheinen und die noch einer be- sondern Erörterung bedürfen. Die Bedeutung der organischen Fasern in den Verbindungs- fäden der Ganglien mit hinteren Wurzeln der Spinalnerven bleibt räthselhaft. Man müsste sie entweder für motorische Fasern halten, die aus hintern Sträugcn entspringen, was sehr unwahrscheinlich ist, oder für Fasern, welche von den Gang- lien aus zum Rückenmark zurückkehren. Die sogenannten vordem Wurzeln des Sympalhicus, und die Aeste, die von den motorischen Wurzeln der Spinalnerven zu den Grenzknolen des Sympathicus gehn, enthalten nicht bloss die feinen, knotigen Fasern, die wir für die den Eingeweiden eigentümlichen motorischen Fasern genommen haben, sondern auch stärkere, glatte, den animalischen Bewegungsnerven ähn- liche Röhren. Dieses gab mit Veranlassung, die organischen Fasern als einem besondern, der Ernährung vorstehenden Sy- stem angehörig, von den Ganglien zum Rückenmark verlaufend anzusehn, in welchem Falle allein die animalischen Fasern der- selben W?urzcln für Bewegungsnerven des Darms gehallen wur- den. Es wäre aber wohl möglich, dass diese bei den viel- fachen Verbindungen der Ganglien - mit Cerebrospiualnerven wieder in letztere übergehen , oder auch, dass sie sich etwa im weitern Verlauf in organische Nervenfasern verwandelten. Hier reichen die anatomischen Data zur Erklärung nicht aus. Es könnte ferner die Frage aufgeworfen werden: wenn die organischen, oder ich will lieber sagen, gangliöscn und weichen Nerven nur der unwillkürlichen Bewegung vorstchu, warum *) Bell, pliysiolog. und palholo^. Unlrrsurltnngen d."; Nenrn- syslems. Uebera. von Komb erg. p. 324. 3;V2, 101 verbreiten sie sich zu allen Thcilen des Körpers, zu den Drü- sen, Häuten u. A., welche nicht mit Muskeln versehen sind? Bei genauerer Betrachtung spricht dieser Umstand, wenn ich mich nicht täusche, mehr für als gegen mich. Es wird nämlich immer wahrscheinlicher, dass Muskel- und Zcllgewebefasern nicht durch scharfe Grenzen von einander geschieden sind. Ich will nicht sagen, dass die quergestreiften Bündel eines willkührlichen Muskels mit den Sehnenbündcln in Form, Mischung oderFunction verwechselt werden könnten, aber dazwischen finden sich Elemente, deren Stellung im System zweifelhaft wird, zellgcwebcförmige Muskeln, muskelartig con- tractiles Zellgewebe, und es scheint, als hätte die Natur alle Veranstaltungen getroffen, um keines unsrer Eintheilungspriaci- pien aufkommen zu lassen. Müller gesteht schon*)? dass animalische und organische Muskeln weder durch die Farbe, noch durch das mikroskopi- sche Verhalten der Fasern genau geschieden werden können, und er etablirt unter dem Namen des leimgebenden contractilen Gewebes**) ekie Mittelstufe zwischen Muskel- und Zellgewebe, welche mit dem mikroskopischen und chemischen Verhalten des letztem eine lebendige Contractilität verbinde. Als Typus des- selben betrachtet Müller die Tunica dartos, und er vermuthet, dass die Contraction der Haut (Cutis anserina) und die Erection der Brustwarze von der Zusammenziehung eines ähnlichen, con- tractilen Zellgewebes herrühre. Aber viele andre, aus Zellge- webe gebildete Theile verhalten sich gegen Reize ganz auf gleiche Weise. Die Häute der Venen werden, wie die tägliche Erfahrung lehrt, von Kälte contrahirt, von Wärme erschlafft, die Capillargefässe ziehen sich, nach den einstimmigen Angaben fast aller Beobachter, auf mechanische und chemische Reizung erst zusammen und erweitern sich dann, und auch die Arterica scheinen durch ihre Zellgewebescheide Contractionsvermögen zu besitzen, da in kleinen Arterien, in welchen die äussere Zell- haut im Vcrhältniss zur mittlem, elastischen stärker ist, die Zu- sammenziehung gegen Kälte merkbarer ist, als in grösseren***). *) a. a. O. Bd. II. p. 63. •*) a. a. O. p, 23. "*) Schwann, in Müller's Physich a. a. Ü. p. 29. 102 , Endlich zeugt auch für die lebendige Conlractilität andrer, aus Zellgewebe geformter Häute der Umstand, dass alsbald nach dem Tode alle Höhlen und Kanäle ihren flüssigen Inhalt durch die Wände durchsickern lassen, in viel grösserm Maasse, als während des Lebens der Fall ist. — Auch im chemischen und mikroskopischen Verhalten finden sich Uebergänge zwischen Muskel- und Zellgewebe. Im Allgemeinen verhalten sich Mus- keln chemisch wie Faserstoff und wird Zellgewebe durch Ko- chen in Leim verwandelt, aber das zellgewebeartige, nicht con- iractilc Gewebe im Penis der Pferde gleicht chemisch der Muskelsubstanz*), und es ist noch zu untersuchen, ob nicht organische Muskeln vorkommen, die durch Kochen zu Leim werden **), Die Mukeln des Magens, des Darmes, der Blase u. A. sind noch den animalischen dadurch ähnlich, dass sie sich leicht in Primitivbündel, aber schwer in Primitivfasern zerlegen las- Ben. Was man gewöhnlich Primitivfasern der Muskeln dci. Darmes etc. nennt, sind Elemente, die den Primitivbündeln der animalischen Muskeln entsprechen. Die bewegenden Fasern der Iris dagegen sind sehr leicht zu isoliren*, sie sind glatt, fein, wellenförmig gebogen, in dünnen Bündeln zusammenliegend, aber nicht durch eine Scheide zusammengehalten, kurz, mikroskopisch wie Zellgewebe, so dass Krause sagen konnte***)? dass andre Fasern, als Zellstoff- und Nervenfasern in der Iris nicht vor- handen sein. Man darf also annehmen, dass willkührlichc, organi- sche Muskel- und Zellgebefasern gleichsam verschiedne Specics einer Gattung, des contractilen Gewebes sind, und dass auch die aus Zellgewebe gebildeten Theile ein lebendiges Zusammen- zichungsvermögen besitzen, in einem um so merklichem Grade, je mehr die Fasern in einer Richtung und einander parallel ge- ordnet sind. Eine Ausnahme macht das Gewebe der Sehneu, Bänder und fibrösen Häute. Entweder ist das Zellgewebe die- ser Theile von dem weichen Zellgewebe verschieden, uud nur *) Müller, a. a. O. Bd. II. p. 31. **) Bis jetzt sind untersucht die Fasern des Uterus und der Iris durch Müller (a. a. O. ) und die Cirkelfaseru der Ausfährungsgängfi der Drüsen durch Meyer (de musculis in duclihus cfleieulibus glnu dularum. Berol. 1837. p. 31). ***) Haudb. der meuschl. Aualoiuic. Bd. I. p. 413. 103 den äussern Charadcrcn nach scheinbar demselben verwandt *) oder es haben an der Conlraclililät des Zellgewebes die Nerven einen wcscnl liehen Anlhcil. Es ist in der That schwer zu ent- scheiden, ob die fibrösen Gewebe keine oder wenig Nerven erhal- ten, weil sie keine Contractilität besitzen oder ob sie nicht con- tractu sind aus Mangel an Nerveneinfluss. Wenn sich nun noch darthun Iässt, dass die Zellgewcbefasern in der Art ihrer Con- traclion, also physiologisch, mit den unwillkürlichen Muskeln fibereinstimmen oder sich denselben nähern, so wird man geneigt sein, anzunehmen, dass ihre Function von ähnlichen Nerven, wie die der organischen Muskeln, abhänge, und man kann nicht zweifelhaft sein, welches der Zweck der gangliösen Nerven sei, die mit den Gefässen oder mit den animalischen Nerven zu allen Theilen verlaufen, auch zu solchen, denen man bisher die motorischen Kräfte abgesprochen hat. Es lässt sich alsdann be- haupten, dass die organischen Nerven Bewegungsnerven der un- willkürlichen Muskeln und des Zellgewebes, oder im Allgemei- nen aller derjenigen conlraclilen Organe seien, deren Contraction vom Nervensystem aus, aber unabhängig vom Willen erfolgt. Die physiologische Uebereinstimmung des Zellgewebes und der organischen Muskeln zeigt sich in folgenden Punkten: 1) Die Fasern der organischen Muskeln und des Zellge- webes befinden sich, ebenso wie die Muskeln des Stammes, auch ausser der Reizung in einem Zustande mittlerer Contrac- tion, so lange nicht Reize oder deprimirende Einflüsse wirken. Das Resultat desselben ist der Tonus, das Resultat der norma- len Contraction der Gefa'sswände der gesunde Turgor. Der Tonus verliert sich erst im Tode, alle zellgewebigen Organe erschlaf- fen, und wo das Zellgewebe Höhlen oder Kanäle begrenzt, da lässt es, ebenso wie die organischen MuskeJu, die eingeschloss- en Flüssigkeiten durchsickern, daher Wasser in den serösen Säcken, Färbung des Darmes durch Galle, der Gegend der Sa- liieublasen durch den Inhalt derselben u. s. f. 2) Die Conlraclionen des Zellgewebes nach Reizung en!~ siehn ebenso alhnählig, wie 2. B. die des Darmes, und sind ebenso anhaltend. Sie sind aber nicht rhytmisch, intermittirend. *) Di. 27. **) Wedico-chirur-. Transact. Vol. XX. p. 133. 131 Schmerzen in gelähmten und unempfindlichen Theilcn gefühlt. Der Kranke klagt üher ein Gefühl von Wundsein, Brennen oder Zusammenschnüren. Strychuin bewirkt in gelähmten Thei- lcn Krämpfe, aher auch Schmerzen*). Dies kann zum Beweis die- nen, dass das Gehirnende des getrennten Rückenmarks sich in Ent- zündung oder einem ähnlichen Zustande befinde, und erlaubt wieder einen Schluss über die Ursache der Krämpfe und der erhöhten Reizbarkeit im untern, peripherischen Ende des Rückenmarks. Man darf nicht einwenden, dass ein Reizungszustand nicht in gleicher Weise ohne in Eiterung oder vollkomnme Desorganisa- tion überzugehn, so lange Zeit bestehn könne, als oft in ge- lähmten Theilen sich Contraclur und Krämpfe uuverändert erhalten. Unzählige Beobachtungen lehren, dass in den äussern Nerven mehr oder minder heftige Zufälle, Schmerzen und Zuk- kungen, von Neuromen, comprimirenden Narben u. dergl. viele Jahre hindurch forlbcstehn, und, was noch mehr ist, nach der Entfernung der reizenden Ursache auch dann noch augenblick- lich gehoben werden können. Jeffreys**) erzählt, dass ein Porzellanscherbchen, welches in der Wange steckte, 14 Jahre lang Ursache von Gesichtsschmerz war, der nach Ausziehung desselben nicht wiederkehrte. Es ist mir demnach wahrscheinlich, dass Krämpfe, Con- tractur und erhöhte Sympathie in gelähmten Theilen nicht vom blossen Mangel des Gehirneinflusses, sondern von einer organi- schen Veränderung des Rückenmarks und gewöhnlich wohl von derselben Veränderung herrühren, welche die Lähmung be- dingt. Diese Erklärung passt freilich nicht auf die erhöhte Reizbarkeit im Schlaf. Aber der Zustand eines Schlafenden oder Ohnmächtigen ist auch von dem eines Gelähmten in einem wesentlichen Punkte verschieden. Hier ist das Bcwusstsein acliv, aber seine Verbindung mit gewissen Theilen aufgehoben; dort fehlt das Bewusstsein; eine Form der Thätigkeit, die man doch auch dem Nervensystem zuschreiben muss, ist gänzlich ausgefallen. Ohne zuzugeben, dass die Erregung eines Theils deshalb sich erhöhte, weil er dem Einfluss des Sensorium ent- zogen ist, kann man doch mit Fug annehmen, dass die Kräfte, *) Olli vi er, traite de la moelle epiniere. T. II. p. 3S5. **) Archives geneiales de uitdicine. T. II. p. 51. 9* 132 welche im bcwusstcn Zustande auf das Substrat der gcisligcn Thätigkeilen , auf die Nerven der Empfindung und Bewegung sich vcrtheilcn, während der Ruhe des einen in vermehrter Quantität in dem andern walten, dass mit einem Wort, Be- wusstsein und körperliche Thätigkeit in einem antagonistischen \ erhältniss stehn: dann muss Erregung, deshalb auch Erreg- barkeit und deshalb endlich Consensus im Schlaf erhöht sein. C. Es bleibt nach dieser Abschweifung drittens noch zu erörtern, warum bei tiefer Beschäftigung des Geistes der Kör- per auf geringfügige Reize so leicht zusammenschrickt. Volk- mann erklärt es auf folgende Weise*): „durch Einfluss einer organischen Thätigkeit, der Aufmerksamkeit, werde die Faser zu einem bessern Leiter erhoben; bei der Aufmerksamkeit müsse daher das Nervenprincip ausschliesslich seinen Weg durch die Faser bis zum Sensorium nehmen, wie der Blitz durch den Blitzableiter; dagegen könnte, wo die Aufmerksamkeit fehlt, daß Nervenprincip leichter auf andre Nerven überspringen. Man- gelnder Seeleneinfluss begünstige das Ueberspringen des Ner- venprineips." Es ist aber bei dieser Deutung übersehn, dass auch von den Gefühlsncrven aus, denen alle Aufmerksamkeit zugewandt ist, das Zusammenschrecken veranlasst wird. Sieht man z. B,- mit concentrirter Intention auf ein ruhendes Objcct, so kann man allerdings durch einen Scball oder eine Berührung, aber auch durch eine rasche Bewegung des Objects erschreckt werden. Allerdings wird durch Aufmerksamkeit die Erregbar- keit erhöht, aber dies ist auch zuweilen Ursache, dass eine er- wartete, aber plötzliche sinnliche Erscheinung, z. B. ein Schuss, stärker als sonst, Reflexbewegungen bewirkt, und -dass, wie bereits oben erwähnt, spontane und reflectirte Krämpfe bei Hy- sterischen eintreten. Nicht das Unerwartete, sondern das Plötz- liche der Empfindung ist es, was die Reflexion begünstigt. Ich glaube, dass bei einer vorbereiteten Empfindung aus dem- selben Grunde das Zusammenschrecken ausbleibt, aus welchem bei einem vorbereiteten Witze das Lachen ausbleibt. Beides sind Bewegungen, wie wohl unwillkürliche, von Vorstellun- gen aus; in beiden Fällen, kann man sagen, sei der Eindruck auf das Sensorium erhöht durch den Contrast oder durch vor- •) a. a. O. p. 33. 133 hergehende Ruhe, nie ein massiges Licht nach Aufeulhall im I hinUeln blendet, und also ist in letzter Instanz wieder die hö- here Erregung (durch erhöhte Erregbarkeit) Grund der erhöh- ten Sympathie. Das kurze Resultat dieser langen Auseinandersetzung ist schliesslich, dass es keine besondere organische Disposition zu Sympathien giebt, dass die Ausbreitung des Conscnsus allein von der Stärke des Reizes und dem Grade der Erregbarkeit abhängt. Ich habe dies bis jetzt nur an den Reflexbewegungen ge- zeigt; es ist noch übrig, nachzuweisen, dass unter denselben Umständen, wo die Neigung zu Reflexbewegungen erhöht ist, auch andre Arten der Milthcilung leichter erfolgen. Und dies gilt namentlich für die symmetrischen und einseitigen Milbcwc-, gungen. Der Anfall tetanischcr und epileptischer Krämpfe wird ebensowohl hervorgerufen durch eine willkührlich intcndirlc Bewegung, wie durch Empfindung. In Zuständen der reizba ren Schwäche, der Narcotisatiou u. s. f. haben Anstrengungen des Körpers leicht Palpilationcn zur Folge. Es erklärt sich daraus die Ungeschicklichkeit, in welche man durch Leiden- schaft, durch übermässigen Gcnuss von Tabak und dcrgl. ge- räth. Mit den intendirlcn Bewegungen treten stossweisc, krampf- hafte Conlractiouen ein. Dasselbe findet Statt in Erregungszu- ständen der Nerven durch CoDgestion oder beginnende Entar- tung; auch die eigenthümlichc Form der Lähmung durch chro- nische Quecksilbervergiftung beruht darauf, dass jede Inten- tion zur Bewegung Krämpfe erzeugt *). Am auffallendsten ist aber die Tendenz zur Mitbewegung in gelähmten Thei- lcn. Bei Bell findet sich folgende, von Abercrornbic mit- gelheille Beobachtung**): „Ein von Hemiplegie Befallncr war an der linken Seife vollständig gelähmt. Es zeigte sich keine Bewegung, ausser unter folgenden Umständen. Er musslc sehr häuGg gähnen, und so oft dies der Fall war, hob sich der ge- lähmte Arm mit fester Haltung in die Höhe, bis er bei hori- zontaler Lage des Kranken zu einem rechten Winkel gegen *) Report of llie Carey Slreet dispensary in Edinb. med. and surg. Journ. Vol. VIII. **) a. a. O. p. 340. 134 den Körper gestiegen war, — der Arm stieg beständig wäh- rend des Einathmens in die Höhe und fiel bei Beginn der Exspiration, wie es schien, durch seine eigne Schwere wieder herab.* Der erste der oben erwähnten, von Marshall Hall uniersuchten Hemiplegischcn zieht, wenn er hustet, das ge- lähmte Beia unwillkürlich aufwärts. Bei dem zweiten bewe- gen Gähnen und Niesen die gelähmten Glieder, Gähnen vor- zugsweise den Arm, Niesen vorzugsweise das Bein. Strecken und Erheben des rechten Armes über den Kopf verursachen bewusstlose Bewegungen des linken oder gelähmten Armes. Im Annuaire des Höpitaux, 1819. p. 406 wird von einem Soldaten erzählt, dass er nach einer übrigens glücklich geheil- ten Schusswunde im Gesicht jedesmal, wenn er sprach oder lachte oder kaute, kurz die Kinnladen (und Lippen) bewegte, wie durch Sympathie die Muskeln der Unterlippe zu einer fürchter- lichen Grimace verzog. Diese Muskeln waren übrigens, wie es scheint, nicht gelähmt, sondern es war nur ihre Erregbar- keit, vielleicht durch den Druck der Narbe, so gesteigert, dass 8ie leichter, als andre, in sympathische Bewegung geriethen. II. Erworbne, abnorme oder individuelle Sym- pathien im Gegensatz der angebornen, normalen und allge- meinen kann man diejenigen nennen, welche 6ich zwischen Theilen ctabliren, deren Nervenursprünge nicht in directem, anatomischem Zusammenhange stchn. Ich habe zuerst gezeigt, dass gewisse Nerven mit einander auf eine Weise conscnsuell verbunden sind, dass auch im gesunden Zustande die Erregung von einem auf den andern übertragen wird ; ferner dass bei un- gewöhnlicher Reizung oder krankhafter Reizbarkeit die Nerven auf weitere Strecken und endlich im ganzen System an der Reaction Anthcil nehmen: in den nunmehr zu betrachtenden Fällen scheint es aber, als ob die Reizung, gleichsam sprung- weise, von diesem zu jenem Punkte übergehn und andre ver- schonen könnte, und als ob Krankheit, Gewohnheit oder Idio- syncrasie neue Wege der Communicaliou in den Centralorganen zu eröffnen vermöchten. Ich glaube beweisen zu können, dass dies in der That nur so scheint. Die Veranlassung dazu kaun eine doppelte sein: 1) Wenn eine Partie des Nervensystems, aus welchem Grunde es sei, vor den übrigen reizbar ist, so fällt bei allgc- 135 meiner Erregung ihre AfTcction vorzugsweise auf; sie scheint, mit allen Tiicilcn des Organismus in Sympathie zu slelm. Die älteren Pathologen nannten das reizbarere Organ die Pars mi- noris rcsistcnliae, indem sie voraussetzten, dass jede auf den Körper eindringende Schädlichkeit sich auf denjenigen Thcil werfe, der am wenigsten Widerstand zu leisten vermöge, und sie erklärten damit, warum hei gewisser Constitution und Anlage fast alle Einflüsse in demselben Organ und hei Krank- heiten meistens in dem schon kranken Theilc ihre Wirkung äussern. Wer au Caries eiues Zahnes leidet, hekömmt von jeder Veranlassung Zahnschmerz.cn, vou Erkältung, von Er- hitzung, von leidenschaftlicher Aufregung, von Diätfchleru u. s. f. Darum ist es falsch, aus dem letztern Umstände den Schluss zu ziehn, dass der Magen mit den Zahnnerven in erhöhter Sympathie stehe. So kann man nur urtheilcu, wenn mau übersieht, dass einerseits die Zahnnerven auch mit allen andern Punkten in erhöhter Sympathie slehu, und dass andrerseits ein Gastricismus zugleich auch auf die andern Nerven, nur in ge- ringen« Grade, zurückwirkt. Mehrere ähnliche Beispiele von ungewöhnlichen Sympathien durch Mangel an Gleichgewicht in dem Erregungszustände des Nervensystems wurden bereits oben p. 123 mitgetheilt. 2) Viele ungewöhnliche Sympathien heziehn sich auf Re- actionen , welche nach eigentümlichen Aüeclioncu der Sinne eintreten. Eine Sympathie zwischen Geruch und Magen wird vor- ausgesetzt, weil ekelhafte Gerüche Erbrechen erregen, und zwi- schen Geruch und Geschlechtsthcilen, weil es Gerüche giebl, welche den Geschlechtstrieb erwecken und weil die meisten Thiere durch den Gcruchsinn zur Begattung eingeladen werden. Dabei ist eiu uicht ganz unwichtiges Mittel- und Bindeglied übersehn, nämlich die Spclc. Bei der Sinnesempündung finden wir uns gereizt, nicht allein in stäikerm oder schwächerm Grade, son- dern auch in bestimmter Qualität; die Qualität des siuulicheu Eindrucks erzeugt Vorstellungen, und diese wieder entspre- chende Empfindungen oder Bewegungen. So wird es möglich, dass eiu Object des Gesichts- oder eiues andern Sinnes Erbre- chen oder Erecliou oder auch wilJkührliche Bewegung veran- lasst, je nach der Vorstellung oder dem Alfect, welcher dadurch hervorgebracht wild. Wie aber die Seele Macht habe, je nach 136 dem Inhalt der Vorstellungen bald auf diesen, bald auf jenen Theil des Nervensystems einzuwirken, liegt jenseits der Gren- zen dieser und vielleicht jeder Untersuchung. Da sich die Phänomene der sichern Nervensympathien aus der Conliguität der Nerven in den Centralorganen bisher erklä- ren Hessen , so darf man zweifeln , ob das Nervensystem über- haupt dann Vermittler von Sympathien sei, wenn weder ein solcher Zusammenhang, noch eine der so eben angeführten, modificirenden Ursachen nachzuweisen ist. Eine gewiss ebenso reiche Quelle der Sympathien, als das Nervensystem , ist das Blut und durch dieses werden auch die entlegensten Körpcr- theile miteinander in Consensus gebracht. Die Sympathien durch das Blut, auf welchen zum Theil die Krisen, die Meta- stasen, die vicariirenden Hämorrhagica und Absonderungen be- ruhen, 6ind in doppelter Weise bedingt, wie ich hier nur im Vorübergehen andeuten kann : 1) Wenn durch Krankheit eines normalen Absonderungs- organs oder durch äussere Einwirkungen auf eine pathologisch secernirende Stelle die auszuscheidende Materie im Blute zu- rückbleibt, so werden dadurch die übrigen Organe, und zwar vorzugsweise dasjenige sympathisch afflcirt, dessen Function dem erkrankten ähnlich ist; dadurch stehn die versebiednen Häute, Haut und Nieren, Speicheldrüsen und Pancreas u. s. f. in Consensus, 2) Wenn ein gewohnter, normaler oder abnormer Blut- verbrauch an einer Stelle des Körpers aufhört, sei es nun, dass das Blut zur Ernährung verwandt oder in ein Secrct umge- wandelt oder unverändert ausgeleert wurde, so leiden durch die vermehrte Blulmcnge die übrigen Theile des Körpers und zwar erfährt zunächst die Pars minoris rcsislcnliae die Wirkung der Plethora. Congestion, Eulzündung, Blutung entsteht bei vermehrter Quantität des Blutes in demjenigen Theile, dessen Gefässe am schwächsten sind. Es kommen aber noch einige Sympathien vor, die für jetzt weder aus dem Zusammenhang der Nerven, noch aus einer Vcrmittclung durch das Blut ganz zu begreifen sind; dahin ge- hört die Sympathie zwischen Uterus und den Brüsten, zwischen 137 Parolis und den Brüstet! und Eierstöcken beim Weib, und zwischen Parolis und Moden beim Manne. Unter den Brüsten und Uterus ist wenigstens der Zusammenhang noch teleologisch begrüudel, in den andern Füllen erscheint er wirklich wie frinc Zufällig- keit. Dort, zwischen Uterus und Brüsten, dürfte man vielleicht noch eine Nervenverbindung deshalb voraussetzen, weil schon für das gesunde Leben des Weibes die Verbindung beider Or- gane nothwendig erscheint. Die Annahme, dass ihre Nerven von Einem Punkte der Centralorgane kommen, wird durch die anatomische Thatsache unterstützt, dass die Nerven der Brüste mit animalischen Nerven verlaufen, die des Uterus dem sym- pathischen System angehören. Der Consensus zwischen Paro- tis einerseits und Hoden, Brüsten, Ovarien andrerseits zeigt sich aber nur in Kraukhcit, und vielleicht ist die Versetzung der Eulzündung von der einen Drüse auf die andere in der Angina porotidea mehr in der Eigenthümlichkcit der Krank- heit , als in einem präexistirenden, anatomisch begründeten Zu- sammenhang der Theile zu suchen. Antagonismus. Wenn eine Stelle der äussern Haut gereizt wird, so er- streckt eich die Reaclion gegen die Reizung, die Congcstion und Entzündung, über einen grössern oder geringern Theil der Umgegend: diese Reaction ist sympathisch. Wenn daher in der Nähe einer entzündeten Stelle neue Entzündung erregt wird, so steigert sich dadurch sympathisch die erste. Wird aber ein Reiz, der zu Congestion oder Entzündung Aolass giebt in einer angemessnen Entfernung von dem leidenden Theile angebracht, so wird dadurch die Reaction in diesem vermindert, und diese Hcrabstimmung erfolgt durch Antagonismus. Sympathie und Antagonismus sind beides Wirkungen eines Zusammenhanges, in welchem die gereizten Theile stehn ; in einem bestimmten Kreise Iheilt sich je nach der Stärke der Reizung und Erreg- barkeit die erhöhte Erregung mit, aber wie im Allgemeinen zeillich durch Reizung die Erregbarkeit erschöpft wird und um so rascher, einen je grössern Theil des Körpers die Rei- zung in Anspruch nimmt, so bedingt auch räumlich Erhöhung der Reizung in Einem Theil Verminderung derselben in einem andern, und zwar scheint auch das antagonistische Vcrkälinjss 138 der Theile durch den anatomischen Zusammenhang bedingt, dies darf wenigstens daraus geschlossen werden, dass eine, zu therapeutischem Zweck unternommne antagonistische Reizung um so wirksamer ist, je näher der antagonistische und derivi- rende Reiz der erkrankten Stelle gebracht wird, wenn nur nicht so nah, dass wieder sympathische Affection eintritt. In gleicher Weise äussert sich auch in den Centralorganen des Nervensystems der Connex, in welchem die Theile stehn, bald durch sympathische Erregung, bald durch antagonistische. Unter welchen Bedingungen die eine oder die andre eintrete, scheint mir fast unmöglich, theoretisch weiter zu entwickeln 5 im Allgemeinen aber lehrt die Erfahrung, dass gewisse Theile des Nervensystems so verbunden sind, dass mit Erregung des einen immer die Erregung des andern sich steigert, wie z. B. die Folge der Reizung mancher Gefühlsnerven jedesmal reflectirle Bewegung und niemals Erschlaffung der entsprechenden Muskeln ist; dass in andern Fällen die Reizung eines Theils die eines andern bald erhöht, bald vermindert, dass endlich unter gewissen Umständen der Connex der Theile jedesmal antagonistisch sich äussert. In vielen Fällen mag die Veränderung der Nerventhälig- keit durch Antagonismus der Beobachtung entgehn. Sie ist aber wahrnehmbar in den Functionen der Retina. Den con- trastirenden Erregungszuständen des Auges entsprechen bekannt- lich die complementären Farben. Durch das hellste Licht wird nämlich die getroilue Netzhautstclle auf kürzere oder längere Dauer absolut gelähmt; farbiges Licht erschöpft sie dagegen nur für die Reaction in der einen empfundnen Farbe, und es wird zugleich die Erregbarkeit für die andern Farben des Spec- Irum erhöht, ja die Farbe im Nachbild sclhslstäudig erzeugt; das durch Roth gereizte Auge hat ein grünes Nachbild, das durch Gelb gereizte ein violettes u. s. f. Die wechselnden Sensationen, welche in demselben Nerven nach einander ein- treten, finden nun auch regelmässig in den benachbarten Ner- ven neben einander Statt. Im Umfang einer roth beleuchte- ten Fläche empfindet das Auge grün, im Umfang einer gelb beleuchteten violett und ein kleiner, lebhaft gefärbter Fleck iu einer weissen Fläche kaun Veranlassung sein, dass das ganze übrige Gesichtsfeld iu der clomplcmcntärcn Farbe reagirt. Reizung einer Stelle der Haut bewirkt rcJlcclirlc krumpfe 139 in entsprechenden Muskeln sympathisch. Ursprünglich aus in- nern Ursachen enlstandne Krämpfe lassen sich dagegen durch Reizung der entsprechenden Empfindungsnerven heilen; schon das Volk weiss den schmerzhaften Crampus der Wadenmuskeln durch Reihen der Haut zu heben. Anhaltende tonische Krämpfe des Armes wurden durch leises Streichen über die Haut auf Augenblicke beseitigt*). So scheint es auch, dass willkükr- liche Muskelbewegungen und Krämpfe antagonistisch die Erre- gung der Sensibilität hcrabstimmen. Schreien, Zähneknirschen, das Ballen der Faust etc. hilft den Schmerz leichter tragen. Hysterische und selbst Epileptische sehnen sich nach ihrem Anfall und suchen ihn selbst herbeizuführen, weil sie ihn wie eine Krise mancher unangenehmen, im Körper umherziehenden Empfindungen ansehn. Wenn es gestattet ist, das körperliche Substrat der psy- chischen Aeusserungen als einen besondern Theil des Nerven- systems anzuschn, so steht auch dieser zu den Nerven der Bewegung und Empfindung ebenso oft in einem antagonisti- schen, als in einem sympathischen Verhältniss. Ein Denken mit Affect hat consensuelle Bewegungen und Phantasmen der Sinne zur Folge: es kann aber auch die Thätigkeit sich so in dem Denken concentrireu und erschöpfen, dass die motorischen Nerven selbst unter das mittlere Maass ihrer Erregung, unter den normalen Tonus sinken, die Gesichtszüge schlaff werden, die Glieder den Dienst versagen, die Sphincteren sich öffnen. Und nicht bloss im Affect, auch bei gespannter Aufmerksamkeit auf Einen Gegenstand wird die Energie der Muskelnerven ver- mindert, was sich in den Gesichtszügen durch einen lähmungs- artigen Ausdruck, namentlich durch das Herabhängen des Un- terkiefers verrälh. Umgekehrt stimmt aber auch körperliche Thätigkeit die Lebhaftigkeit psychischer AlTectiou herab; Zorn und Aerger, Kummer und Freude erschöpfen sich auch in den halb unwillkürlichen Muskeltbätigkeiten, in den krampfhaften Athembcwegungen (Toben, Lachen, Weinen), welche sie erst sympathisch erzeugten, und man sieht Menschen, auf den Grund solcher Erfahrungen , die drolligsten Sprünge, Kopfwen- dungen und Gesichtsverzerrungen vornehmen und die souder- M Pearson iu Med. chir. Transact. Vol. III. p. 2GG. 140 barsten Töne ausstossen, um die Schärfe einer unaugcnchuicu Erinnerung, die sich nicht beseitigen lassen will, zu mildern. Zusammengehalten mit diesen Thatsachcu wird es nunmehr um so wahrscheinlicher, dass im Schlafe die erhöhte Sympathie Folge erhöhter Erregung sei, und dass diese antagonistisch und durch den Stillstand der psychischen Thätigkeilen entstehe. Endlich wirkt auch die Reizung in den Brüsten oder dem Uterus, bald sympathisch, bald antagonistisch auf das cousen- suell verbundne Organ. Die Brüste schwellen an und schmer- zen nach der Empfänguiss (sympathisch), aber auch nach der Eulbindung und nach dem Tode des Kindes*) (antagonistisch), Vesicantien auf die Brüste befördern die Menstruation (sympa- thisch) und beschränken übermässige Multerblutungcn (antago- nistisch) n. s. f. Aus dem Antagonismus in den Cenlralorgancn erklärt es sich, wie so häufig in Nervenkrankheiten Afiectionen verschied- ucr Orgaue miteinander alterniren, so dass die eine gleichsam ein Heilmittel der andern zu sein scheint. Die Erregung eines Tbeils wird auf einen andern übertragen , aber die zweite Er- regung ist zugleich Ursache, dass die erste aufhört. Auch die Alteruation findet am häufigsten Statt zwischen Nerven, die durch ihre Lage consensuell verbunden sind. Nach Darwin**) wechselt auf diese Weise Migräne mit Zahnschmerz ab, wenn auch dieser durch Caries eines Zahns entstanden ist. Compa- retti***) behandelte eine Kranke, welche an krampfhaften Schmerzen im rechten Hypochondrium litt, die, so viel man aus der Beschreibung schliessen kann, von einer Krankheit der Leber herrührten; anhallender, bitterer Geschmack im Munde wird unter den Symptomen angeführt. (In diesem Falle wurde auch durch starke oder dauernde Bewegung des rechten Armes der Schmerz sympathisch gesteigert). Nach einiger Zeit gesellte sich dazu Schmerz in der linken Schulter. Aufm? adverti, sagt der Verf., saeviente hoc dolore, alium latera- lem ventris ferc abesse sed, ubi scapularis deecssit, Herum lateralis iuerevit. Cardialgie und Tic douloureux wechseln, wie *) Travers, furlhcr inquiry. p. 18. **) Zoonomic. Bd. I. Ablli. 2. p. 340. ***) a. a. O. p. 52. 141 An oral angiebt *% häufig mit einander ab. Holland**) sab Migräne, welche ziemlich alle 14 Tage wiederkehrte, fast ein Jahr lang regelmässig zwischen beiden Seilen alterniren, so dass der Kranke mit Sicherheit vorausbesfimmen konnte, welche Slimhälfle im nächsten Anfall leiden würde, — Viele Fälle dieser Art hat Reil gesammelt***); ich erwähne beispiels- weise Allernalion von Kopfweh mit Unterlcibskrämpfen (Fla- tulenz, Cardialgic, Stranguric), von Epilepsie mit anhaltendem Krampf der Beugemuskeln der rechten Hand, von Epilepsie mit Krampf husten u. s. f. Rcil behauptet auch, dass, wenn ein- zelne convulsivisch bewegte Theile gebunden oder gekrümmte gewaltsam gerade gestreckt werden, Krämpfe in andern bisher freien oder wenig ergriffnen Theilen entstehen. Indess können die seeundären Krämpfe in diesem Falle auch dadurch erklärt werden, dass das Strecken contrahirter Glieder und das Bin- den wieder als neuer Reiz wirkt. Bei dem Gcbundnen ist es ebenso, als ob er mit jeder Bewegung auf's Neue sich an einen fremden Körper stiesse. Auf folgende Arten kann also, um es nochmals in der Kürze anzugeben, der Connex zwischen 2 sympathisch ver- bundnen Organen sich äussern: 1) Die Erregung von A bewirkt Erregung von B. Sym- pathie oder Conscnsus im engern Sinne. 2) Die Erregung von A stimmt die Erregung von B her- ab, oder Minderung der Erregung von A erhöht die Erregung von B. Antagonismus. 3) Die Erregnng von A erhöht die Erregung von B. Die erhöhte Thätigkeit von B wirkt aber herabstimmend auf A zu- rück. A theilt seinen Zustand nicht nur B mit, sondern über- trägt ihn auch auf B. Man kann daher dies Verhälluiss Uebertragung nennen. Findet diese hin und zurück Statt, so entsteht Alternation. 4) Die Erregung von A, welche eintreten sollte, bleibt *) Cours de palhologic. Bruxelles. 1837. p. 48. **) Itleclical notes and relleclions. Lond. 1839. p. 137. **) Wemorabilia clinica. Fase. III. p. 168 ff. 142 aus, und es wird stalt dessen B erregt. Hier ist die Thätig- keit von B vikariirend. Bei vielen Nervenkrankheilen, die aus einzelnen Anfällen bestebn, ist vikariirende und übertragne Er- regung nicht leicht zu unterscheiden. Am häufigsten ist sie im Gebiet der organischen Nerven, deren sympathisches Vcrhält- niss zu einander und zu Rückenmarksnerven jetzt schliesslich betrachtet werden soll. Sympathien des organischen Nervensystems. Was man gewöhnlich unter dem Worte Nervensympathien versteht, ist im Vorhergehenden besprochen worden. Vielleicht lassen sich aber noch andre Erscheinungen auf denselben Be- griff zurückführen. Da wir Grund hatten, dem Zellgewebe der Haut und der Gefässe eine, der Muskelreizbarkeit ähnliche Energie zuzuschreiben, da es wahrscheinlich wurde, dass der Tonus desselben unter dem Einflüsse einer besondern Abtheilung des Nervensystems stehe und da der Tonus ohne Zweifel aus innern und äussern Gründen verändert werden kann: so muss man fragen, ob diese Veränderungen nicht ebensowohl auf mittelbare Weise, durch Sympathie, bedingt sein mögen, wie die Reactionen des animalischen Nervensystems? Es ist gewiss, dass die Bewegungen der Muskeln des Stammes auf Reizung der Haut durch das Rückenmark vermittelt sind; es ist sehr wahrscheinlich, dass die Contractionen unwillkürlicher Mus- kein im gesunden Körper von einer Reflexion durch die Gang- lien oder das Rückenmark, von der Irritation sensibler Nerven aus, veranlasst werden: sollten nicht auch die Veränderungen im Tonus des Zellgewebes, wenn 6ie von motorischen Nerven desselben abhängen, ihren ersten Grund in einem veränderten Zustand sensibler, oder um mich allgemeiner auszudrücken, ccntripetaler Nerven haben? Es fehlt nicht an Thatsachen, welche den Counex zwischen sensibeln und organischen Nerven beweisen. Dass auf Reizung der Nasenschleimhaut und Conjunctiva die Thräncn flicssen, auf Reizung der Mundschleimhaut die Speichclsccretion vermehrt, auf Reizung des Magens Magensaft ergossen wird, sieht man längst als Folge einer Nervensympathie an. Aber die Deu- tung kann verschieden sein. Mau hat sich gewöhnt, vermehrte Secrclion als ein Symptom erhöhter Thatigkcit zu betrachten, 143 und dann isl der Zustand der organischen Nerven in den ge- nannten Fällen Erregung und Folge eines Conscnsus im engern Sinne mit den animalischen Nerven. Offenbar aber sind die Gefässe einer Drüse während des Absondcrns, wie die Gefässe einer turgcscircndcn Haut, in Expansion, also erschlafft; die reichlichere Absonderung kann schon die Folge eines reichli- chem Durchschwitzen des Blutes aus den Gefässen, dieses die Folge einer Erweiterung der Gefässe sein, und die Erweiterung kann nur von einer verminderten Erregung in den organi- schen Nerven herrühren. Dann wäre der Grund vermehrter Secretion von Heizung eines seusiblen Nerven nicht Sympathie, sondern Antagonismus. Man muss bekennen, dass sowohl die eine, als die andre Ansicht im Grunde auf einer unerwiesenen physiologischen Hy- pothese beruht; da indess die erste gewissermaassen Bürger- recht erlangt hat, so möge es mir gestattet sein, auch von dem andern Gesichtspunkte aus eine Darstellung der Thatsachen zu versuchen. Es ist zuerst noch zu erwähnen, dass auch die Nerven der uuwillUührlichen Muskeln zu den Nerven des Stammes zuwei- len in eiuem antagonistischen Verhältnisse stehn. Unter den Krämpfen und Neuralgien der äussern Thcile ist bei Hysteri- schen Tympanitis, dauernde Verstopfung und Retention des Urins von Unthätigkcit der Muskeln des Darms und der Blase ein nicht seltnes Symptom. Umgekehrt kann Lähmung der animalischen Muskeln verbunden sein mit Contraction der orga- nischen, z. B. im Affect der Furcht. Der Abgang des Urins und der Excremcnte ist nämlich nicht die Folge von Lähmung der Sphinctcren allein, denn im Todlen bleiben Blase und Rec- tum gefüllt, sondern von Contraction der austreibenden Mus- keln. Ebenso wenig ist der Drang zu harnen die Wirkung der vermehrten Urinsecrction, denn zu andern Zeiten kann die Blase ohne Belästigung eine viel grössere Ausdehnung vertra- gen. — Arnold*) nimmt auch in der Iris einen Antagonismus zwischen animalischen und organischen Fasern an; durch Läh- mung des animalischen wie durch Reizung des vegetativen Sy- stems (z. B. von Würmern) werde sie erweitert, durch Reizung *) Untersuchungen über das Auge des Menschen, p. 74. 144 des animalischen und durch Lähmung des vegetativen Systems verengt. Obgleich das letztere nicht leicht zu beweisen ist, so scheint mir doch kaum eine andre Erklärung möglich. Dass beides, Erweiterung und Verengerung, active Zustände sind, ist unzweifelhaft*). Rudolphi, der dies anerkennt**), vergleicht die Iris mit dem Augenliedschliesser, desseu äusserer und inne- rer Kreis gleichfalls antagonistisch agiren; allein diese beiden wirken nur durch den Willen einander entgegen und es giebt keine Lähmung bloss des innern oder des äussern Theils, wäh- rend doch in der Iris allein die verengernden Fasern durch Nar- cotica gelähmt werden können. Wenden wir uns nun zunächst zum Zellgewebe unter der Voraussetzung, dass seine Contraction der erhöhten Erregung, seine Expansion der verminderten Erregung der organischen Ner- ven entspreche, so finden wir auch das Zellgewebe im Ver- hältniss zu den animalischen Nerven bald in consensueller, bald in antagonistischer Thätigkeit. Sympathisch ist die Contraction der Tunica dartos von Reiben der Haut des Hodensacks und von heftigem Drang zu Stuhlgang und Harnlassen, hier entwe- der reflcctirte oder Mitbewegung; sympathisch ist ferner die Erection der Brustwarze von Kitzeln, und das Sträuben der Haare bei heftigen Neuralgien des Kopfes. Pouteau***) er- zählt von einem Manne, welcher nach einem Falle auf den Kopf, 16 Jahre lang an den heftigsten Schmerzanfällen litt, dass an der leidenden Stelle die Haare härter und fester waren, als sonst am Kopfe, dass sie niemals lagen, so wie die andren und sich auf die unbequemste Weise aufrichteten, so oft irgend eine Gelegenheit, den Schmerz steigerte. Als ein Phänomen des Antagonismus zwischen anima- lischen Nerven und Zellgewebe könnte man die lähmungsartige *) Man darf nur an die folgende Beobachtung erinnern, welche Whytt (siimratl. Schriften p. 127) mitgetheilt hat. Die Papille war hei einem Knaben , während derselbe in comatösem Zustande lag, nicht grösser, als sie in einem gesunden Auge Lei massigem Licht zu sein pflegt; so oft aber der Knabe erweckt wurde, erweiterte sie sich plötzlich. **) Physiologie. IM. II. Ahth. 1. p. 217. ***) Ouevres poslhunies. T. II. p. 1)3. 145 Schlaffheit des letztem in Hysterischen ansehn. Uro die sagt*): „In those, who arc much disposed to hysterical affections, there is an evident weakness and laxity of the tissues, indepen- dently of what may bc supposed to bcloDg to the ner- vous systera. Thus there is a peculiar looseness of the joints, sometimes existing to such an extent, that they are liable to a kind of Subluxation (a slipping in and out as the patient terms it) without any laceration of the synovial membrane or liga- ments." Ferner die Contractionen des ganzen Hautzellgewebes (Gänsehaut) zugleich mit Lähmung der Muskeln des Stammes in deprimirenden Affecten. Bekanntlich wirkt auch die Kälte als Reiz, contrahirend, auf das Zellgewebe und Wärme erschlafft dasselbe, und es zei- gen sich hierin die Reactionen der organischen Nerven denen der animalischen direct entgegengesetzt. Wenn man sagen darf, dass das Gefühl der Wärme ein Zustand erhöhter Erregung der Haut ist, und wenn man die äussere Wärme einen Reiz nennt, weil sie diesen Zustand herbeiführt: so entspricht dagegen das Gefühl der Kälte, subjeeiiv genommen, einer verminderten Er- regung und die physicalische Kälte ist herabstimmend. Vom angenehmen Gefühl erhöhter Wärme zum Jucken und brennen- den Schmerz ist ein allmähliger Uebergang **) , wie andrerseits vom Gefühl der Kälte zur Taubheit und Lähmung. Die Em- pGndung rieselnder Kälte geht bei einem Druck auf die Ner- venstämme dem Einschlafen der Glieder vorher. So erhöht auch die Wärme die Reizbarkeit der Gefühlsnerven gegen äus- sere Eindrücke, und Kälte stumpft sie ab. In den Streitigkei- ten der Brownianer, ob Kälte zu den Reizen gehöre, wurde die primäre und seeundäre Wirkung derselben nicht gehörig unterschieden, und wenn die Wärme für deprimirend erklärt wird, so verwechselt man die Folge ihrer Wirkung auf die Gefässe des Gehirns mit den örtlichen Folgen. Zugegeben also, dass Kälte die Erregung der Geiuhlsnerven herabstimmt, Wärme gleich vielen andern Reizen dieselbe erhöht, so ist die Con- e) Lectures. p. 71. **) Wie dies schon Sterne im Tristram Shandy so phy- siologisch wahr beschrieb an dem Pastor Futatorius, dem eine heisse Kastanie in die Beinkleider gefallen war. Heule, patL. Unters. -jft 146 traction des Zellgewebes durch Kälte und die Erschlaffung durch Wärme, wenn sie von Gefüblsnervcn aus vermittelt ist, anta- gonistisch und Kälte wirkt nur deswegen allein auf das Zell- gewebe als Reiz, weil nur dieses antagonistisch, die wahren Muskeln aber sympathisch mit den centripetalen Nerven ver- bunden sind. Ich fühle sehr wohl, dass noch eine ganz andre Erklärung dieser Thatsachcn möglich ist, denn wenn nach der gewöhnli- chen Annahme Kälte die Zellfaser und somit die Gefässe pri- mär zur Contraction, Wärme zur Expansion bestimmt, so werden schon die Nerven örtlich deshalb in der Kälte stumpfer, in der Wärme reizbarer sein, weil dort ihre Ernährung leidet, und weil sie hier in lebhaflerm Verkehr mit dem Blule stehn. Gegen diese Ansicht sprechen indess die sogleich anzuführenden Erfahrungen, welche beweisen, dass Veränderung des Tonus der Gefässe ohne äussere Einflüsse von innen heraus, und zwar primär vom Nervensystem aus Statt findet. Die verschiednen Abstufungen in der Contraction oder dem Tonus der Gefässe äussern sich in dem sogenannten Turgor der Theile; dem normalen Turgor entspricht die mittlere Zusam- menziehung der Gefässe; wird diese gesteigert, so sinkt die Haut zusammen, wird blass und die gewöhnliche Transsudation des Serum durch die Gcfässwände mindert sich; in Drüsen stockt die Absonderung, denn wenn gleich der Bau des Secre- tionsorgans die Natur der Absonderung bestimmt, so ist doch die Quantität derselben abhängig von der Menge des Blutes, welche die Drüse durchläuft und von der Leichtigkeit, mit wel- cher es durch die Capillargefässe dringt; umgekehrt ist also vermehrter Turgor, Röthe, geringe Anschwellung, mit einem Worte, Congcstion und vermehrte, namentlich minder ge- sättigte Secretion die Folge einer minder energischen Zusam- menziehung der Gefässe. Ob die Gefässe mit animalischen Nerven in consensuel- lcr Erregung stehn können, lässt sich nicht bestimmt entscheiden. Nach den mikroskopischen Beobachtungen über Entzündung zie- hen sie sich auf massige Reize erst zusammen, che sie sich erwei- tern. Des cot*) sagt, dass während der Paroxysmcn von Tic dou- ') Ueber die örtlichen Krankheiten der Nerven, p. 127. 147 lourcux das Gesicht in einzelnen Fällen blass und missfarbig werde. Viel häufiger wird es roth. Für den Antagonismus zwischen animalischen Nerven und den organischen Nerven der Gcfässe lässt sich aber eine grosse Zahl von Beobachtungen anführen. Er zeigt 6icb schon im Verhältniss der Gefässc zu der Muskel- thätigkeit, so dass die Gefässe eines vielbewegten Theiles tur- gesciren und die entsprechenden Drüsen reichlicher absondern, die Schweissdrüsen der Haut bei Bewegungen der Rumpfmus- keln, Schweissdrüsen und Speicheldrüsen bei den Bewegungen des Kaucns und Sprechens, auch wenn kein Reiz auf die Schleimhaut des Mundes wirkt. Dieser Connex (ich brauche das Wort als das allgemeinere, welches zugleich Sympathie im engern Sinne und Antagonismus begreift) kann krankhaft gesteigert sein, wie folgender Fall beweist, den ich mit Hol land's eignen Worten anführe *) : The patient here was a gent- leman about thirty-six years of age and of good Health, save that, on the slightest exerlion of speaking, eating or emotion of mind, sweat broke out profusely in drops from the right side of the face, strictly defined by the median line, the other side remaining in its natural state. As far as I could see, there was no similar affection of the right side of the body etc.' Die Fälle, welche einen Connex zwischen sensibeln und Gefässnerven beweisen, kann man in zwei Reihen ordnen, solche, wo die Erregung der sensibeln Nerven aus innern Grün- den und gleichzeitig mit der Expansion der Gefässe veranlasst ist, und solche, wo sie durch äussere Reize vermittelt ist. a) Erregung der Gefässnerven aus innern Grün- den. Die Theilnahme der organischen Nerven äussert sich bald durch vermehrte Secretion entsprechender Drüsen, bald durch Oedem des Zellgewebes, bald durch Röthe der Haut, die selbst unter dem Schein von Haut -Entzündung auftreten kann. Speichelfluss und Thränenfluss im Anfall von Gesichts- schmerz ist ein sehr gewöhnliches Symptom **). In dem ange- führten Fall von Wardrop***) war nach Verwundung des *) a. a. O. p. 157. Note. **) Bell. a. a. O. p. 311. „im Anfall selbst fliessen die Thränen in einem Strom aus dem rechten Auge." Vgl. Descot. a. a. O. p. 52. ***) Med. chirurg. Transact. Vol. VIII. p. 247. 10* 148 Daumens die Haut so empfindlich, dass sie nicht die leiseste Berührung vertrug: „even the dread of any thing coming in coutact whit it, would make not only the finger, hut the wholc band flow with Perspiration." Aronssohn0) beobachtete, dass in Folge eines Neuroms am innern Condylus des Humerus (N. uluaris) die innere Fläche der Hand mit beständigem Schweissc bedeckt war. Bei derselben Kranken war eine Neuralgie des Knies mit ödematöser Anschwellung begleitet. Oedem des Gesichts bei Tic douloureux bemerkte auch Brodie**). Fast Alle, welche Neuralgien beobachtet haben, gedenken zu- gleich der Rölhung, oft auch leichten Anschwellung der schmerz- haften Hautstelle. Des cot wurde schon oben angefühlt. So sagt auch Earle ***), dass in allen Fällen von Tic douloureux, welche er zu beobachten Gelegenheit halte, während jedes Schmerzanfalls eine auffallend vermehrte Strömung des Blutes zu dem kranken Theile Statt fand, mit einer mehr oder minder auffallenden Vermeh- rung der Wärme. In drei Fällen heftiger Neuralgie nach Conlusion der Schädeldecken sah Pouteauf) noch viele Jahre nach der Ver- letzung die Haut mehr oder minder dunkelroth und leicht ge- schwollen. In dem erwähnten Falle von Aronssohn entstand auch, während des neuralgischen Anfalls im Beine, eine bläu- liche, sehr schmerzhafte Geschwulst, etwa 1" im Durchmesser, auf dem Rücken des Fusses, und eine zweite kleinere, am in- nern Rand der Tibia. Alle Haulvenen des Unterschenkels wa- ren geschwollen. Nach dem Anfall blieb an den genannten Stellen nur eine geringe Empfindlichkeit bei der Berührung zurück. In der Krankheit, welche A. Co o per als irritable Brust, irritablen Hoden in den betreffenden Werken (über Krankheiten der Mamma und des Hoden) beschrieben hat, eiuer anfangs nur neuralgischen Affection der genannten Theile, treten doch später auch Anschwellung und Röthe der Haut über denselben auf, und Brodie ff) beobachtete selbst Ge- *) Observ. sur les turaeurs dt-veloppees dans les nerfs. p. 14. **) Leclures etc. p. IS. ***) Medice -cl.ir. Transact. T. VII. p. 187, f ) a. a. O. p. 77. ff) Leclures etc. p. 18. 149 schwulst und Schmcrzhafligkcil beim Druck au einem Ho- den, welcher vom Herabsteigen eines Nierensteins durch den Ureter eine Zeit lang sympathischen Schmerzen unterwor- fen gewesen war. Brodic hat in den mehrmals angeführten Lccturcs über locale Nervenkrankheiten, so wie schon früher in seinem Werke über die Krankheiten der Gelenke auf eine mit Rölhe und Anschwellung verbundne, schmerzhafte Affcction der Gelenke aufmerksam gemacht, die er selbst ehedem öfters mit Gelenkentzündung verwechselt zu haben eingesteht, die aber ihren Sitz nur in der Haut habe und ein rein nervöses, hysterisches Leiden sei. Die Röthe und Geschwulst stehen, hier zum Schmerz in derselben Beziehung, wie beim Tic dou- lourcux. Sie haben ihren Sitz nur in der Haut, und ver- schwinden, sobald der Aufall der Neuralgie vorüber ist. Die Gelcnkkrankheit wechselt mit andern hysterischen Erscheinun- gen, Krämpfen und dergl. *). Zuweilen entsteht, wenn der Schmerz in der Hüfte seinen Sitz hat, eine allgemeine Anschwel- lung des Schenkels und der Hinterhacken; zuweilen, aber sei- len, ist die Geschwulst mehr umschrieben, jedoch von einem Abscess sehr verschieden; Brodie vergleicht ihre Gestalt einer Urticaria -Quaddel von ungewöhnlicher Grösse. — Wcchsel- fieber sind bekanntlich nicht selten von örtlicher Neuralgie be- gleitet; auch solche Neuralgien nehmen zuweilen die äussern Erscheinungen einer rheumatischen Entzündung an. Hild- reth**) erzählt die Geschichte einer Frau, welche an ciuer In« termittens quotidiana litt mit Kopfschmerzen, Empfindlichkeit des linken Hypochondrium und ciuer scheinbaren Entzündung *) Ich will beispielsweise nur eine der vielen lehrreichen Kran- kengeschichten ausheben: ,,Eine Dame litt an Neuralgie des Gesichts. Der Arzt verschrieb Valeriana. Der Gesichtsschmerz Hess. nach, aber aisbald stellte sich Schmerz in einem Fusse ein, der jeden Abend wiederkehrte. Nach einiger Zeit gesellte sich dazu Ujithe der Haut und Geschwulst der darunter liegenden Theile um die Dasis der Ze- hen. Diese Zeichen von Entzündung wuchsen einige Stundeu laug, und Hessen dann gänzlich nach. Als ich cousultirt wurde, hatten diese Zufälle bereits Monate lang gedauert. Ich gab schwelelsaures Chinin, wodurch die Krankheit iu wenigen Tagen geheilt wurde1" p. 31. Vergl. p. 34. 35. 39. **) The auiericau Jouru. of med. &c. 1836, p. 77. 150 des Knies, welches rotb, geschwollen und besonders während des Ficberparoxysmus sehr empfindlich war. Alle diese örtli- chen Leiden wurden durch Druck auf die Wirbelsäule gestei- gert und namentlich der Rheumatismus des Knies (wie ihn der Verf. nennt) durch Druck auf die Lendenwirbel. Chinin und Blasenpflaster auf die Wirbelsäule heilten die Krankheit. In diesen Nervenkrankheiten bleibt es aber nicht immer bei der Anfüllung der Gefässe und den Erscheinungen der Con- gestion oder des Rothlaufs; auch die Ausgänge wirklicher Ent- zündung bilden sich aus; bei Hysterischen nehmen nach Bro- dle*) zuweilen die äussersten Körper t heile, namentlich die Nasenspitze und die Knöchel, eine dunkle Farbe an, es folgt Blasenbildung und selbst Bildung dünner Schorfe. Hier kann man noch den Grund in einer primären, lähmungsartigen Schwäche der Gefässnerven suchen; die Erklärung ist aber nicht statthaft in dem folgenden, von Earle angeführten Fall**). M. Wil- liams stach sich mit einer Gabel in den Arm und verletzte den äussern Hautnerven etwa in der Mitte des Vorderarmes. Sie empfand bald heftige Schmerzen im ganzen Verlauf des Nerven, und die Umgegend der Wunde entzündete sich bedeu- tend. Sie sollte den Arm ruhig halten und kühlende Fomen- tationcn anwenden. Etwa drei Wochen nach der Verwundung strengte sie das Glied an, worauf sie plötzlich von Schmerz und einem Gefühl von Brennen in der Wunde ergriffen wurde. Bald dehnte sich eine rosige Entzündung über die ganze Volar- seite des Vorderanis aus und endete mit Blasenbildung; der Arm erhielt ein Ansehn wie im Pemphigus. Derselbe Zufall ereignete sich, so oft sie später den Arm gebrauchte. Nie er- streckte sich die Entzündung weiter, als über die genannte Stelle. Während der ganzen Dauer der Krankheit war der Nerve gegen Druck äusserst empfindlich. Damit stimmt nun auch, dass Reize, die sonst nur leichte Entzündung litrvorbringcn , in Theilcn, deren sensible Nerven in einem Zustande erhöhter Erregung sich befinden, so leicht zu heftiger und dauernder Entzündung und Eiterung Aulass ge- *) a. a. O. p. 73. **) a. a. O. p. 189. ist bcn, wie dies namentlich Lcy *) mehrmals erfahren zu haben versichert. Bei einer Frau, welche nach einer Entbindung und wahrscheinlich durch Heizung oder Entzündung des Lunibar- geflechts an heftiger Neuralgie des Bauches und der ganzen un- tern Extremität litt, liess er ßlutcgcl an die ßauchwändc legen. Es entstanden unter erysipelatüscr Entzündung Ulccralioncn um die Blulcgelsliche, welche auffallend wund und empfindlich waren und Wochen vergiugen, ehe eine Tendenz zur Heilung sich einstellte. Dasselbe ereignete sich bei einer andern Frau, die im sechsten Monat der Schwangerschaft an kleinen, um- schriebenen und sehr schmerzhaften (Nerven-) Geschwülsten unter der Haut der Tibia litt. Vielleicht gehören hierher auch die ödematösen Anschwel- lungen und Entzündungen in der äussern Haut, und namentlich in serösen und Schleimhäuten von Thcilcii, die durch Ver- letzung des Rückenmarks gelähmt sind oder unterhalb der ge- trofToen Stelle liegen. Denn die Spinalnerven solcher Thcilc befinden sich, wie oben gezeigt wurde, in erhöhter Erregung. Am häufigsten sind Entzündungen und Ulcerationen nach Ver- letzungen des Rückenmarks in den Nieren und in der Schleim- haut der Blase. Die veränderte Beschaffenheit des Urins bei Para- plegiscken ist län gst bekannt, aber erst durch BlizardCurling**) und Brodie***) richtig gedeutet worden: der Grund derselben ist Beimischung von Eiter, der in den Harnwegen gebildet wird. Wie bei paraplegisch Gelähmten der gewöhnliche Reiz der Blase, der Urin, auf die Muskeln derselben irritirender wirkt, so dass die Blase nicht die gewöhnliche Ausdehnung verträgt oder selbst beständig coutrahirt ist: so wird er auch für die Schleimhaut derselben zu einem heftigem Reizmittel und giebt zu Entzün- dung und Ulceration Aulass. Olli vier-}-) bemerkt, dass para- plegisch gelähmte Glieder oft etwas ioflltrirl sind, und dass die Epidermis derselben sich beständig abschuppe, was immer ein Zei- chen von Exsudation ist. Ich sprach die Vermuthuug aus, dass die erhöhte Erregung und Reizbarkeit gelähmter Theile Folge einer chronischen Entzündung oder Entartung des Rückenmarks sein *) An essay on the laryngisinus süidulus. Loud. 1S3G. p. 300. **) Lond. med. gaz. 1836. Mai. p. 325. ***) Med. cbir. Transact. XX. p. 144. f ) a. a. O. T. I. p. 113. 152 möge. Ich darf daher noch anführen, dass auch die reine Rük- kenmarksentzündung, wie Bellingeri beobachtet*), Entzün- dung des Peritoneum und der Nieren nach sich zieht. b) Erregung der sensibeln Nerven aus äussern Ursachen, durch chemische oder mechanische Rei- zung. Die bisher zusammengestellten Beobachtungen beweisen, dass der Tonus der Capillargefässe von den Centralorganen und namentlich von den sensiblen Nerven aus verändert werden kann, denn überall geht der Schmerz der Congestion voran, ßowohl in jedem einzelnen Anfall als im Verlauf der ganzen Krankheit, und meistens hat die Neuralgie schon einige Zeit gedauert, wenn Röthe und Geschwulst der betreffenden Theile hinzukommen. Man wird daher um so geneigter sein anzuneh- men, dass auch, wenn äussere Einwirkungen vermehrte Blut- anhäufung und Exsudation zur Folge haben, der Grund der Erscheinungen von den centripetalen Nerven ausgehe. In jenen Fällen sind sie, wie sich wenigstens bei vielen nachweisen lässt, am centralen Ende afficirt und wirken auf die Gefässe zurück; da es aber gleichgültig ist, an welcher Stelle seines Verlaufs ein Nerve gereizt werde, so muss die Reizung am peripheri- schen Ende dasselbe Resultat geben. Dass dies wirklich so sei, darf wohl nicht erst an Beispielen erwiesen werden. Nichts ist so sicher, als dass äussere Reizung bald die Absonderung der Drüsen vermehrt, bald Congestion, d. h. Erweiterung und Anfüllung der kleinen Gefässe zu Stande bringt. Und wie die Congestion, die in Begleitung von Neuralgien auftritt, endlich in Blutstockung, in Aussch witzung, in Eiterung übergeht, so auch die durch äussern Reiz vermittelte Congestion, wenn sie cur anhaltend und heftig genug ist. So 6ebe ich mich, fast unerwartet, auf dem Wege zu einer Theorie der Entzündung. Congestion und Entzündung würden ihrer nächsten Ursache nach in Erschlaffung der Capil- largefässe beruhen, und diese wäre antagonistisch durch Reizung der centripetalen Nerven bedingt. In Erschlaffung der Gefässe suchten schon viele, namentlich Wilson Philip und Rösch- aub, das Wesen der Entzündung, nur dass diese Forscher die irschlaffung als unmittelbare Folge der Reizung, die immer eine *) Omodei Aunali. 1S24. Ag. c Sett. p. 379. 153 schwächende Potenz sei, ansahen ; und es lassen sich, wie ich an einem andern Orte1) ausgeführt habe, die ferneren Phänomene der Entzündung aus Erweiterung der Gefässe wohl begreifen. Wenn die Gefässe weiter werden, ändern sich die Verhältnisse der End- osmose und daher die relativen Quantitäten der Bestandteile des Blutes; es wird ferner die Blutbewegung langsamer und dadurch der Austausch der Stoffe des Blutes mit den festen Theilen modifleirt. Endlich wandeln sich, wie Weber's directe Beobachtungen lehren**), im stockenden Blut die Blutkörper- chen um, und zwar so, dass sie zur Circulation weniger ge- schickt und vielleicht selbst wieder Grund der Stockung wer- den. Der Gegenstand ist wichtig genug um dabei noch einige Augenblicke zu verweilen. Es sind nämlich bei der Congestion und Entzündung zwei Processe wohl zu trennen, die Anhäufung des Blutes und die Metamorphose des angehäuften, extravasirten Blutes oder Blut- wassers; der erste Process ist die nächste Folge der Reizung, durch das Nervensystem bedingt, pathologisch; der zweite ist ein Process der gesunden Regeneration, er steht unter dem Einfluss der bildenden Kraft des Organismus und das Nerven- system verhält sich dabei, wie bei der normalen Entwicklung und Ernährung; es kann nur wieder durch die Einwirkung auf die Gefässe die Bedingung, von der die Regeneration ab- hängt, die Zufuhr des Blutes ändern, aber es enthält nicht den zureichenden Grund der Metamorphose. Deshalb ist auch we- der die Entzündung, im Ganzen genommen, eine Steigerung der plastischen Thätigkeit, noch jede Steigerung der plastischen Thätigkeit Entzündung. Was an dem durch den ersten Act der Entzündung ergossnen Bildungsstoffe geschieht, das thut die Natur auch an Blut und ßlutwasser, wenn es durch Riss eines Gefässes oder auf irgend eine andere Weise in das Ge- webe der gesunden Organe abgelagert worden ist. Congestion und Entzündung sind nicht wesentlich von ein- ander verschieden; es hängt von dem Grade der Reizung und von der Oertlichkeit der gereizten Stelle ab, ob der patholo- *) Bei Gelegenheit des Jahresberichts in Müllers Archiv. 1839. 3. Entzündung. *) Müller's Archiv. 1838. p. 462. 154 gische Vorgang mehr der einen oder der andern sich nähere. Bei geringer Reizung ist die Erweiterung der Gefässe gering und von kurzer Dauer; deshalb auch die Exsudation, die mit der Ausdehnung derGefässe in gerader Proportion steht, gering; je heftiger und anhaltender die Reizung, um so bedeutender die Erschlaffung der Gefässe und um so reichlicher das Exsudat. Natürlich kömmt es dabei auch auf den Gcfässreichthum der gereizten Theile an. Je mehr die Gefässe im Verhällniss zur festen Substanz überwiegen, um so leichter erfolgt die Exsu- dation, und daher sind es namentlich die Drüsen, in welchen selbst unbedeutende Congestion mit lebhafter Ausschwitzung, und da das Exsudat sogleich über die Grenze der Organe tritt, mit Absonderung endet. Derselbe Process hat auf Häuten mit dünnem Epithelium eine Ergiessung zur Folge, die sogleich die Oberhaut mit abstösst, auf Häuten mit dicker Epidermis eine Ergiessung unter diese, die nicht merklich ist, aber mit ober- flächlicher Exfoliation der Epidermis endet, in parenchymatösen Theilen endlich eine Hypertrophie des Gewebes. Wir sehn es an der Heilung der Nervenwunden und der Knochenbrücbe, dass die normalen Gewebe eine assimilirende Kraft auf die ergossne plastische Lymphe äussern, aber in beschränktem Maasse. Von jedem Nerven- oder Knochenstumpfe aus wird sie eine Strecke weit in Nerven • oder Knochensubstanz umgewandelt, und die Regeneration erfolgt vollständig, wenn beide Bruch- oder Schnitt- enden einander so genähert sind, dass die von beiden aus neu- gebildete Substanz zusammentritt; ist die Lücke grösser, so bleibt ein Raum übrig, der von anderm, namentlich Zellgewebe aus- gefüllt wird, die Nervennarbe, das falsche Gelenk. Nach die- ser Erfahrung lässt sich erklären, warum geringe und häufig wiederholte Congestion zur bessern Ernährung eines Organ«, z. B. der Muskeln, beiträgt; es wird jedesmal nur so viel er- gossen, als von dem Gewebe aus in gleichartige Substanz um- gewandelt werden kann. Ist nun die Menge des Ergossncn grösser, wie dies eben in der Entzündung der Fall ist, so ist der Ausgang ein andrer, und wieder nach der Localität, nach der Beschaffenheit der ergossncn Substanz und nach den Lebens- kräften vcrschicdiicr. Nirgends kann mau so anschaulich die Verwandtschaft zwischen Hypertrophie und Entzündung ver- folgen, als an der äussern Haut. Wenn ciue Stelle derselben 155 oft und massig gereizt wird, wie es z. B. der Partie der Vola an der Wurzel der Finger bei vielen mechanischen Arbeiten ergeht, so verdickt sich nach und nach die Oberhaut zur Schwiele; nach jeder heftigem Reizung ist die Stelle roth, etwas geschwollen und es stösst sich wenige Tage später die Ober- haut ab, ein Beweis, dass sie durch Exsudation von der Cutis getrennt war; endlich, wenn ein ungeübter und zarter Städter eine Stunde mit Rudern oder Graben sich beschäftigt, so hat sich schon eine Blase mit so reichlichem serösem Inhalt ge- bildet, dass sie nicht mehr eintrocknet, sondern platzt und eitert. Endigt die Congcstion und Entzündung in parenchymatö- sen Theilen mit einer bedeutendem Exsudation, als dass das Exsudirte in gleichartige Substanz umgewandelt werden könnte, so entsteht entweder Brand, durch Stockung der Circulation in grössern Strecken, oder einer der andern Ausgänge der Ent- zündung, Verhärtung oder Eiterung; auch die Zertheilung ist Verhärtung, die nur in der kürzesten Zeit spurlos verschwin- det. Der erste Act der Entzündung ist mit der Ergiessung be- endet, abgeschn davon, dass erhöhte Reizbarkeit der Empiin- dungsnerven und verminderter Tonus der Gefässe bei der Ver- härtung lange Zeit fortbestehn, und dass der Eiter selbst im Umkreis eine Entzündung veranlassen kann, bis er nach aussen durchbricht. Der erste Entzündungsreiz traf die Nerven und veranlasste seeundär Stockung in den Gefässen, die Anfüllung der Gefässe und der Säfte im Parenchym unterhalten wieder rückwirkend die Erregung der Nerven, bis die Flüssigkeiten sich einen Weg ins Freie, z. B. unter die Oberhaut oder durch einen Abscess nach aussen gebahnt haben. Die dk-gossne Sub- stanz ist aber ein neuer, ich möchte sagen accidenteller KeimstofT, welchen die bildende Idee des Organismus wie bei der ersten Entwicklung, und so weit es möglich ist, nach demselben Ty- pus zu Gewebe umwandelt. Der Process dieser Umwandlung erscheint als Verhärtung, wenn das ganze Exsudat zu neuem Gewebe verwandt oder wenigstens der flüssige Theil wieder von den Gefässen aufgenommen wird, er erscheint als Eiterung, wenn ein Theil des Exsudats flüssig ausgestossen wird. Im Körper höherer Thiere regenerirt sich in solcher Masse nicht leicht ein andres, als Zellgewebe. Zellgewebe ist daher mei- 156 stens die ncugebildetc Substanz nach Verhüllung, und aus dem- selben besteht die Narbe nach Eiterung. Ohne weiter auf diesen Gegenstand einzugehn, den ich iu meiner Schrift über Schleim- und Eiterbildung und im erwähn- ten Jahresbericht ausführlicher behandelt habe, glaube ich doch gezeigt zu haben, dass unter den Voraussetzungen, von denen ich ausging, eine Erklärung der Entzündung möglich sei. Es ist aber, wenn diese durchgeführt werden soll, zugleich eine Beschränkung des Begriffes nöthig, unter welchen, einzelner Aehnlichheiten wegen, viele heterogene pathologische und nor- male Vorgänge aufgenommen worden sind. Wenn wir als Prototyp der Entzündung die traumatische ansehn, so ergeben sich die sogenannten Cardinalsymptome aus der primären Affeclion der Gefühlsnerven , der Schmerz *) di- rect, wie er in der That immer das erste ist, Röthe und Ge- schwulst aus der antagonistischen Lähmung der Gefässe. Auch die objeetive Wärme hängt, wie wohl jetzt unzweifelhaft ist, von den Nerven entweder unmittelbar oder wenigstens von der Ernährung ab, wie sie unter dem normalen Einfluss der Ncr- *) Ich rechne, wie man gewöhnlich thut, den Schmerz zu den Cardinalsyraptomen der Entzündung. Eigentlich ist der Ausdruck un- genau und wird zu irrigen Vorstellungen führen, so lange man sich scheut, die Resultate pathologischer Erfahrungen physiologisch zu be- handeln. Schmerz ist nämlich Symptom erhöhter Erregung, gleichsam eine Hallucination der Tastnerven; er ist daher auch nur da zugegen, wo Tastnerven in den Krankheitsprocess verwickelt sind, und deshalb allerdings das allgemeinste Symptom, da diese Nerven am weitesten verbreitet. Wo aber die Energie der Nerven eines Organs eine andre ist, als Empfindung, da ist auch das Entzündungssymptom ein andres als Schmerz; es ist im Auge Lichterscheinung und erhöhte Empfind- lichkeit gegen Licht, im Ohrnerven werden Gchörphantasmen und Oxyakuia an die Stelle des Schmerzes treten u. s. f. Es darf daher wohl an die Möglichkeit einer Entzündung gedacht weiden, auch wo der Schmerz fehlt, und dies ist um so wichtiger zu erwligen hei Thei- len, wo uns die ohjeetiven Symptome verlassen und die Alterationen der Function das einzige sind, hei der Relina, beim Innern Ohr, ja vielleicht beim Gehirn auch als Organ der psychischen Aeusserungen. Dass eine acute Seelenslörung ihren Grund in Entzündung habe, darf wenigstens nicht damit widerlegt werden, dass der Schmerz lchle. 157 vcn auf die Gcfässc Statt findet; daher verminderte Wärme in gelähmten, gesteigerte in erregten Theilcn *). Danach gehören, ganz empirisch genommen, zur Entzündung zwei Factoren, er- hellte Erregung der sensiblen Nerven und Erweiterung der Ge- fässe, gleichviel wie dieselben durcheinander bedingt sein mögen. Zunächst an die traumatische Entzündung schliessen sich als- dann alle diejenigen, wo aus innern Gründen die Thäligkeit der Empfindungsucrven erhöht ist und Atonie der Gcfässe- zur Folge hat, wie in den oben angeführten Fällen und vielleicht noch in manchen andern, die nicht unter die Neuralgien ge- rechnet werden**). Dann folgen die Entzündungen, wo die erste Bedingung des firkrankens von den Blutgefässen ausgeht, wo aber die Stockung ebenso wie im ersten Falle auf die Ner- ven zurückwirkt, dahin gehören die Stockungen im Capillar- sysleme durch Aufnahme von Elementen ins Blut, welche me- chanisch den Weg durch die Capillargefässe versperren, z. B. Eiterkörnchen, Quecksilber- oder Stärkckügelchen (in den be- kannten Versuchen von Günther***) und Magendief). End- lich kann Entzündung auch dadurch eingeleitet werden, dass das Blut von aussen eingeführte oder im Körper erzeugte schädliche Stoffe führt, die in bestimmten Organen ihre Wir- kung entfallen, wie z. B. wenn Canlhariden in den Magen ge- bracht, Nephritis veranlassen. Dies läset sich so deuten, dass *) Die Beobachtungen darüber sind vollständig zusammengestellt in Müll er 's Physiol. 3te Aufl. Bd. I. p. 87. **) Z. B. bei manchen Ausschlägen aus innern Ursachen. Ich will nur an Zoster erinnern, der sich schon durch seine Begrenzung auf Eine Kürperseite als Nervenkrankheit zu erkennen giebt und ge- wiss oft, wenn nicht immer, sympathisch von Leiden der Unterleibs- organe bedingt ist. Von diesen aus denke ich mir zuerst die sensi- beln Nerven des Stammes ergriffen, eine Art Neuralgie, deren Folge oberflächliche Entzündung ist. Der Sitz des ursprünglichen Leidens wäre aber nicht in der Magengegend, wenn dort, wie gewöhnlich, aus- sen am Stamme, der Gürtel erscheint, sondern nach oben angeführ- ten Gesetzen tiefer abwärts, vielleicht in den Nieren zu suchen. Doch kommt der Gürtel auch höher oben, über den Schulterblättern vor und könnte dann von Leber- oder Magenleiden herrühren. ***) Rust's Magazin. 1834. Heft 2. t) LecoM sur les phenomenes physiques de la vie. T. II. III. IV. 158 entweder der schädliche Stoff eine spccifisch reizende Potenz für bestimmte centripetale Nerven ist, die er von den Blut- gefässen aus erreicht, oder dass er, durch ein specifischcs Verhältnisss zu andern Elementen der Gewebe (im angeführten Falle zu den absondernden Zellen der Niere) eine vermehrte Anziehung zwischen diesen und dem Blute und auch dadurch Stockung des Blutes bedingt; darüber sogleich noch ein Paar Worte. Zur traumatischen Entzündung, die wir als Typus aufge- gcstellt haben, gehören zwei Factoren; deshalb ist Alles nicht Entzündung oder falsche Entzündung, wo einer dieser Factoren fehlt. Es können aber namentlich die objeetiven Entzündungs- phänomene, Ruf he, Turgescenz, Exsudat ion und weiterhin die von den allgemeinen Lebenskräften vermittelten Umwandlungen des Exsudats auch aus vielen andern Ursachen entstehn. 1) Da nach der Voraussetzung der Grund aller objeetiven Symptome, die erhöhte Wärme ausgenommen, in Atonie der Gefässe beruht, welche bei der wahren Entzündung antago- nistisch ist, aber auch primär und auf andre Weise verursacht sein kann, so müssen Röthe, Geschwulst, Ulceration und Brand, aber ohne Schmerz nnd erhöhte Wärme, auch überall da sich zeigen, wo die Nerven der Capillargefässe primär gelähmt sind. Dies ist der Fall, wenn sämmtiiehe und also auch die präsu- mirten organischen Nerven eines Theiles gelrennt sind. Eine grosse Zahl von Beobachtungen liesse sich zur Bestätigung an- führen. Aus Magendie's Versuchen ergiebt sich, dass auf Durchschneidung des Trigeminus (dessen Aeste auch die orga- nischen Nerven enthalten) die Conjunctiva sich röthet und an- schwillt und die Hornhaut sich trübt (Magen die sagt „ent- zündet") bis zur Verschwärung der letztern und Vorfall der Augenfeuchtigkeiten: Verdunklung der Cornea und Adhäsion der Iris, Auflockerung der Mundschleimhaut und scorbutischen (also nicht entzündeten) Zustand des Zahnfleisches sah Scrres nach Erweichung und wie es scheint, Atrophie der Portio ma- jor des Trigeminus *) Einen ähnlichen Fall beschreibt Mayo**). Geschwüre an den Extremitäten nach Verletzungen, wodurch *) Magendic, Journ. de physiol. T. V. p. 24S. **) Mayo, anatom. and physiol. commentaries. No. II. \> 12. 159 die Nerven derselben getrennt wurden, sind sehr häufig*). Je- der, der den N. ischiadicus an lebenden Thicrcn des Experiments wegen durchschnitten hat, weiss, wie leicht die Hinterbeine, besonders an den Stellen, die den Boden berühren, wund und selbst brandig werden, ßrand entsteht auch hier statt der Ul- ceration dann, wenn die Circulation des Blutes weiter in die Tiefe gehemmt ist, so dass ein Theil der Oberfläche dem Ein- fluss des arteriellen Blutes ganz entzogen ist und auch nicht mehr durch Tränkung von demselben erreicht werden kann. Man könnte einwerfen, dass in diesen Fällen das subjee- tive Symptom, der Schmerz, nur deshalb fehle, weil die Lei- tung zum Gehirn unterbrochen sei, dass aber auch hier die Thätigkcit der centripetalen Nerven erhöht sei, wie wir es in der Paraplegic angenommen haben, wo doch auch das entzün- dete Organ nicht Schmerz erregt. Es mag sich in der That zuweilen ähnlich verhalten, dass dies aber gewöhnlich so sei, ist unwahrscheinlich 1) deshalb, weil diese Entzündungen in der Regel auch ohne erhöhte Wärme verlaufen; 2) weil, nach den Versuchen von Müller und Sticker, Nerven, welche nicht mehr mit dem Gehirn oder Rückenmark zusammenhän- gen, ihre Reizbarkeit bald zu verlieren scheinen; 3) weil ähn- liche falsche Entzündungen auch, ohne Schmerz und Tempera- turvermehrung, in unvollkommen gelähmten Theilen vorkommen, die noch empfindlich sind, und auch bei gleichmässigcr Er- schöpfung des ganzen Nervensystems, im sogenannten nervösen Stadium von Fiebern und Entzündungen. Ich habe oben Bro- die's Beobachtungen an Hysterischen angeführt, welche be- weisen, dass erhöhte Erregung der Gefühlsnerven Congestion und Entzündung zur Folge hat; Congestion kömmt aber auch dann vor, wenn nach längerer Dauer der Krankheit die Neu- ralgie in Lähmung übergeht. „In diesen Fällen" sagt Bro die**), „stellt sich, während Schmerz und erhöhte Empfindlichkeit des Gelenks nachlassen, allmählig Schwäche ein und wächst, bis sie zuletzt das vorherrschende Symptom wird. Muskelschwächc *) Vgl. Brodie, lectures. p. 73. Denmark, med. -chir. Trans- act. Vol. IV. p. 48. Romberg, Casper's Wochenschrift. 1S30. No. 19. **) Lectures p. 43. 160 ist aber nicht das einzige, was den Gebrauch des Glieds er- schwert. Die Häute der kleinen Blutgefässe scheinen, wenn das Glied lange horizontal gelegen hatte, an dem Zustand der Muskeln Theil zu nehmen, und wenn der Fuss zuerst den Bo- den betritt, so nimmt die Haut alsbald eine rothe Farbe an, so dunkel, wie vor dem Ausbruch eines Ausschlags." Decu- bitus und manche sogenannte hypostatische Entzündungen, na- mentlich Pneumonie, im letzten Stadium nervöser Fieber gehö- ren ebenfalls hierher. Unter diesen Umständen ist das sensible System weniger reizbar, als im gesunden Körper, Sinapismen, Vesicantien, drastische Abführungsmittel versagen ihre Wirkung, und die Entzündung heuchelnden Symptome, z. B. der Rhon- chus crepitans, treten auf unter allgemeinen Zeichen der Schwäche und Auflösung. 2) Aber ohne alle Veränderung des Tonus der Gefässe müssen die objeetiven Phänomene der Entzündung auch durch eine Beschaffenheit des Blutes entstehn, welche Infiltration des- selben in das Parenchym der Organe begünstigt. Der normale Turgor beruht auf einem bestimmten Verhältnisse der Porosität der Gefässe zur Dichtigkeit des Blutes. Exsudation entsteht durch Atonie (und vermehrte Porosität) der Gefässe, aber auch durch verminderte Dichtigkeit des Blutes; daher Wassersucht und Oedem, wenn mehr Wasser, als gewöhnlich in's Blut ge- langt, oder wenn die Drüsen, die Wasser ausscheiden (wie Haut und Nieren) unthälig werden, daher auch wahrscheinlich die sogenannten scorbutischen Entzündungen, wenn Blut mit aufgelöstem Farbestoff die Gefässwände durchdringt. So erklären sich die scheinbaren Entzündungen ohne Theil- nahme der Gefühlsnerven. Ich fürchte aber auch nicht den Einwurf, dass es Schmerzen gebe ohne die objeetiven Entzün- dungssymptome, und dass Schmerz einerseits und Röthe und Geschwulst andrerseits auch bei Entzündungen nicht immer in geradem Verhältnisse stehn : denn 1) kann der Schmerz, schein- bar in dem peripherischen Theile eines Empfindungsnerven Statt finden, wenn auch dieser unthätig, gelähmt, ja entfernt ist. 2) Ist Schmerz zwar möglich ohne Entzündung, aber nicht ohne Congestion, die oft nur ein geringerer Grad von Entzün- dung ist. 3) Dieselben örtlichen Structurverhältnisse, welche zur Vermehrung des Schmerzes beitragen, beschränken auch 161 die Exsudation, und so muss diese, nebst ihren direclen Fol- gen, eher in umgekehrter, als in gerader Proportion zum Schmerze 6iehn. Je fester die Struclur eines Theils, um so geringerer Spannung bedarf es zur Erzeugung heftiger Schmer- zen und um 60 schwerer kömmt es zu reichlicher Ergiessung. Daher sind Entzündungen der Cutis so schmerzhaft und docli oft nur erysipelatös, d. h. mit oberflächlicher Exsudation und Abschuppung endend; darum sind bei phlegmonösen Entzün- dungen in laxem Zellgewebe im Verhältniss zu den objeeliven Symptomen die sensiblen Nerven wenig ergriffen, darum kann es in fibrösen Theilen und in Knochen die heftigsten Schmer- zen ohne Exsudation oder mit so geringer Ausschwitzung ge- ben, dass es nicht zur Eiterung, oft kaum zur Hypertrophie kömmt. Ich darf indess diese Excursion nicht schliessen ohne auch auf die Schattenseiten der Erklärung und auf die Möglichkeit einer andern hingewiesen zu haben. Verwandt den Symptomen der Entzündung sind die Erschei- nungen der Turgescenz von Theilen, die in der Bildung begrif- fen sind oder in normal erhöhter Thatigkeit sich befinden, z. B. der sprossenden Geweihe, der Hoden in der Brunst, des Ute- rus in den ersten Tagen der Schwangerschaft u. s. f. Da man weder ein vermehrtes Zuströmen der Säfte annehmen, noch, aus früher angegebnen Gründen, den Einfluss der Nerven als das Primum movens normaler Bildungsthäligkeit ansehn kann, so lässt sich die Rölhe, Anschwellung und Exsudation in die- sen Fällen nur erklären aus einer vermehrten Anziehung zwi- schen den festen Theilen und dem Blut, wodurch die Bewegung des letztem erschwert wird, entweder unmittelbar oder wegen einer Substanzveränderung des Blutes. Die Aehnlichkeit dieser Vorgänge mit Entzündung ist um so grösser, da oft auch jene durch äussere Einwirkungen (Reize), wie z. B. die Turgescenz des Uterus durch den Samen oder das Ei hervorgerufen oder doch begünstigt werden. Alle Bildungsprocesse, von der ersten Entwicklung des Keimbläschens an, begünstigt die Wärme; die Wärme erhöht also die Anziehung zwischen den festen Theilen und Henle. patb. Unters. j i 162 der ernährenden Flüssigkeit (Dotier, Blut). Die Congestion durch Wärme könnte man also auch als eine Folge dieser er- höhten AfGnität und die Entzündungsreize überhaupt als analog der Wärme wirkend betrachten. Es Hesse sich dadurch auch die Congestion von primärer Erregung der Empfindungsnerven, in Neuralgien, begreifen, da vou den Erregungszuständen des Ner- vensystems selbst die Erzeugung der objecliven, messbaren Wärme abhängt. Danach würde in den Häuten der Gefässe nur Elasticität wirken , wodurch sie sich jedesmal, wie die Ar- terien, nach der Menge des in ihnen strömenden Blutes aus- dehnten und zusammenzögen. Unerklärt bliebe daher die Er- weiterung oder Lähmung der Gefässe von Mangel des Nerven- einflusses, ferner warum, nachdem Kälte eine Zeit lang einge- wirkt hat, von selbst Congestion entsteht, ein Factum, welches sich sehr wohl hegreift, wenn man die Zusammenziehung der Gefässe für einen lebendigen und durch das Nervensystem ver- mittelten Act nimmt, dem nach einiger Zeit nothvvcndig Ermü- dung und Lähmung, also der entgegengesetzte Zustand folgen muss. Unerklärlich bleibt es ferner, wenn man die Reizcou- gestion mit der normalen Turgesccnz zusammenstellt, warum, wie doch durch das Zeugniss so vieler Beobachter festsieht, massige Reize zuerst Verengerung und raschen Blutlauf veran- lassen, ehe die Erweiterung der Gefässe und die Stockung ein- tritt. Ich möchte eine Theorie, die doch nur Hypotbese ist, nicht gern zu sehr iu's Einzelne ausführen: indess verträgt es eich wohl mit unsern Begriffen von den Wirkungen der Ner- venkraft, dass massiger Reiz eines Nerven Erregung in dem consensuell verbundnen Nerven und heftigerer Reiz Lähmung in demselben veranlasse. Uebrigens schliessen die beiden entwickelten Ansichten von der Genesis der Turgesccnz und Entzündung einander nicht aus und können vielleicht neben einander bestehen. Eine Schwierigkeit für beide liegt aber in der Wirkung höherer Tem- peraturgrade auf gelähmte Theile. Dass die Haut neuralgischer und paraplegisch gelähmter Theile reizbarer gegen äussere Ein- flüsse, und also auch gegen Wärme ist, als die gesuode Haut, wurde schon oben erwähnt. Aber auch Glieder, deren Nerven gänzlich vom Rückenmark getrennt sind, werden durch verhält- nissmässig geringe Wärmegrade in heftige Entzündung versetzt. 163 In den Fällen, dieYelloIy*) und Earle**) erzählen, waren die Nerven gelähmt, im letztem einer der Nerven des Armes durch- schnitten, der Vorderarm und die Hand gefühllos, kalt, und den- noch entstand von Eintauchen des Arms in warmes Wasser oder von warmen Fomenlationen ausgedehnte Entzündung und Blasen- bildung. Soll man annehmen (ich sehe keinen andern Weg dies Factum zu erklären), dass die organischen Nerven nach der Trennung vom Rückenmark vielleicht von den Ganglien aus ihre Kraft erhalten, und dass alsdann auch in solchen Thci- Ich wie in paraplegischen und aus denselben Gründen die Reizbarkeit erhöht sei ? Dem widerspricht nur die Verminde- rung der eignen Warme in den gelähmten Theilen ; indessen war in dem früher angeführten Fall von Romberg, wo der N. tihialis durchschnitten war, die Temperatur des gelähmten Beines sogar um 1° höher, als die des gesunden. Es kommen, wie man sieht, Verschiedenheiten vor, welche bei den complicirten Verhältnissen des Nervensystems nicht von Einem Punkte aus zu erklären sind, und ich verlasse diese Frage, indem ich wenigstens nicht ganz ohne Nutzen auf die Beziehung aufmerksam gemacht zu haben glaube, in welcher der Entzündungsprocess zur Erregung der sensibelu Nerven steht. Wenn diese nun Sympathie oder Antagonismus ist, so zeigt sie sich, was die Verhältnisse der Oertlichkeit betrifft, ganz übereinstimmend mit den Reflexionserscheinungen. In der Regel ist, wie aus den angeführten Thatsachen sich ergiebl, die Reaction auf den Ort der Reizung beschränkt, mag diese von innern, oder äussern Gründen abhängen: so auch die Re- flexbewegung zunächst auf die Muskeln der gereizten Glieder. Wie ferner gewisse Hautstellen ausschliesslich mit bestimmten Muskeln sympathisch verbunden sind, so auch mit gewissen organischen Nerven, z. B. die Conjunctiva mit der Thränendrüse, die Schleimhaut des Mundes mit den Speicheldrüsen, deä Schlun- des mit den Tonsillen u. s. f. Reflexbewegungen breiten sich hei heftiger Reizung und eigenthümlicher Disposition weiter im System der Muskeln aus, und so auch die Reactionen der *) Med.-chir. transact. Vol. III. p. 90. *») a. a. O. p. 178. 182. 11' 164 befasse und zwar selbst ohne directen Zusammenhang dersel- ben; dieser kann wenigstens nicht die Ursache sein, dass Er- kältungen der Haut gewisser Regionen so rasch auf die in den entsprechenden Höhlen gelegnen Eingeweide wirken, Erkältung der Haut des Halses auf die Schleimhaut des Kehlkopfs, und Erkältung des Unterleibs auf die Darmschleimhaut. Die Analogie im Tonus der Gefässe und der Muskeln zeigt sich endlich auch in dem Einfluss der Affccle auf beide. Wir müssen den psy- chischen Verrichtungen die Eigenschaft zugestehn, dass sie durch ihre Qualität, ohne Rücksicht des örtlichen Zusammen- hangs, bald diese, bald jene empfindenden, wie bewegenden Ner- ven erregen; aber abgesehn von der Qualität haben sie, ihrer Stärke nach, einen bestimmten Einfluss auf den Körper, der in den verschiedenartigsten Affecten derselbe sein kann, und dieser Einfluss zeigt sich vom Kopf aus zum Stamm fortschrei- tend. Wie Affecte zunächst auf die Gesichts- und Augenmus- keln und, wenigstens bei Vögeln, auf die Iris wirken und erst in den heftigsten Graden auch die Muskeln des Stammes in Anspruch nehmen, so sind es zunächst die Gefässe des Ge- sichts, die durch Contraction oder Lähmung, Blässe oderRöthe, die Stimmung der Seele verrathen: so sind es auch zunächst die Schweissdrüsen des Gesichts und vor Allem die Thränen- drüse, deren Absonderung in jeder Art affectvollen Denkens gesteigert wird *). In höhern Graden von Scham oder Zorn oder Furcht dehnt sich die Röthe über Hals und Nacken aus und vermehrt sich auch in andern Drüsen, den Schweissdrü- sen des Stammes, den Nieren und den Drüsen des Darmes die Congestion und Absonderung. Und wie nach der Natur des Affects und nach individueller Disposition die Muskeln des Stammes bald gelähmt, bald krampfhaft contrahirt sich zeigen, so ist der Effect der leidenschaftlichen Aufregung bald Blässe *) Es ist mir nicht unwahrscheinlich, dass auch der vermehrte Glanz der Augen in excitirenden Leidenschaften, eine Folge erhöhter Spannung und Wölbung der Cornea, durch reichlichere Ansammlung des Humor aqueus bedingt wird. In den blutreichen Ciliarfortsätzen muss jede Congestion leicht eine merklich gesteigerte Durchschwilzung des Blutwasscrs zur Folge haben. Im umgekehrten Falle sinkt die Hornhaut ein , wird das Auge matt und glanzlos. 165 (mit Contraction des Hautzellgcwcbes) und verminderte Abson- derung (Trockenheit des Mundes), bald Rölbe und vermehrte Absonderung. Es ist dabei nur zu erinnern , dass der Zustand der IJautgcfässc auch von der Energie des Herzens abhängt, und dalier die Blässe der Haut eben sowohl mit allgemeiner Lähmung und Atonie, als mit partiellem Krampf der Hautge- fässe bestehn kann. So sind auch in allen Verhältnissen, welche die Mitlheilung im Spinalsystem begünstigen, beim sanguinischen Temperament, in den Zuständen reizbarer Schwäche u. s« f. die sympathischen und antagonistischen Erregungen des Gefässsystems leichter; solche Individuen wechseln bekanntlich sehr schnell die Farbe, es kömmt bald zum Ausbruch der Thränen, zum Schwciss u. s. f. Ueber Consensus und Antagonismus der organischen Ner- ven unter sich habe ich nichts mehr hinzuzufügen, da nach der hier versuchten Darstellung die Lähmung der Gefässnerven eine Consequenz der Erregung cenlripetaler Nerven ist und daher die Gesetze der Mittheilung für beide dieselben sind. Ueber Verlauf und Periodicität der Krankheit. Uie Krankheit ist kein Organismus, aber der Geist, der sie zu begreifen sucht, ist durch die Betrachtung der organischen Natur erzogen und überträgt auf jene die Begriffe, die er bei dieser erworben hat. Hier sehn wir an einem Einfachen, einem thierischen oder pflanzlichen Körper, während seines Bestehens, eine Summe von Thätigkeilen erscheinen; dort sehn wir eine Summe von Thätigkeiten, die miteinander auftreten und schwin- den und wir beziehn sie auf ein Einfaches, die Krankheit. Die Krankheit ist der supponirle Leib eines Wesens, dessen Funclionen die Symptome sind. So werden auch die zeitlichen Verhältnisse der Krankheit beurtheilt. Der organische Leib entwickelt sich aus dem ein- fachen Keime, wächst und stirbt, seine Existenz ist iunerhalb gewisser, zeitlicher Grenzen eingeschlossen: die Krankheits- symptome beginnen unmerklich, nehmen zu und wieder ab, und so sagt man von der Krankheit, als dem Einfachen, dass sie entstehe, wachse und vergehe: man schreibt ihr eine Le- bensdauer zu. Indem an dem organischen Leib einzelne Func- tionen nach und nach hervortreten und andre enden, theilt sich sein Leben in Epochen, die Lebensalter; es sind Zeitabschnitte, durch welche er bis zur Vollendung seines Daseins stätig fort- schreitet. Indem zu einer Summe von Kraukheitssymptomeu neue hinzutreten, indem einzelne aus dem Complex ausschei- den, theilt sich die Existenz der Krankheit in Epochen, die Stadien; auch die Stadien sind aneinandergereihte, unter sich 167 verschiedne Zeitabschnitte, durch welche in stätigcr Entwicklung die Krankheit ihrem Ende entgegengeht. Während der Entwicklung durch die einzelnen Epochen hindurch lässt «ich aber in vielen Erscheinungen an dem orga- nischen Leibe ein Schwanken auf- und abwärts in kleineren Zeitabschnitten wahrnehmen. Man kann es vergleichen mit einer Wellenbewegung bei stetem Fortschreilen, wie man auch für die geistige Entwicklung des Individuum und der Gattung oft dies Glcichniss benützt hat, oder besser noch mit einer Spiralbcwegung, die nach jeder Cirkeltour in die Nähe des Ausgangspunktes zurückkehrt. Deshalb heissen die kleinen Zeit- abschnitte Perioden, Umläufe, und eine Entwicklung wird pe- riodisch oder rhytmisch genannt, wenn sie solche Umläufe deutlich wahrnehmen lässt. Das Wachsthum des Hirschge- weihs z. B. erfährt in jedem Jahre eine solche Schwankung, seine Ernährung versiegt und es fällt ab; aber das im nächsten Sommer sprossende ist grösser und ein Ende reicher; so ist die Dauer der Entwicklung des Geweihes gleich der Lebensdauer desThieres; die Perioden seiner Entwicklung sind jährige. Die Lebensdauer der Geschlcchtsthätigkeit bei Frauen fällt zwischen das löte und 45ste Jahr; in dieser Zeit aber ist der Rhytmus derselben ein monatlicher, u. s. f. Auch innerhalb der Lebensdauer einer Krankheit erkennen wir ein wechselndes Steigen und Fallen der Krankheitssymptome und dadurch ein Zerfallen in Perioden, die mit grösserer oder geringerer Regelmässigkeit wiederkehren. Man schreibt da- her auch der Krankheit einen Rhytmus zu und nennt periodi- sche oder rhytmische Krankheiten diejenigen, in welchen die regelmässige Wiederkehr gewisser Erscheinungen auffallend ist, während man sich den einfachen Grund derselben fortbestehend denkt. Einzelne Functionen des lebenden Organismus fallen für eine gewisse Zeit aus, er schläft; einzelne Krankheitssymptome schweigen, die Krankheit schlummert. Die Beurtheilung der Lebensdauer der Krankheit, und ob dieselbe rhytmisch sei oder nicht, unterliegt aber grossen Schwie- rigkeiten. Bei den Organismen der Thier- und Pflanzenwelt sehen wir die Lebeuscrscheinungen an einen concreten, sinnlich erkennbaren Leib gebunden, und wir können nicht irren, wenn wir diesen concreten Leib als den Träger der Functionen an- 168 sehn, die wir nach und nach, an ihm wahrnehmen. Sehn wir heute ein Thier aus halbjährigem Winterschlaf erwachen, so wissen wir, dass die Lebensäusserungen demselben We- sen angehören, welches vor einem halben Jahre in gleicher Weise thätig war, dass der Schlaf eine Unterbrechung bestimm- ter Lebensthätigkeit, nicht des Lebens war, und dass die Zu- stände des Schlafs und Wachens rbytmisch wiederkehrende Perioden desselben Lebens sind. Voü der Krankheit dagegen, selbst wenn sie in ganz pal- pabeln, aber innern Veränderungen begründet ist, und mehr noch, wenn die Veränderungen sich unserer sinnlichen Wahr- nehmung enlziehn, erkennen wir nur die äusseren, oft nur sympathischen Erscheinungen , nicht den organischen Grund. Zugegeben also, dass die Krankheit oder der pathologische Pro- cess zu den Symptomen in demselben Verhältniss stehe, wie der gesunde Organismus zu den Lebensäusserungen, so kann es immerhin zweifelhaft bleiben, in wie weit sämmlliche wahr- nehmbare pathologische Erscheinungen der Entwicklung Eines und desselben pathologischen Processcs angehören, und dem- nach, ob gewisse, mehr oder minder regelmässig wiederkeh- rende Phänomene Perioden Einer Krankheit, oder selbstständige Krankheiten seien. Man hat selbst das Wechselfieber nicht als eine Krankheit mit periodischen Anfällen, sondern als eine Reihe von 2 — 3tägigen Fiebern betrachen wollen. Bei Krank- heitsanfällen, die sich in grossen Pausen, nach einem oder zwei, drei Jahren wiederholen, ist die Frage empirisch kaum zu lösen. Eine andre Schwierigkeit liegt noch darin, dass dieselbe Krank- heit durch verschiedenartige Symptome, oder an verschiednen Stellen sich äussern kann, z. ß. Gicht durch Podagra, Ilirn- entzündung, Hämorrhoiden etc., so dass also auch die Verglei- chung der Symptome unzureichend ist, das einzige sonst, wo- durch wir auf gleiche Ursache und also auf Fortdauer der Ursache schliessen können. Durch diese Bemerkungen glaube ich den Grad der Sicher- heit bezeichnet zu haben, der den Untersuchungen über die Lebensverhältnisse der Krankheit zukömmt, und nachdem ich auch in diesem Punkte wieder unsre Schwäche bekannt habe, gehe ich zur nähern Erörterung der zeitlichen Verhältnisse der 169 Krankheit über, und zwar zuerst der Lebensdauer, dann des Rhytmus derselben. Dauer der Krankheit. Typus. Die älteste Einteilung der Krankheiten ist die dem Ver- laufe nach, in acute und chronische. Es verhält sich mit dieser Eintheilung, wie last mit allen nalurhistori^chcn, abge- sehn von den rein künstlichen Systemen; aus der ßctrachlung der Extreme sind sie zuerst und leicht gebildet, aber den Nach- kommen wird die schwierige Aufgabe, das wachsende Material und die zweifelhaften Zwischenformen nach dem gegebnen Schema zu ordnen. So leicht es ist, einen Krebs von einer Schnecke zu unterscheiden, so schwer ist es, eine Definition der Ctusta- ceen und Mollusken in der Weise zu geben, dass die zweideu- tigen Rankenfüsser eine sichere Stelle finden. Ebenso ist es mit den Krankheiten. Welcher Unterschied im Verlauf eines Scharlachfiebers, einer Hirnentzündung, eines Furunkels gegen- über einem Carcinom, einer Lungenschwindsucht, einer Cata- ract! und dagegen, wenn wir die Geschichte unsrer Wissen- schaft durchgehen, welche Bemühungen, ich will nicht einmal sagen, den Grund dieser Verschiedenheiten aufzufinden, sondern nur den äussern, wesentlichen Cbaracter einer jeden dieser Gruppen festzustellen! Drei Momente sind implicirt in den Begriffen acut und chronisch, wie sie nach und nach sich gestaltet habeu: Zuerst bezichen sie sich auf die absolute Dauer der Krank- heit, acut ist = rasch verlaufend, chronisch = langsam ver- laufend. Es war nöthig, eine bestimmte Grenze anzugeben (der 21ste Tag bei den altem Pathologen), welche acute und chronische Krankheiten scheiden soll und schon dies ist miss- lich bei den Schwankungen, welche durch die Grösse der Schädlichkeit, durch die Lebhaftigkeit der individuellen Keaclion und durch die Natur des ergriffenen Gewehes in demselben Krankheitsprocess bedingt wTerden. Es würde z. B. darnach eine Flautwunde zu den acuten, eine Knochenwunde zu den chronischen Krankheiten gehören. Die Rücksicht auf die Dauer würde daher, da sie Verwandtes auseinanderreisst, nur den Werth eines künstlichen Eintheilungsprincips habeu und in diesem Sinne sind die Morbi acutissimi , peracuti , subacuti, 170 entstanden. Aber auch so ist das Kriterium unbrauchbar we- gen der Schwierigkeit, Anfang und Ende der Krankheiten zu bestimmen, besonders bei den lange vorbereiteten und dann oft momentan tödtlichen Hämorrhagieo, Schlagflüssen u. s. f. Es wurde daher in der Folge acut und chronisch ausge- legt als fieberhaft und fieberlos (Reil, Wilmans, Hufe- land) und bei Reil ist Fieber gleichbedeutend mit acuter Krankheit. Aber obgleich die wesentlich acuten Krankheiten meistens fibrilische sind, und die meisten chronischen, wie man sich ausdrückt, ohne Theilnahme des Gesammtorganismus ver- laufen, so kömmt doch auch bei den chronischsten das Fieber oft in spätem Stadien hinzu, und es kann, je nach der Disposition, dieselbe acute Krankheit, z. B. Catarrh, Schnupfen, Hautaus- schlag, mit oder ohne Fieber auftreten. Drittens bestimmte man die acuten Krankheiten als Leiden mit gemessnem Verlauf und deutlicher Succession der Sta- dien, die chronischen dagegen als un regelmässige, schwan- kende, ohne bestimmten Fortschritt zur Genesung oder zum Tod. Nach dieser Auslegung ist acut gleichbedeutend mit ty- pisch, chronisch mit atypisch. Um aber den Sinn dieser Unterscheidung recht zu verstehn und ihren Werth zu beur- theilen, ist es nothwendig, den Grund des Typus und die Be- deutung des Wortes genauer, als bis jetzt geschehn, in's Auge zu fassen. Zum Typus einer Art, Galtung, Familie gelangt man, in- dem man bei Vergleichung einer Reihe von Individuen, Arten, Gattungen, das Zufällige und Besondere vom Allgemeinen und Bleibenden trennt. Der Typus der Art ist daher das Gesetz für die Bildung der Individuen und die Form der Individuen ist typisch, gesetzmässig. Aber nicht blos die Form, auch die Entwicklung, die Reactionen gegen äussere Reize sind es. Welchen Grad von mechanischer oder chemischer Reizung eiu Wesen ungefährdet ertragen könne, wie es durch denselben verändert werde, in welcher Zeit sich die normale Form und Mischung, so weit es überhaupt möglich ist, wieder herstelle, dies hängt von der ursprünglichen Organisation des Wesens und also, abgesehn von der Breite individueller Schwankung, vom Typus ab. Wenn aber die Reactionen typisch sind, so sind 171 es auch die Kraukheilcn, denn die Krankheit hcruht wie später gezeigt werden soll, nur in veränderter Bildungsthätigkeit des Organismus in Folge äusserer Einwirkungen, die der Kör- per nicht beherrschen kann. Gift, excessive Warme oder Kälte, Entziehung der Nahrung, mechanische Verletzung u. s. f. wirkt auf alle Individuen derselben Galtung gleich, und wenn es anders scheint, so haben schon vorher Einwirkun- gen auf die Einzelnen Statt gefunden, die wieder nach be- stimmten Gesetzen ihre Reactionsweise veränderten. Auf die- selbe Verletzung, die beim Menschen Eiterung erzeugt, bil- det sich beim Vogel eiue Kruste, unter welcher die Wunde heilt, stösst sich beim Salamander das ganze verletzte Glied ab und erzeugt sich neu , bilden sich beim Polypen aus einem In- dividuum zwei, indem jeder getrennte Theil wieder zum Gan- zen wird. Alles dies ist typisch, durch das Gesetz der Gat- tung bestimmt, und es giebt also nur typische Krank- heiten. Allein allgemein hören wir die Krankheiten unterscheiden in typische und nicht typische, in Krankheiten mit regelmässi- gem und unregelmässigem Verlauf, Worin ist dieser" Unter- schied begründet? Er beruht darauf, dass wir die Krankheilen selbst wieder, ohne Rücksicht auf ihre Bedingungen, nach Art der selbststän- digen Organismen, und in Folge eiuer unserm Geiste immanen- ten Nothwendigkeit, in Arten, Gattungen etc. zu classificiren gewohnt sind. Wir abstrahiren dabei, so gut wir es eben ver- stehn, von individuellen Zufälligkeiten, und fassen ähnliche Fälle in verschiednen Individuen als Krankheitsiudividuen der- selben Species, ähnliche Krankheiten in verschiedneu Organen als Species derselben Gattung auf. Wie bei den selbstständi- gen Wesen, bilden wir uns auf diese Weise einen Typus der Art, Gattung u. s. f. Findet sich nun, dass der Verlauf einer Krankheit demsel- ben entspricht, so nennt man sie typisch, regelmässig; im ent- gegengesetzten Falle anomal , atypisch. Insbesondere aber heissen in Bezug auf die zeitliche Entwicklung diejenigen Krankheiten typisch, welche überall, ausser den übrigen speci- fischen Characteren, wodurch wir mehrere Krankheitsfälle als zu derselben Species gehörig erkennen, im Verlaufe sich glci- 172 chen, atypisch, wenn der Verlauf bedeutenden Abweichungen unterliegt, ohne dass man darum eine specifische Verschieden- heit anzunehmen berechtigt wäre. In letzterer Beziehung kann man sich freilich wieder irren, und es fragt sich, ob nicht die Unterschiede des Verlaufs mit- unter wichtigere Gattungscharactere seien, als die mehr augen- fälligen Symptome, wonach unsre Gattungen gebildet sind, und ob nicht z.B. einereine Entzündung und eine scrophulöse ihrem Wesen nach wichtigere Verschiedenheiten zeigen, als eine scro- phulöse Entzündung und scrophulöse Lungenschwindsucht. Das Wort „atypisch" hat aber einen doppelten SJnn, es heisst nämlich vom Typus der Gattung abweichend und auch des Typus überhaupt entbehrend. Eine Entzündung kann typisch sein oder nicht; für eine Dyscrasie giebt es aber keinen Typus, wenigstens keinen typischen Verlauf. Forschen wir nun zuerst, wie es geschehe, dass das Er- kranken desselben Organs oder auch derselbe pathologische Process in so wechselnder Gestalt sich zeige, so lässt sich der Grund nur in Verschiedenheiten der äussern Einwirkungen su- chen. Die Krankheit ist, wie man sich auszudrücken pflegt, das Product zweier Factoren, der Anlage und der äussern Schäd- lichkeit. Die Anlage des gesunden Körpers ist das Resultat seiner ursprünglichen Organisation und daher geselzmässig, für Individuen derselben Art constant; das Product kann daher nur durch Veränderung des andern, äussern Factors variiren. Die Folgen einer Stichwunde der Haut sind bei Individuen dersel- ben Art, unter gleichen Verhältnissen der Entwicklung und des Geschlechts dieselben, die consecutive Entzündung ist ty- pisch. Wenn sie jemals von dem Typus abweicht, so setzen wir voraus, dass ausser der gewöhnlichen mechanischen Ver- letzung noch eine andere Ursache einwirkte, das stechende In- strument war vielleicht vergiftet, schartig u. s. f. oder es traf ein Organ, welches eigentümliche Reaciionen veranlasst, z.B. ein Gefäss oder einen Nerven. Die Entzündung, welche jetzt folgt, man nennt sie complicirt, ist ebenso gesetzmässig, wie die reine Entzündung, ebenso nothwendig bedingt durch die Verhältnisse der Organisation und die zusammengesetztere Schäd- lichkeit. Sie weicht aber ab in Beziehung auf Symptome und Verlauf von der einfachsten Entzündungsform, uach welcher 173 die Galfungscharncterc gebildet sind, und entspricht deshalb nicht mehr vollkommen dem Typus der Entzündung. Dasselbe gilt nicht minder für die Fälle, wo die complicirende Ursache frü- her eingewirkt hat. Krankhafte Processe, welche wir in lypischcr Form ken- nen, werden also dadurch unregelmässig, dass mit der Ur- sache, welche die typische Form erzeugt, noch andere Schäd- lichkeiten coneurriren. Es giebt aher Krankheilen, die niemals typisch erscheinen, oder richtiger, von welchen keine typische Form bekannt ist. Der Grund davon ist leicht zu erralhen. Da die Entzündung 60 häufig durch dieselbe eiufache Gelegenheitsursache erregt wird, so sehn wir viele einander gleichende Fälle und sind im Stande, danach ein Normal derselben zu entwerfen. Krankhei- ten dagegen, welche die endliche Folge langsam wachsender, oder häufig wiederholter, mannichfaltig wechselnder schädlicher Einflüsse sind, können zwar in den Hauptzügen einander glei- chen, aber nie in so entsprechender Weise wiederkehren, dass danach eine Regel ihres Verlaufs zu abstrahiren wäre. Es folgt hieraus, dass im Allgemeinen die typischen Krank- heiten auch diejenigen sind, welche aus einer Einmal und rasch wirkenden Ursache entstehn, dass die nicht typischen dagegen aus allmählig oder anhaltend wirkenden hervorgehen. Ferner, dass die typischen Krankheiten zugleich die reinen sind, da- gegen nicht typisch identisch ist mit speeifisch, complicirt, Constitutionen, durch Einfluss vorbereitender Ursachen mo- dificirf. Es folgt endlich, dass typische Krankheiten solche sind, zu welchen keine andre, als die allgemeinste Anlage zu erkran- ken gehört, dass dagegen die nicht typischen Krankheiten eine besondere Anlage oder Prädisposition, selbst Erblichkeit vor- aussetzen. Dies hat seinen Grund in der Art und Weise mensch- licher Betrachtung. Die Schädlichkeit, welcher der Körper lang oder wiederholt ausgesetzt ist, und welche vielleicht erst nach Jahren die bestimmte Krankheit hervorruft, verändert denselben doch schon vom ersten Moment an. Das Resultat der Summe aller Veränderungen ist eine Krankheit. Aber das Resultat der ersten Veränderung ist auch schon Krankheit, eine Entwick- lungsstufe der folgenden. Wie man nun den wachsenden Orga- 174 nismus an jedem Punkte seiner allmähligen Entwicklung auf- fassen, gleichsam festhalten, und die ganze bis dahin erreichte Bildung als die Anlage der folgenden Stufe betrachten kann, so lässt sich auch jeder Krankheitsprocess, der eine gewisse Zeit zu seiner Ausbildung bedarf, künstlich in Anlage und Krankheit I heilen: so enthält die Scrophulosis, selbst schon Krankheit, die Anlage zu Tuberkeln, Lungentuberkcln prädis- poniren zu Lungenentzündung, Lungenentzündung zu Hyper- trophie des Herzens u. s. f. So weit, als wir eine Krankheit als Anlage fassen, soweit sind die äussern Ursachen der Krankheit prädisponirende; so sind z. B. die Gelegenheitsursachen der Scrophelsucht prädisponi- rende in Beziehung auf eine scrophulöse Entzündung, welche entsteht, wenn ein gewöhnlicher Entzündungsreiz auf Scrophu- löse wirkt. Man pflegt in der Regel statt der prädisponirenden Ursachen denElfect derselben zu setzen, z. B. in dem erwähn- ten Falle die Scrophulosis statt der äussern Agentien, welche dieselbe erzeugten. In der That aber ist die scrophulöse Ent- zündung nicht die Folge der Scrophelsucht und der Gelegenheits- ursache, sondern die Folge der Gelegenheitsursachen der Scro- phelsucht und zuletzt der Gelegenheitsursache zur Entzündung. Nicht immer äussert sich die Krankheit oder krankhafte Anlage, welche aus den prädisponirenden Einflüssen hervorging, durch bestimmte Symptome, zuweilen nur darum, weil die Er- scheinungen zu unbedeutend sind, um Aufmerksamkeit zu er- regen, oder in der Tiefe des Körpers verborgen oder in einem Gewebe, dessen Zustände anfangs nicht so leicht den übrigen Organismus in Mitleidenschaft ziehen. Es kann aber auch eine Krankheit deswegen längere Zeit ohne Symptome sein, weil ihr Erscheinen an eine gewisse Entwicklungsstufe des Organismus gebunden ist. Solche Krankheit (Afleclio oeculta) ist entwe- der angeboren oder erworben. Fehler in der Entwicklung der „Zähne, der Geschlechts- theile sind angeboren, durch die crsle Bildung bedingt, äussern sich aber erst zur Zeit des Zahnausbruchs, der Geschlechtsreife. Wie das Ei die Anlage des Individuums, das Kind die Anlage des Mannes unentwickelt enthält, so auch die Anlage patholo- gischer Bildung und so gewiss eine materielle Differenz besieht, zwischen dem Keim der zum Mann und dem Keim, der zum 175 Weib wird, so muss auch eine materielle Verschiedenheit, also eine Krankheit, au dem Keime haften, der zur bestimmten Zeit, und ohne äussere schädliche Einflüsse, eine Krankheit aus sich entwickelt. Die äussern prädisponircmlcn Ursachen solcher Krankheit haben aber nicht das Individuum selber, sondern seine Vorfahren getroffen. Keim und Samen sind von organi- schen Wesen gebildet, und an allgemeinen Krankheiten derselben müssen ebensowohl die Functionen der Fortpflanzung, als die der Verdauung, Blutbildung u. s. f. Theil nehmen. Krankheit der Eltern wird daher zur Anlage beim Kinde, d. h. zu einer Krankheit am kindlichen Körper, die um zur Krankheit der Ellern zu weiden ein gewisses Entwicklungsstadium erwartet oder noch begünstigender äusserer Einflüsse bedarf. Im letztern Falle ist gleichsam die Krankheit in dem Kinde noch nicht ganz vollendet; der elterliche Einfluss reicht nicht weit genug und es ist noch ein Supplement von Einflüssen nothwendig. Reine Krankheiten haben keine prädisponirenden Ursachen; nur in Einem Falle, nämlich bei den miasmatisch- conlagiöscn, wenn es gewisser Bedingungen bedarf, damit eine chemische oder organische Schädlichkeit einwirken könne, kann man die Ursachen, welche solche Bedingung setzen, prädisponirende nen- nen. So sind vielleicht deprimirende AfFecte, Diät fehler und dergl. im Verhällniss zu herrschenden epidemischen Krankhei- ten anzusehn. So zählt man selbst unter die prädisponirenden Ursachen zu Luxationen gewisse Stellungen der Glieder, in welchen die mechanische Gewalt leichter die Verrenkung voll- bringt. Die Affcclion, welche eine einfach und Einmal wirkende Schädlichkeit erzeugt, ist speciGsch von derjenigen verschieden, welche dieselbe Schädlichkeit, allmählig oder nach andern Po- tenzen wirkend hervorbringt, weil schon der erste Einfluss die organische Materie verändert und also der zweite nicht mehr die gesunde Materie trifft, sondern eine umgestaltete, mit andern Kräften und Reactionen. Die Folge eines heftigen Drucks ist Entzündung, die Folge eines massigen anhaltenden oder häufig wiederholten Drucks Degeneration, vielleicht Scirrhus. Aus demselben Grunde wird nicht blos der Verlauf, sondern es wer- den selbst die Symptome einer Krankheit verändert, wenn die veranlassende Schädlichkeit fortwirkt. Der nächste Effect vom 176 Eindringen eines fremden Körpers ist Congestion oder Entzün- dung; bleibt der fremde Köper zurück, so reizt er fortwährend aber nicht ein gesundes, sondern ein entzündetes Organ: des- halb kann auch nicht die reine Entzündung mit ihren lypischen Symptomen fortdauern oder sich erneuen, sondern es entwickelt sich eine eigenlhümliche, nicht typische Krankheit, ein Ge- schwür, eine parasitische Geschwulst, wucherndes Fleisch. Unter den typischen Krankheiten verdient noch eine Klasse ausgezeichnet zu werden, die ich die wesentlich typischen nen- nen möchte, weil die Gesetzmässigkeit ihrer Symptome und ihres Verlaufs nicht allein in dem subjeetiven Factor, dem er- griffnen Organismus, sondern auch im äussern Factor, der krankmachenden Schädlichkeit, begründet ist. Dahin gehören die miasmatisch -contagiösen Krankheiten. Wofür mau auch das Miasma und Contagium halten möge, so kann man die eigentümlichen Verhältnisse im Verlauf der entsprechenden Fie- ber nur aus Eigentümlichkeiten der fiebererregenden Materie erklären. Ich will nicht wiederholen, was ich darüber oben p. 18 ff. gesagt habe. Nur mag noch bemerkt werden, dass eben von diesen wesentlich lypischen Krankheiten die gangba- ren Lehrsälze über den Verlauf der Fieber hergenommen sind. Ich kehre nunmehr zurück zur Beantwortung der Frage, in wiefern die Begriffe typisch uud nicht typisch den Be- griffen acut und chronisch entsprechen. Es ergab sich, dass weder die absolute Dauer, noch das begleitende Fieber Charac- tere sind, wonach die Krankheiten auf natürliche Art und ohne Verwandtes auseinanderzureissen, in Gruppen geschieden wer- den könnten. Anders ist es mit dem Typus. Ob der Verlauf gesetzmässig sei oder nicht, dies hängt, wie so eben gezeigt wurde, von der wesentlichsten Verschiedenheit, nämlich von dem ätiologischen Moment ab; es ist von unmittelbarem Ein- fluss auf die Bcurthcilung des ganzen Krankheitsprocesees, ja selbst auf die Behandlung, denn es ergiebt sich zunächst, dass diese bei nicht typischen Krankheiten auch auf Beseitigung der prädisponirenden Krankheit oder der foi {wirkenden Ursache ge- richtet sein müsse. Wenn man sich also, wie bisher geschehn, der Worte acut und chronisch bedienen will, um die beiden Hauptklassen der Krankheiten, welche die einfache Belrachtung vor allem Nachdenken geschieden hat, zu bezeichnen: so scheint 177 es passend, diesen Worten die Begriffe typisch und atypisch zu Substituten. Zufällig sind die typischen Krankheiten zugleich rasch ver- laufend uud die atypischen zugleich langsam, schleichend. Die wesentlich typischen sind rasch verlaufend aus Gründen, die sich ebenso wenig errat hen lassen, als die Gründe der längern oder kürzern Lebensdauer einer Thicr- oder Pilanzenspecies, und die übrigen sind es, weil die meisten kranlftnackenden Ur- sachen Congestion erregen, weil ferner im gesunden Körper Congestion nicht lange bestehen kann, ohne in Ausschwitzung und Entzündung überzugehn und wieder Entzündung nicht lange, ohne dass einer ihrer Ausgänge eintrete. Auszunehmen ist viel- leicht das Wechselfieber, welches oft Monate, selbst Jahre an- halten soll und überhaupt von unbestimmter Dauer ist. Allein es ist möglich, dass das Wechselfieber, wenn es atypisch auf- tritt, entweder durch die unbekannte Ursache unterhalten oder Symptom eines constitutionellen Leidens ist. Aus dem eben angeführten Grunde zerfallen die typischen und rasch verlaufenden Krankheiten meistens auch in bestimmte Stadien, deren Succession ein energisches Fortschreiten der Krankheit zur Genesung oder zum Tode andeutet. Auch hier macht das Wechselfieber wieder eine Ausnahme; die Perioden desselben sind sehr deutlich, nicht aber die Epochen oder Sta- dien. Es ist rhytmisch, aber nicht im erwähnten Sinne typisch, nicht acut. Wenn demnach das Wechselfieber den ätiologischen Ver- hältnissen nach zu den typischen Krankheiten gehört, so kann typisch und acut nicht ganz identisch gefasst werden: denn ob- gleich der Begriff acut mehr enthalten inuss, als die Angabe der Dauer, so scbliesst er doch jedenfalls die langsam verlaufenden Krankheilen aus. In diesem Falle würden also die acuten Krankheiten nur einen Theil der typischen umfassen, und zwar die miasmatisch -contagiösen, nebst den Congestionen und Ent- zündungen, deren Verlauf immer schnell und fortschreitend ist, und die auch bei einiger Heftigkeit gewöhnlich mit Fie- ber verbunden sind. So wird acut fast identisch mit inflamma- torisch, und der Sprachgebrauch hat diese Identität schon so weit anerkannt, dass auch die nicht typischen, im Verlauf con- stitutioneller Krankheilen erscheinenden Entzündungen als inter- Uenle. patli. Unters. Exacerbation symptomatisch oder die krampfhaften Contractionen überwinden endlich das Ilinderniss, oder bei der allgemeinen Depression lässt auch die örtliche krampfhafte Zusammenziehung nach, oder endlich die Entzündung, welche die Strictur veranlasste, endet zufällig im entscheidenden Augenblicke: der Darm wird wieder wegsam, die angehäuften Stoffe entleeren sich, die durch dieselben er- regten Symptome schwinden: die Exacerbation war kri- tisch, in dem einen Fall selbst Ursache der Genesung. Es gehn erst Blähungen ab, dann folgen Stühle und die Fäccs, welche Tage, Wochenlang zurückgehalten waren, 6ind breiig, im höchsten Grad zersetzt, wimmeln von Infusorien. Der Prac- tiker nennt dies eine kritische Ausleerung. Seine Erklärung des Falles ist die: Wir haben eine Darmentzündung vor uns, der Organismus reagirt gegen den Kraukhcitsprocess, daher Aufregung, endlich überwindet er; die Krankheit entscheidet sich durch eine ganz besondre Art von Secrelion, stinkende Ausleerungen. 2) Die kritische Exacerbation ist Zeichen einer in dem Krankkeitsprocess vorgegangnen Vcrändrung, die zur Genesung führen kaun. Dieser Fall unterscheidet sich von dem ebener- wähnten dadurch, dass die Exacerbation mit neuen Symptomen plötzlich auftritt, und dass diese, wenn auch die Krankheit vorher gelinde schien, eine bedenkliche Höhe erreichen, oder, was besonders täuschend ist, wenn die Krankheit vorher ört- lich war, eine Theilnahmc des Gesammtorganismus ausdrücken. Ein Furunkel äussert sich durch örtliche Geschwulst, ltöthe, Schmerz elc. Das Fieber fehlt oder ist gering, wenig beschleu niglcr Puls, wenig vermehrte Wärme. Plötzlich wird der kaum Kranke am Abend von Frost ergriffen, dem Hitze folgt, mit Appetitlosigkeit, Durst, Mattigkeit etc, Je nach der Hef- tigkeit der Krankheit halten diese Symptome auch einige Tage an, die Zunge erscheint belegt, es kömmt Kopfschmerz hinzu. 251 Am andern Morgen, oder nach einigen Tagen, bemerkt der Kranke einen Eiterpunkt auf der Spitze des Furunkels, dieser üfinet sich oder wird geöffnet. Die Eiterung verläuft nicht nur ohne allgemeine Symptome, sondern fast ohne örtliche und wenn wir sie nicht sähen und durch Berührung Schmerz erre- gen könnten, so würde uus der ganze Kraukhcitsprocess mit dem Fieber und der ersten copiöseu Entleerung von Eiter be- endigt scheineu. Dies Fieber, welches den Uebergang der Ent- ladung in Eiterung begleitet, nennt mau Eiteruugsficbcr. Sollte mau sich aber im Ernste vorstellen, dass die Empfindung ver- mehrter Wärme in den Ilautncrvcn oder die beschleunigte Be- wegung des Herzens oder der Kopfschmerz das ergossne Blut- serum dort im Furnnkel in Eiter verwandle? Wenn man nicht annehmen will, dass der Eiter im Blute gebildet und an der entzündeten Stelle nur abgelagert werde, was sehr unwahr- scheinlich ist, so kann man die genannten allgemeinen Sym- ptome nur von einer Veränderung ableiten, welche am Orte der Entzündung und bei der Einleitung der Eiterung die Ner- ven oder das Blut erfahren. Diese Thatsache wird übrigens sogleich im Zusammenhang mit einigen andern verwandten noch einmal zur Sprache kommen. Wenn nun innere Entzündungea Ursachen einer sogenann- ten allgemeinen Krankheit sind uud übersehu werden, weil die cbaracteristischen Symptome, oft selbst der Schmerz, fehlen; wenn diese Entzündungen in Eiterung übergehn und damit be- endigt sind, so kann man leicht dazu kommen, das die Eiterung begleitende Fieber, welches nur Symptom derselben ist, für Vorboten, ja für Ursache des Endes der Krankheit zu halten. Aber auch das Eiterungsfieber ist nicht immer kritisch, d. h. Vorbote eines günstigen Ausgangs. Wenn Eiter auf Hau ten gebildet wird und sich in Höhlen ergicsst, aus denen er entleert werden kann, so folgt Genesung und die Exacerba- tion war kritisch, wenn Eiter in die Substanz edler Organe abgelagert wird, so folgt chronische Krankheit oder der Tod und die Exacerbation war symptomatisch. Ja, es kann das Eiterungsfieber selbst durch seine Helligkeit tüdtlich wer- den, oder wenn das Blut so sehr verändert ist, dass die Er nährung der Ccnlralorganc mehr leidet, als mit dem Leben 252 verträglich ist. Dann sagt man, die Natur sei der kritischen Anstrengung erlegen. HI. Welche Bedeutung nahen die kritischen Sc- cretionen. 1) Die kritischen Secretioncn sind wirklich kritisch in eini- gen Fällen, wo die Absonderung, zwar durch die Krankheit selbst und nicht durch die Heilkraft der Natur erregt, doch für die Genesung wirkt. Die ausgeschiedne Materie kann wirklich Ursache der Krankheit oder mancher Krankheitsphänomene ge- wesen sein, z. B. bei kritischen Blutungen, oder wenn in all- gemeinen Krankheiten des Blutes die in demselben gebildeten Materien (Harnsäure, Gallenpigment) die pathologischen Erschei- nungen veranlassten. Auch wenn die Krankheit von Uuterdrük- kung einer Secretion entstand, ist diese Sccrelion, wenn sie wieder eintritt, kritisch. In den angeführten Fällen endlich, wo eine Krankheit dadurch günstig endet, dass die Erregung sich einem Absoudcrungsorgan mittheilt und durch Secretion dem gereizten Theile Blut entzogen wird, in diesen Fällen ist die Secretion kritisch. So ist der Schweiss kritisch bei Con- gestionen nach der Haut; Speichelfluss bei Congcstionen nach dem Kopf und namentlich nach dem Gehirn u. s. f. 2) Eine während der Krankheit und durch dieselbe ange- häufte sccernirlc Materie wird entleert, nachdem die Krankheit gehoben, z. B. die Fäces nach Darmentzündung, während wel- cher Verstopfung oder wässrige Diarrhöe bloss aus dem Dick- darm Statt fand. 3) Die Ausscheidung der kritischen Materie ist pathoguo- monisches Symptom des letzten Stadiums der Krankheit. Da- hin gehören die eitrigen Exsudationen nach Hautentzündung auf hinein Häuten (denn den äusserlich sichtbaren Eiter hält ohne- hin Niemand für kritisch, sondern für ein Kraukhcitsproduci); mit der Exsudation ist zwar die Krankheit nicht beendet, aber oft sind es ihre allgemeinen Symptome. Ferner gehört dahin die als Schleim (Sputa coeta) ausgeschiedne abgeschuppte Ober- haut von der kranken Fläche und von dem ganzen Tractus der mit derselben zusammenhängenden Haut. Auch diese Materie wird nur bei inneren Krankheiten für kritisch gehalten; die Absehuppung der Haut nach Scharlach, Kothlauf etc. gilt all- gemein als Folge, nicht als Krise der Krankheil. 9:'»?. 4) Die kritische Ausleerung ist Zeichen wiederkehrender Thäligkcil in Organen, deren Thätigkcit unterdrückt war, aus allgemeinen oder örtlichen Ursachen. Wenn während der Krank- heit wegen ahnonncr Beschaffenheit des Blutes oder wegen sym- pathischer Afl'cction des Nervensystems auch die absondernden Organe ihre Thäligkeit einstellten, so kehrt am Ende derselben mit dem normalen Gemeingefühl, mit dem Verlangen nach Speise, kurz mit den Symplomcn des gesunden Lebens auch die Function der Drüsen zurück; die Folge derselben ist Aus- scheidung. Die Secretc werden allerdings an den gewöhnlichen Excretionsstoffcn reicher sein, als andre. Aber die Excrclion ist nicht Grund der Beendigung der Krankheit. In Fiebern hört auch die Thätigkcit der Gcschlechtsthcile auf. Tritt nach der Genesung eine reichliche Pollution ein, so wird Niemand be- haupten wollen, dass die Excretion oder Pollution kritisch sei. Solche Excrefionen müssen, wenn sie kritisch sein, d. h. das Ende der Krankheit anzeigen sollen, die normalen Stoffe, viel- leicht in erhöhter Quantität enthalten und daran hat man die Mittel, kritische Excretionen von symptomatischen zu unter- scheiden. Kritisch heisst der Urin, wenn er Harnsäure in ver- mehrtem Maasse enthält (Sedimentum laferilium), der Schwciss, wenn er, wie normaler, warm und duftend ist. 5) Die Ausleerung ist durch Antagonismus zufällig verän- dert. Nach reichlichen Seh weissen ist der Wassergehalt des Urins vermindert, die Menge der Salze relativ vermehrt und deshalb vermag der Urin dieselben beim Erkalten nicht aufge- löst zu erhalten. Wer kritische Materie sucht, kann sie auch in solchem Urin sehn. Er Godct sie nach jedem bedeutenden Fieberschwcisse. Aber ich kann versichern, dass der Urin nach jeder heftigem Bewegung, wobei der Körper in Transpiration gcrälh, z. B. nach einer durchtanzten Nacht, nach jedem Auf- enthalt in einem sehr erwärmten Raum ganz ebenso kritisch aussieht, wie nach einem Wcchselüebcranfall. Man warnt all- gemein, dem Urin keine kritische Bedeutung beizulegen, dessen Wassergehalt durch Getränke zufällig vermehrt ist (Urina po- tus). Man sollte aber ebenso wenig Werth auf einen Urin le- gen, welchem zufällig, durch Diaphorcsc, Wasser entzogen ist. 6) Endlich darf ich die geraachteu Krisen nicht ganz mit Stillschweigen übergehn. Secretion befördernde Mittel wirken 254 oft nicht während der Krankheit, wie ein Blascnpflaster in asthenischen Fichern die Haut nicht röthet, sondern die Ent- zündung darauf erst nachträglich, am Ende der Krankheit er- folgt. So machen wir Krisen durch Purgantia, Diaphorefica, da die Mittel, welche während der Krankheit umsonst gereicht wurden, ihre Wirkung am Ende derselben äussern. Wenn ich nunmehr die Krisen aus einem Gesichtspunkte, der von dem gewöhnlichen verschieden ist, betrachten muss, so verlieren darum die kritischen Phänomene nicht ihren Werth für die Prognose in der Praxis. Wenn A und B erfahrungsmäs- sig immer zusammen auftreten, so ist es eins, ob A durch U, B durch A, oder beide gemeinschaftlich durch ein drittes be- dingt sind; immer kann ich, wenn A erscheint, die Gegenwart von B crschliessen. Man kann also die Krise im Allgemeinen betrachten als Symptom, dass die Krankheit eine ge- wisse Stufe ihrer Entwicklung erreicht habe oder demnächst erreichen werde, durch welche sie in Ge- nesung übergeht. Auf die Behandlung mag indess eine veränderte Ansicht von den Krisen nicht ohne Einfluss bleiben, und dieser ist um so mehr zu hoffen, da ohnehin die Praxis unsrer Tage schon auf anderm Wege zu der Einsicht gelangt ist, dass Eingriffe in acute Krankheiten, wodurch Krisen erzwungen werden sol- len, wenn nicht schädlich, doch unnütz sind. Arten des Fiebers. Ich habe in dem Complex der Wärme- und Källcsym- plomc gleichsam das Ideal des Fiebers geschildert. So voll- ständig und gleichförmig entwickelt kömmt dasselbe in der Na- tur selten und vielleicht nur in ganz exquisiten Anfällen von Inlcrmiltcns vor. In der Regel sind, nach der Natur der äus- sern Einwirkung, nach besondern Verhältnissen der Constitu- tion u. s. f. einzelne Erscheinungen vorherrschend, andre mehr zurückgedrängt, verdunkelt. Bald ist es eine constante Succcs- sion der Symptome des Frostes und der Hitze, bald sind es allein die erstem oder allein die letztem, die mit dem Namen Fieber belegt werden. Zuerst ist zu erinnern, dass keine strenge Grenze zu ziehn ist zwischen Fieber und derjenigen Reaction in der Form der 255 Kälte- und Wärmesymptome, die noch für gesund oder phy- siologisch gehalten wird. Auf eine Gemüthsaufrcgung z. B. er- scheinen sie hei dem einen vorübergehend, bei nervenschwachen Personen dauern sie einige Stunden, hei andern endlich kömmt es zu einem typischen Wechsel- oder Nervenfieber. Zur Zeit der Verdauung empfindet mancher gar nichts, mancher ein leich- tes Frösteln, andre bekommen rothe Wrangen und heissc Hände und IJcctischc einen förmlichen Fieberanfall. Einen vorübergehenden, ü»it einem einzigen Anfall been- digten fieberhaften Zustand, welcher Folge einer vorübergehen- den Erregung ist, nennt man Heizfieber, und man kann sagen, dass kaum irgend eine bedeutendere, locale Veränderung im Körper möglich ist ohne Fieber. Aber eins ist wesentlich, damit Fieber entstehe; die Veränderung muss rasch, ja plötz- lich erfolgen. Und hierin zeigt sich das Fieber wieder ganz als eine Aeusscrung des Ncrvcnlebens. Eine Eigentümlichkeit des Nervensystems, welche sich auch auf die psychischen Functio- nen erstreckt, ist die Wirkung der Contraste, der Ueberraschung. Jeder Reiz wirkt nach der Ruhe und im ersten Augenblicke stärker, und qualitativ entgegengesetzte Reize erhöhen wech- selseitig die Erregbarkeit für einander, wie man wenigstens von den Sinnen weiss. Man liebt deshalb Contraste, weil sie den Gcnuss erhöhen, aber man fürchtet sie auch, weil die organi- schen und namentlich die sympathischen Wirkungen einer über- raschenden Reizung leicht zu heftig werden. Bekanntlich kann nach langem Aufenthalt im Dunkeln ein nicht übermässiges Licht das Auge für immer lähmen. Die sympathischen, krampf- haften Bewegungen, w7ie das Lachen, Zusammenschrecken auf psychische und sinnliche Reize treten nicht leicht ein, wenn der Reiz nicht überraschend wirkt. Dasselbe Wort, welches plötzlich gesprochen den ganzen Symptomencomplex des AfFcctes erregt, das Blut in die Wangen treibt, den Herzschlag verän- dert, die Muskeln lähmt u. s. f. wird nach einer geschickten Vorbereitung nur geringe Erregungen bewirken. Alles dies ist weltbekannt und so auch, wie bei krankhafter Reizbarkeit, bei Neigung zu Krämpfen und hysterischen Zufällen gerade die raschen Ucbergänge in äussern Reizen vermieden werden müssen. Auch das sympathische Fieber entsteht nicht, wenn das Nervensystem auf einen Reiz vorbereitet ist, es entsteht nicht 256 von langsam zunehmenden Entartungen der organischen Materie, von alhnählig eingeleiteten Veränderungen des Blutes, an wel- che das Nervensystem sich gewohnen konnte. Doch hat, wie sich von selbst versteht, die Gewöhnung ihre Grenzen, und eine bedeutend heflige Reizung kann selbst nach gehöriger Vor- bereitung ebenso wirken, wie eine massige, unvorbereitet. Es erklärt sich hieraus, warum gewöhnlich nur acute, d. h. rasch eintretende und rasch verlaufende Krankheiten mit Fieber hegleitet sind und ferner, warum gewöhnlich und auch bei langsam verlaufenden Processen das Fieber nur im Anfange zugegen oder wenigstens im Anfange besonders stürmisch ist. Eine leichte Halsentzündung, ein Schnupfen oder Catarrh u.dgl. tritt oft mit Fieberbewegungen auf und verläuft dann weiter, wenn sie sich gehörig entwickelt hat, fieberlos. Erst wenn die Krankheit ihren Charakter ändert, wenn ein neuer Process, die Eiterung, beginnt, findet wieder eine sympathische Erregung der Centralorgane Statt und auch diese begleitet nur die Ein- leitung der Eiterung. So vernehmen wir auch im Geräusche des Tages, wenn eine Thurmuhr schlägt, oft sehr deutlich den ersten Schall und sind nicht im Stande, die übrigen zu ver- folgen und in der Nacht scheint uns der erste Schall laut und nah und die folgenden schwach und ferner. So macht uns die Berührung eines kalten Körpers im ersten Augenblick schaudern und wird dann gleichgültig ertragen. Auch diese Erfahrungen sind auf manchfachc Art missdeutet worden. Bald sieht man das Fieber als eine allgemeine Krankheit an und die örtliche Krankheit, welche mit Fieber eintritt und ohne Fieber weiter verlauf, für die Krisis, d. h. für die Folge des Fiebers. So z. B. wenn die erste, noch kaum an der Oberfläche merk- liche Entzündung einer Impfpustel mit Fieber begleitet ist, so hält man dies Fieber für eine allgemeine Krankheit, erzengt durch Aufnahme des Impfstoffs ins Blut und die fernere Ent- zündung der Impfpustel für die Folge des in ihr aus dem Blut wieder abgelagerten Impfstoffs. Bald betrachtet man das Fie- ber als Zeichen einer Anstrengung der Natur, wodurch sie das pathologische Product bildet und mitunter auch pliysiologischc Pioducle zu bereiten habe. Das Fieber begleitet nämlich nicht nur die Bildung des Eiters, sondern auch die Bildung der Milch, des Magensaftes u. A. 257 So sicher man aber in vielen Fällen behaupten kaun, dass das Fieber von örl liehen Veränderungen abhänge, so schwer ist es in allen, den Weg zu bestimmen, auf welchem das Local- leiden die Ccntralorgane in Mitleidenschaft zieht. Bei der engen Wechselwirkung, in welcher im Organismus alle Thcile mit einander und Damenilich das Blut mit den Nerven sieht, lassen sich alle Vorgänge eben sowohl durch Vcrmitlclung des Blutes als durch Nervensympalhie erklären und ich kann für jetzt nichts weiter thun, als die Gründe, welche mehr zu Gunsten der einen oder andern Erklärung sprechen, nebeneinander hin- stellen. So wird sich wenigstens zeigen, welche Momente be- nutzt werden könnten, um über dieses dunkele Gebiet mit der Zeit Licht zu verbreiten. Es ist festzuhalten, dass die allgemeine Affection der Cen- tralorganc, wie sie 6ich im Fieber kund giebt, in letzter Instanz einerseits durch Irradiation von ccnlripctaleu Nerven oder auch vom Sensorium, andrerseits durch eine gewisse Umänderung der Blutmischung bediugt werden kann und es fragt sich, ob im spccicllen Falle eine locale Krankheit dadurch auf das Rückenmark wirkt, dass sie die beiheiligten Nerven erregt oder dadurch, dass sie die Substanz des Blutes verändert. Ueberall, wo der örtliche Vorgang, welchen das Fieber be- gleitet, mit einer merklichen Erregung der peripherischen Nerven verbunden ist, ist die Möglichkeit nicht zu bestreiten, dass das Fieber durch Irradiation von den Nerven aus, sympathisch, ver- mittelt sei. So ist es bei entzündlichen und andern Schmer- zen; für diese Fälle kann man, wie J. Müller gelhan, das Fieber mit andern Erscheinungen der sogenannten Rellexfuuclion zusammenstellen. Es spricht aber gegen die Allgemeingültigkeil dieser Erklärung, dass Schmerz und Fieber bei Entzündung durchaus nicht in gerader Proportion stehn, wie denn eine Lun- geuentzüudung 0ft bei kaum merklichen Schmerzen das lief tigste Fieber erregt. Uud wollte man ceutripetale Nerven vor- aussetzen, deren Affection nicht als Schmerz empfunden werde, so ist gegen diese Hypothese zu erinnern, dass eine andre Hy- pothese dieselben Thatsachcn ebenso gut erklärt, eiue Hypothese, die ihrerseits nicht ohne factische Begründung ist. Dass durch eine locale, von aussen erregte Krankheit das Blut verändert werde, ist schon a priori gewiss; denn nur durch die gleich- Henle, path. UnUrs. äJ 258 zeitige Wechselwirkung mit allen Theilen wird das Blut in seiner Integrität erhalten; ein krankes Organ muss ihm andre Stoffe entziehn, andre in demselben zurücklassen, andre an das- selbe abgeben, als ein gesundes; jede bedeutende Absonderung muss das Blut verändern und die Veränderung sich im Herzen auf die ganze Blutmasse vertheilen. Aber wie roh auch unsre Kenntniss von den Allerationen der Blutmischung noch ist, so besitzen wir doch auch einen sinnlich erkennbaren Beweis der Veränderung desselben bei Iocaler Entzündung und Eiterung, ich meine die Speckhaut, Die Speckhaut ist, welches auch der Grund ihrer Bildung sei, Zeichen einer Alteration der Beimi- schung und wenn eine solche unter andern Umständen, wie in der Schwangerschaft, ohne nachtheiligen Einfluss bleibt, so lehrt dies, dass entweder die Erzeugung der Speckhaut von verschie- denartigen Veränderungen des Bluts abhängt, oder dass in der Schwangerschaft auch die Reaclion des Nervensystems eine andre ist. Sucht man in dem Blute den Grund des Reizfiebers, so ergiebt sich, dass das Fieber um so heftiger ist, je wichtiger das leidende Organ für die Blutbereitung. Es erklärt sich, wa- rum acute Krankheiten der Lunge, der Leber u. s. f. heftigeres Fieber erregen, als Krankheiten der Knochen, des Zellgewebes. Es wurde bisher nur solcher Fälle gedacht, wo die Um- wandlung des Blutes von einem localen Processe ausgeht, wie bei der Entzündung und Eiterung. Dahin scheint auch noch das Verdauungsfieber zu gehören. Die Zeit desselben trifft zu- sammen mit der Zeit der Magenverdauung und diese beruht in einer bedeutend vermehrten Thätigkeit der Magenschleimhaut, deren nächster Grund wieder die mechanische Reizung der Ma- genschleimhaut ist. Aus Beaumonl's berühmten Versuchen geht hervor, dass jede momentane mechanisehe Reizung des Magens die Absonderung seines eigentümlichen Secretes, des Succus gastricus, hervorruft. — Bei andern Gelegenheiten aber, wo eine Mischungsänderung des Blutes durch Fieber eingeleitet wird, oder vielmehr mit Fieber begleitet ist, scheint die Allera- tion der Blutmasse primär und allgemein zu sein und der lo- cale Process ist, eben so wohl wie das Fieber, erst die Folge der veränderten Blutmischung. Hierher gehört namentlich das Milchfieber. Die Bereitung der Milch hängt nicht allein von 259 einer erhöhten Thätigkeit der ßrusldrüsc ab; denn wenn diese aus irgend welchen Gründen unlbätig bleibt oder zu fungiren aufhört, so linden sich dennoch die charakteristischen Bestand- iheile der Milch, namentlich das Fell, ebenso gewiss im Blut, wie der Harnstoff oder das Gallcnpigmenl, wenn Nieren oder Leber die Ausscheidung dieser Stoffe unterlassen. Es kommen alsdann vicariirende Absonderungen zu Stande, welche, wenn sie auch nicht geradezu Milch sind, doch durch ihren Reich- thum an Fett der Milch gleichen*). Dass aber die Milchmeta- stasen nicht aus einer Aufsaugung der in den Brüsten be- reits abgesonderten Milch erklärt werden dürfen, hat schon Brandis in seiner trefflichen Abhandlung über Metastasen dar- gethan. Es präexistirt also zu einer gewissen Zeit die Milch ihren wesentlichen Bestantheilen nach im Blute, wie die Galle, der Harn u. A. im Blute präexistireu und die Brustdrüse ist das Organ, welches, der Regel nach, die Elemente der Milch aus dem Blute abscheidet. Die Erzeugung der Milch aber isl ein typischer Process, ein Process der normalen Ernährung und es gilt von ihm, was an einer frühern Stelle von der Ernährung überhaupt ausgesagt wurde: es ist die Milchsecrelion auch nicht, im Geringsten besser begriffen , wenn man sie sich unter dem Einfluss des Nervensystems oder besondrer organischer Nerven denkt. Aendert sich nun zu der bestimmten Stunde das Blut so um, dass ein Theil desselben zur Bereitung der Milch ver- wandt wird, so kann das veränderte Blut in derselben Weise fiebererzeugend auf die Centralorgane wirken, als wenn, von irgend einem der festen Theile aus, dem Blule neue Bestand- theile zugeführt worden wären. Das Nervensystem schafft nicht Milch und die Aufregung desselben ist nicht ein Beweis sei- ner Anstrengung, Milch zu bilden, sondern ein Leiden desselben durch die aus andern Gründen vermittelte Umwandlung des Blutes. Aehnliche fieberhafte Zustände zeigen sich auch bei andern typischen Vorgängen, z. ß. beim Durchbruch der Zähne. Diese wachsen in ihren Höhlen von Anfang an unter dem Einfluss desselben Gesetzes, welches den ganzen Organismus *) Schreger (fluidorum corp. animal. chemiae nosolog. speeimen Erl. 1800. p. 52.) fand auch Milchzucker in einer in das Peritoneum ergossnen, inilcharligen Flüssigkeit. 17* 260 aus dem Keime bildet, nicht durch ihre Nerven, sonderm mit denselben; zu einer gewissen Epoche dehnen sie sich gegen den Kieferrand aus und durchbrechen ihn und jetzt können von den sensibeln Nerven des Zahnfleisches aus allgemeine Sympathien enlstehn, Krämpfe oder Fieber. Niemand denkt daran, dass dieses Fieber die Zähne hervortreibe oder Symptom einer An- strengung des Organismus sei, wodurch er die Zähne ent- wickele. In demselben Causalnexus zur Bildung der Milch denke ich mir das MilchGeber, nur dass hier die Centralorgane nicht von centripetalen Nerven aus, sondern unmittelbar durch das Blut in Mitleideuschaft gezogen werden. Das Reizfieber haben wir bestimmt als einen von einer vorübergehenden Erregung abhängigen fieberhaften Zustand. Es ist daher mit einem Anfall beendet, welcher nicht leicht länger dauert, als 24 Stunden. Es ist deswegen auch, wie sich von selbst versteht, nicht rhytmisch, sondern anhaltend. Der Actiologie nach identisch, aber dem Verlauf nach ver- schieden ist das inflammatorische Fieber, welches bereits im Vorigen zur Erklärung des Zusammenhanges zwischen Fie- ber und örtlichem Leiden mit benutzt wurde. Der Unterschied des inflammatorischen vom Reizfieber liegt nur darin, dass jenes einen Krankheitsprocess von längerer und typischer Dauer be- gleitet und daher selbst eine längere und typische Dauer hat, ferner, dass der fieberen egende Vorgang heftiger ist und daher die Centralorgane sich nicht nach dem ersten Anfalle gewöhnen und beruhigen: der Unterschied ist also zum Theil nur ein quantita- tiver. Da das inflammatorische Fieber einen Zeilraum von mehre- ren Tagen umfasst, so ist es auch rhytmisch ; endlich da das Fieber nur Begleiterin eines Processes ist, der nicht im Nervensystem allein begründet ist, sondern seine eignen, anhaltenden Symptome hat, so ist die ganze Krankheit nicht aussetzend, sondern blos nach- lassend und man dürfte das inflammatorische Fieber gleich dem remittirenden setzen, wenn nicht, wie sich im Folgenden zeigen wird, auch die Krankheit, die ich Wechselfieber nennen werde, als remittirendes Fieber auftreten könnte. Das inflammatorische Fieber ist dasjenige, welches die acuten und intensivem Entzündungen begleitet und durch den localen 261 Eulzündungsprocess erregt ist, entweder, wie so eben gezeigt wurde, vermittelst der Nerven oder vermittelst des Blutes. Einige Arten desselben hat man längst richtig gedeutet, wie das Wund- fieber, das Fieber bei Entzündungen parenchymatöser Organe. Nicht so allgemein versteht man sich über diejenigen Krank- heilen, welche in einer Verbindung von Hautentzündung, na- mentlich innerer, und Fieber beruhn. Der Schmerz ist bei die- sen Entzündungen undeutlich und olmc bestimmte örtliche Be- ziehung, die objeeliven Entzündungssymplome sind verborgen oder wurden falsch gedeutet und so blieb nichts übrig, als die Zeichen des Fiebers, die Störungen der Function und am Schluss der Krankheit eine copiösere Eitersecretion oder Abstossung der Oberhaut, wclcbe beide wieder mit der normaleu Function der Schleimdrüsen, der Absonderung des Schleimsafts, verwechselt worden sind. Um aber den Verlauf dieser Kraukeiten richtig zu beurtheilen, werden wir wohlthun, 6ie mit Kraukheitspro- cessen zu vergleichen, welche in analogen Geweben an der Oberfläche des Körpers erscheinen, z. B. mit der erysipelatösen Entzündung der Haut oder besser noch mit der catarrhalischen Augenentzündung. Was wir an dieser wahrnehmen, ist in der ersten Zeit eine Gefässinjection, welche die Function des Auges stört, ein leichter Schmerz, welcher gegen Abend heftiger wird und, abgesehn von den rhythmischen Undulalionen, eine Zeitlang zunimmt. Dann bildet sich stellenweise Eiter, der das starke Epithelium des Bulbus in einzelnen Phlyctänehen erhebt, das zarte Flimmerhäutchen der Conjunctiva palpebrarum aber in Masse losstösst und wegführt. Der Schmerz ist mit der Eiler- bildung zu Ende. Der Eiter ist aufangs serös und sparsam, wird dann reichlicher und consistenter, vertrocknet leicht und verklebt das Auge gewöhnlich des Morgens. Endlich bilden sich die Eiterkügelchen zu neuer Oberhaut um uud das Auge ist genesen. Unter Umständen aber werden aus den Phlyctän- ehen Geschwüre, welche tiefer in die Substanz der Schleim- baut eindringen und chronisch werden können. Gewöhnlich verläuft die ganze Kraukheit fieberlos und nur wenn sie sehr heftig ist oder die Individuen sehr reizbar sind, ist die Tempe- ratur des Körpers und der Puls gegen Abend etwas fibrilisch. Dagegen nehmen die dem Auge benachbarten Nerven zuweilen an der Erregung Theil: es entstebo sympathische Schmerzen 262 der Schläfen- und Stirngegend, die man rheumatisch zu nennen pflegt. Man betrachtet dann die Augenentzündung als eine ca- tarrbalisch - rheumatische. Nicht selten pflanzt sich auch die Heizung, besonders im Anfange der Krankheit, auf die Thränen- drüsen fort und hier ist der Erfolg der Congestion nicht Ent- zündung, sondern sogleich reichliche Absonderung, Thränenfluss. Hierin haben wir, wie ich glaube, alle Data zur Erklärung der inflammatorischen Fieber, welche als gastrische, catarrhali- sche und ferner als gastrisch -rheumatische, catarrhalisch- rheu- matische im System aufgeführt werden. Auf der Respirations- schleimhaut ist die Gefässinjection , mit welcher die Krankheit auftritt, nicht merkbar; nur wenn die äussersten Grenzen des Schlcimhauttractus mit an der Krankheit Theil nehmen, wenn die Conjunctiva, der Naseneingang mit leiden, haben wir an diesen Stellen ein Mittel, das Verhalten der übrigen im Innern zu erschliessen. Den localen Schmerz vertritt ein Gefühl von Spannung, Hitze oder Trockenheit; mehr noch äussert sich die Reizung der sensiblen Nerven der Schleimhaut in den Reflex- bewegungen, Niesen und Husten. Noch findet keine Absonde- rung statt, oder sie ist serös, entweder dunner Eiter oder das Secret der Bronchialschleimdrüsen, welche ebenso sympathisch secerniren, wie bei Augenentzündung die Thränendrüse (Sputa eruda). Der Ausbreitung der Krankheit entspricht das Fieber, welches jetzt die vorwiegenden Symptome liefert und Morgens rcmiltirf, oft auch, bei geringerer Intensität, ganz aussetzt, wäh- rend die localen Symptome zwar remittiren, aber nicht völlig verschwinden. Zur bestimmten Zeit tritt Eiterung ein und der Eintritt derselben ist mit einem heftigem Reizfieber bezeichnet (Molimina critica). Die Sputa werden häufiger, bleiben aber noch eine Zeitlang serös, dann aber, wenn die Eiterung ordentlich im Gange ist, werden sie dick, gelb, reich an Eiterkörpereben ; zu- gleich erneuert sich das Pflasterepithelium derjenigen Regionen, welche bisher noch nicht Theil genommen haben, des Eingangs der Nase, des Rachens. Jener dicke, gelbe Eiter und diese dicken weissen Epitheliumstücke machen mit einander den Aus- wurf aus zu der Zeit, wo die Krankheit in Genesung übergeht (Sputa cocla, critica). Der sogenannte Schlcimauswurf dauert noch kurze Zeit während der Reconvalescenz; es kann aber die oberflächliche Eiterung chronisch werden oder auch stellen- 263 weise in die Tiefe dringen, dann ist die Genesung unvollkom- men, es bleibt ebroniseber Catarrh, ebronisebe Bronchitis zurück. Wenn die Entzündung der Schleimhaut liefer in die Bron- chien oder gar in die Lungeuzellcu hinabsteigt, so neigen sich ihre Charaktere zu denen der Bronchitis oder der Pneumonie. Man sagt in diesem Falle, es habe sich das Fieber mit Bron- chitis oder Pneumonie complicirt. Auch von der Gastro -Intcslinalschleimbaut sind nur die Endpunkte der directen Beobachtung zugänglich und nur an diesen, namentlich an der Zunge, lassen sich die objeetiven Phänomene der Entzündung erkennen. Die Zunge ist rotb, besonders au den Rändern, in der Mitte wird die starke Epi- dermis bald durch die Exsudation abgelöst, undurchsichtig, weisslich und bildet den sogenannten schleimigen Beleg der Zunge. Viel wichtiger sind schon hier die Störungen der Function, der Absonderung des Magen- und Darmsaftes. Die Schmerzen ' 6ind meistens stumpf, doch in gewissen Regioneu bei tiefem Druck bemerkbar. Aber fast nie fehlt der sympa« thische Kopfschmerz, und sehr gewöhnlich sind sympathische Krämpfe, Erbrechen, Colik und wenn der Herd der Entzün- dung liefer ist, Tencsmus. Was die Epiphora bei der Augen- entzündung, ist bei Gastritis der Speicbelfluss, welcher im An- fang mancher gastrischen Fieber oft ziemlich bedeutend ist, oder die wässrige Diarrhöe, aus dem Paucreas und den Schleim- drüsen des Darms, vielleicht auch aus der Leber. Wie im catarrhalischen, so siud auch im gastrischen Fie- her während der entzündlichen Periode die Symptome, welche die Theilnabmc der Centralorgaue bekunden, die wichtigsten. Sie wachsen in rhy Iniischer Bewegung bis zu dem Tage, an welchem sich die Eiterung etablirt und diesen Process begleitet ein Slurm, oder eine Reaction, welche die Krisis verkündet. Diese erfolgt unter schleimigen Diarrhöen, welche samiut der abgelösten Oberhaut des Darmes den Eiter entleeren. Im Munde und der Speiseröhre ergiesst sich der Eiter in einzelnen Punk- ten unter die festere Oberhaut; es bilden sich Aphthen, ein Zeichen, dass auch auf der übrigen Schleimhaut der Krank- heitsprocess geendet und Genesung eingeleitet ist. lu Ueber- einstimmng mit dem ganzen übrigen System nennt die Schule diese Aphthen kritisch und betrachtet sie als die Ursache 264 (Ter Genesung. Die Entzündung erstreckt sieb sehr Läufig auch auf die Lippen, die sich häuten und seihst auf die äussere Haut des Mundes. Auch hier wird dann zur Zeit der allgemeinen Eiterbildung Eiter in Pusteln erzeugt, ein kritischer Ausschlag. Es giebt Stellen im Darm, wo die oberflächliche Entzün- dung besonders leicht in Geschwürbildung übergeht. Berüchtigt ist in dieser Hinsicht das Ende des Ileum. Solche Geschwüre heilen langsam und veranlassen lange Nachkrankheiten, oft sind sie Ursache chronischer Diarrhöen und einer Phthisis intestinalis. In der ersten Abhandlung habe ich bereits des Autheils gedacht,, welchen die Speicheldrüsen und die Leber oft an den Krankheiten der Darmschleimhaut nehmen. Die Entzündung pflanzt sich von dieser auf jene durch die Ausführungsgänge in derselben Weise fort, wie der Tripper auf die Hoden übergeht. Wenn die Leber mit ergriffen ist, so mischen sich Symptome ihrer gestörten Thätigkeit mit den Symptomen des gewöhnlichen gastrischen Fiebers, und die allgemeinen Reactionen werden um so viel heftiger; dann ist das Fieber biliös. Die Entzündung der Speicheldrüsen ist bekannt unter dem unpassenden Namen der Parotideu. Sie zertheilt sich oder geht in Eiterung über und die Eiterung wird kritisch genannt, wenn Genesung folgt und symptomatisch, wenn der Körper erliegt. Die rheumatische Complication der gastrischen und catarrha- lischen Fieber hat einen dreifachen Ursprung. 1) Ist es eine sympathische Affection der Gefühlsnerven des Slammes nach den oben entwickelten Gesetzen des anatomischen Connexes. Die Haut des Nackens oder die Brustwände werden, wenn die Organe der Brusthöhle leiden, von einem fixen, rheumatischen Schmerze befallen, der nicht selten einer Pleuritis zugeschrie- ben wird. Bei gastrischen Krankheiten werden dagegen die Bauch wände, zuweilen auch die Schultergegend Sitz der sym- pathischen Schmerzen. 2) Dedolalion und herumziehende, all- gemeine, rheumatische Schmerzen sind mehr eine directe Wir- kung des Fiebers, indem die Erregung der Hautnerven hier und da zum Schmerze sich steigert. Characteristisch für diese rheu- matische Complication und zugleich ein Beweis für unsre Er- klärung derselben ist die vermehrte Congestion nach der Haut. Diese äussert sich bald durch die pathognomonischen, copiöseu Schweissc, welche im rheumatischen Fieber keine kritische Bc- 265 denlung Laben, bald durch Exsudation unlcr die Oberbaut, den bekannten Frieselausschlag, von dem man auch nicht viel Ga- tes erwartet, eben deswegen, weil er eine Folge der sympto- matischen Erregung der Centralorgane ist, und nicht, wie Aphthen und der besprochnc Ausschlag um den Mund, eine Fortsetzung der innern Entzündung. 3) Entzündung der Syno- vialhäule, welche vorzugsweise mit dem Namen der rheumati- schen bezeichnet wird, kann bei Eiterbildung in den Lungen anf dieselbe Weise entstchn, wie bei Endocarditis oder Eiter- bildung im Herzen und sie rührt also dort, wie hier, nach der herrschenden Annahme von Stockungen im Capillarsystcra durch Eiterkügelchen her. Hinsichtlich des Nervös- Werdens der gastrischen und ca- tarrhalischen Fieber habe ich dem, was ich früher im Allge- meinen bemerkte, nichts hinzuzufügen. Da sich nun in dem Wesen der gastrischen und catarrha- lischen Fieber und der catarrhalischen Augenentzündung eine so durchgreifende Uebereinstimmung zeigt, so darf man, wie ich glaube, das Wenige, was wir von der Aetiologie der letz- tern wissen, auf jene anwenden. Wir unterscheiden die Ursa- chen der catarrhalischen Augenentzündung in innere und äussere, und verstehn unter jenen gewisse langsam herbeigeführte, all- gemeine Krankheiten der Säfte, namentlich des Blutes, die sich in verschiednen Formen und an demselben Körper bald hier, bald dort offenbaren. Hier ist das Blut, welches die Organe ernährt, gleichsam der Entzüudungsreiz für dieselben, und be- stimmte Krankheiten haben zu bestimmten Organen eine speci- fische Beziehung. Wir kennen eine scrophulöse, eine gichti- sche, eine syphilitische Augenentzündung, eine Augenenlzündung, welche mit Störungen der Untcrleibseingeweide zusammenhängt, und es ist wahrscheinlich, dass auch Entzündungen der Respi- rations- und Verdauungsschleimhaut auf diese Weise aus allge- meinen Krankheiten eutstehn, besonders dann, wenn sie spora- disch vorkommen, oder wenn sie in gewissen Zeitabschnitten in demselben Körper sich wiederholen. Zu den innern Ursachen catarrhalischer Ophthalmien könnte man auch die Entzündungen benachbarter Theile rechnen, welche sich so leicht auf die Conjunctiva fortpflanzen. Jedes Chalacion ist bei 6eiüer Entstehung von Entzündung der Bindehaut be- 266 gleitet. Demnach könnica auch beschränkte Entzündungen des Darms und der Respirationsorgane oder ihrer Drüsen zu allge- meinerer Hautentzündung und somit zu gastrischem und catarrha- lischem Fieber Anläss geben. Die gewöhnlichen äusseren Ursachen der Augenentzün- geu, namentlich Verwundungen, werden nicht leicht auf die innern Schleimhäute wirken. Eine häufige Gelegenbeitsursachq zu Ophthalmie und zu remittirenden Fiebern aber ist Erkältung, deren Wirkungsweise sogleich noch etwas näher erörtert wer- den soll. Eine eigne Abtheilung unter den intermittirendeu Fiebern aus äusserer Ursache bilden die miasmatisch- contagiösen, bei welchen nicht bloss die locale Entzündung, sondern auch die Ursache der localen Entzündung die Mischung des Blutes ver- ändert. Aus diesem ätiologischen Gesichtspunkte habe ich die miasmatisch -contagiösen Fieber in der ersten Abhandlung be- trachtet. Jene Untersuchungen und die vorliegenden sollen ein- ander ergänzen und, wie ich hoffe, bestätigen. Zu dem Reizfieber und inflammatorischen Fieber kömmt als dritte Gattung das reine oder Wechselfieber. Ich verstehe darunter ein Fieber, welches nicht von einer andern örtlichen Krankheit sympathisch bedingt, sondern in einem primären Leiden der Centralorgane begründet ist. Dies zu vermuthen sind wir deshalb berechtigt, weil wir nichts anders, als die Fiebersymptome an dem Kranken wahr- nehmen, und weil während des Nachlassens derselben der Or- ganismus, wenigstens im Anfange der Krankheit, vollkommen gesund erscheint, ferner weil das Wechselfieber in der Gestalt der mannigfaltigsten Nervenkrankheiten auftreten kann. Ich lasse in dieser Angelegenheit, welche allein Resultat ärztlicher Erfahrung sein kann , einen erfahrnen Arzt für mich reden *). ,,Eine der merkwürdigsten Tbatsachen ist der Wechsel der Formen, welche das reine Wechsclfiebcr annimmt, nicht allein durch Aenuerung des Typus, sondern auch indem es besondre Theile des Körpers mit gleich regelmässiger Periodicität ergreift. *) Holland, medical notes and retlcctious. p. 332. 267 Ich glaube (fährt Holland fort) dass die Fälle, welche mit dem Wcchseliieber in Beziehung slchn, viel häufiger sind, als man gewöhnlich annimmt: dass eine solche Beziehung Statt finde, kann auf mehrfachem Wege bewiesen werden: 1) durch die regelmässige Periodicität dieser örtlichen Alleef ionen , 2) da- durch dass sie dem gewöhnlichen Wechsclfiebcr ent- weder folgen oder mit ihm alterniren, 3) durch die günstige Wirkung desselben Mittels für alle. Ich sah ein un- zweideutiges Beispiel des Ueberganges des regelmässigen Fiebers in Neuralgie bei einem Kranken, welcher binnen wenigen Mo- naten erst Wechselfieber, dann intermittirenden Kopfschmerz, dann einen ebenso regelmässig intermittirenden Schmerz an einem Knie bekam Diese Zufälle lösten einander ab und alle wurden durch China gehoben. In einer Familie wurden Bru- der und Schwester, welche beide im Frühling 1837 Scharlach und Influenza durchgemacht hatten, im Herbst von heftigen Schmerzen des Oberkiefers einer Seite befallen, welche, mit vollständigen Intermissionen, täglich um dieselbe Stunde wieder- kamen und dem Gebrauch der China wichen. In einem andern Falle sah ich kürzlich eine grosse und schmerzhafte Anschwel- lung der Mandeln jeden Tag zur nämlichen Zeit, welche durch China geheilt wurde. Ich sah mehrere Beispiele von Entzün- dung der Bindehaut, ebenso periodisch, ebenfalls durch China beseitigt, doch mit Neigung zu Rückfällen. Mir ist ein Kran- ker bekannt, welcher in derselben Stunde einen Tag um den andern von heftigem Durst gequält wurde, ohne andre Fieber- symptome. Das Leiden widerstand vielen Mitteln und wurde endlich durch China geheilt." So behauptet auch Jelle Banga von den holländischen epidemischen Wechselflebern*): „die Verschiedenheit in der Art und Heftigkeit der Symptome war so gross, dass mau ganz verschiedne Krankheiten vor sich zu haben glaubte. Sie beruhte darin, dass bei den verschiednen Kranken dies oder jenes Organ vorzugsweise ergriffen war; einige glaubten das Fieber im Kopf zu haben, andre im Leibe, andre bekamen eigenthümliche, nicht weiter zu beschreibende *) Verhandeling over de epidemische Ziekte, welke gedurende 1826 in de boordelijke Provincien der Niederlanden geheerscht heeft etc. Anist. 1828. p. 58. 268 Zufälle u. s. f." Holland hat die Gründe angegeben, welche zu dem Schlüsse berechtigen, dass eine intermitlirende Krank- heit dem Wesen nach mit Wechselfieber identisch und also, wie man sich ausdrückt, ein larvirtes Wechselfieber sei. Dar- aus ergiebt sich aber zugleich, dass nicht jede jntermittirende Krankheit mit diesem Namen belegt werden darf. Da es über- haupt in der Natur der Nervenkrankheit liegt, rhylmisch zn sein, so kann auch aus andern Ursachen, als den fiebererzeu- genden, ein rhytmisches Leiden entstehn , und es giebt deren, wie die Erfahrung lehrt, welche der China nicht weichen, ja durch dieselbe verschlimmert werden. Ich hatte mehrmals Gelegenheit daran zu erinnern, wie durch primäre Erregung sensibler Nerven Coogeslion entsteht und wie aus dieser Congestion sich bald Blutung, bald Abson- derung, bald ein oberflächlicher Entzünduugsprocess entwickelt, oberflächlich, weil die Nerven sich an der Oberfläche der Häute peripherisch entfalten. Es erklärt sich daher, wie nicht nur Neuralgie, sondern auch Blutungen und Profluvien (Epiphora, Diarrhöe) statt der gewöhnlichen Fiebersymptome auftreten, ferner, wie ein reines Wechselfieber den remittirenden mit der Zeit ähnlich wird. Wie die Fieberhitze mit vermehrter Secre- tion der Schweissdrüsen oder Friesel und selbst erysipelatöser Entzündung der äussern Haut endigt, so muss wässrige Abson- derung innerer Häute und Exanthem auf denselben zu Staude kommen, wenn die Erregung in Nerven innerer Häute Statt findet. So kann nach und nach auch bei reinem Fieber ein Zustand der Darmschleimhaut zu Staude kommen, welcher sich durch den Zungenbeleg und die Symptome gestörter Function als Gastricismus, d. h. als oberflächliche Entzündung der Ga- stro-Intestinalschleimhaut zu erkennen giebt und die Diagnose des reinen und ursprünglichen Fiebers vom gastrischen schwie- rig macht. Es fehlt aber viel, dass der von uns vorausgesetzte idiopa- thische oder primäre Ursprung des Wcchselfiebers eine ausge- machte Thatsache sei. Drei Ansichten sind darüber im Umlaul, welche wir nach einander kurz prüfen wollen. Nach der einen Ansicht wäre das Wcchsellieber Symptom der Theilnahnic des Organismus au einer Krankheit der Milz; Vcrgrösscrung der Milz ist eine der couslauteslen Erschcinun- 269 jrcn im Wechsel lieber und sie echeiot in der Thal die Ursache mancher Nacbkränkheijen, namentlich des allgcmeiu cacheeli- schen Zustandes und der Wassersucht zu sein. Dass aber das Milzlcidcn Ursache des Fiebers sei, ist nichts weniger als er- wiesen. Es ist nicht erwiesen, dass die Ursache des Fiebers geeignet sei, zunächst auf die Milz zu wirken; es ist nicht er- wiesen, dass die Anschwellung der Milz gleich im Beginn der Krankheit vorhanden sei; es ist endlich keine Thalsache vor- handen, welche für eine solche Beziehung zwischen Milz und Rückenmark spräche. Dagegen kann sehr wohl die Krankheil der Milz vom Rückenmark aus seeundär vermittelt sein, oder es kann die Fieberursache, wenn sie durch Alteration des Blu- tes wirkt, gleichzeitig auf Milz und Rückenmark influiren. Angenommen, dass Milzkrankheit Ursache der Intcrmiltens sei, so könnte wieder die Milz durch ihre Nerven oder durch eine Alteration des Blutes die Cenlralorgane in Mitleidenschaft ziehn. Ich gehe nicht weiter auf diese Frage ein, die uns nur von Vermuthung zu Vermulhung führt. Eine zweite und am meisten verbreitete Hypothese erklärt das Wechselfiebcr für eine allgemeine Krankheit, d. h. Krank- heit des Blutes. Wenn wir nicht voraussetzen wollen, dass irgend eine unbekannte örtliche Störung oder, nach der eben vorgelragnen Annahme, eine Krankheit der Milz das Blut um- wandle, so müsste eine Schädlichkeit unmittelbar von aussen in dasselbe gelangen, welche, mit dem Blute circulirend, die Cen- tralorgane afficirt. So würde es begreiflich, dass das Fieber, obgleich ursprünglich in einer Alteration des Blutes begründet, sich nur iu Symptomen äussert, welche vom Nervensystem herrühren. Diese Ansicht wird unterstützt durch eine zweite, aber ziemlich allgemein reeipirte Hypothese vom miasmatischen Ursprung des Fiebers. Man denkt sich unter Miasma einen or- ganischen oder chemischen Stoff, welcher aus dem Boden ent- steht und dem Körper mitgetheilt wird. Die Alten Hessen die- sen Stoff während der Krankheit im Körper verweilen und durch Krise entfernen; die Neueren haben den letzten Theil der Hypothese aufgegeben, ohne recht klar darüber zu sein, was aus dem zurückgebliebenen ersten Theil werden sollte. Es ist nur zweierlei möglich: entweder bleibt das Miasma bis zur Ge- nesung im Blut und dann ist das Wechselfieber ebenfalls seinem 270 Wesen nach ein Reizfieber, analog dem Eiter- Milchfieber u. A. und müsste jeden Augenblick aufhören, sobald die Reinheit des Blutes wieder hergestellt wäre, oder das Miasma dient nur, nach Art der Entzündungsreize, einen Process einzuleiten, der auch nach Entfernung der Ursache fortschreitet. Dann ist also nicht das im Blut befindliche Miasma, sondern eine durch das- selbe gesetzte Veränderung der festen Theile, die nächste Ur- sache des Krankheitsprocesses; dann ist das Fieber ein essen- tielles in uuserm Sinne, wovon sogleich. Ich habe bereits in der ersten Abhandlung erörtert, dass die Existenz eines Fiebermiasma als einer organischen oder chemischen Schädlichkeit weder durch directe Beobachtung, noch durch den Krankheitsverlauf bewiesen sei. Indess spricht eine Thatsache einigermaassen für die Existenz des Fieberreizes im Blut, nämlich die so vielfach bezeugte Erblichkeit des Wech- selfiebers*). Wir haben bis jetzt nicht Grund anzunehmen, dass andre Krankheiten, als Krankheiten der Säfte, auf den Embryo übergehen können, denn nur durch das Blut steht die Frucht nach der Zeugung mit der Mutter in Verbindung. Zuletzt wende ich mich "zu der dritten Ansicht, dass Wech- selfieber eine primäre Krankheit der Organe sei, von welchen die Fiebersymptome abhängen, dass also die Ursachen der Inler- mittens auch direct auf die Centralorgane wirken. Das Fieber in diesem Sinne habe ich essentiell genannt. Es verhält sich zum Reiz- und inflammatorischen Fieber ungefähr wie der idio- pathische Tetanus zum traumatischen und zum Tetanus von Vergiftung. Den Tetanus nennt man traumatisch oder sympa- tisch, wenn er von Verletzung eines Nerven entsteht; in diesem Falle kann er zuweilen durch rasche Beseitigung der Ursache vermittelst Durchschneidung des verwundeten Nerven gehoben werden und es zeigt sich dadurch, dass die Nervenwunde die eigentliche Krankheit ist, zu deren Symptomen der Tetanus gehört, wie ein Fieber zu den Symptomen einer phlegmonösen Entzündung. Dann giebt es einen Telanus, welcher von Ein- führung chemisch wirkender Stoffe ins Blut entsteht, von *) Die älteren Beobachtungen hat Baumgarten - Crusius ge- sammelt, Periodologie p. 244. Neuerdings wurden einige mitgetheift von Schupmann, Siebold's Journ. Bd. XVH. St. 2. p. 318. 27J Sfrychnin u. dgl., ein wahrer Hcizlotanus, wie «las Fieber von Wein u. dgl. Beizfieber ist. Der idiopathische Tetanus cutllicti ist Folge von Erkältung, also von einem allgemeinen Kindruck auf die Haulncrvcn; aber die Nerven, welche den Eindruck er- fahren, sind nicht örtlich, an der gereizten Stelle, krank, ßondern pflanzen die Reizung zu den Ccntralorganen fort und in diesen entwickelt sich ein Process, der nun sclhslständig weiter schrei- tet, ohne weder von einer localen Krankheit, noch von irgend einem schädlichen Stoff im Blut unterhalten zu sein. Ich nannte die Erkältung eine auf die Haut nerven wirkende Schädichkeit und muss diesen Ausspruch noch mit ein paar Worten rechtfertigen, denn der gewöhnlichen Ansicht nach ist Erkältung gleich Unterdrückung der Hautsccretion und wird zur Krankheitsursache, weil sie die Entfernung der Ausdünstungs- stoffe verhindert und Metastasen derselben veranlasst. Dass beides geschieht, ist gar nicht zu bestreiten; es zeugt dafür die vermehrte Urinsecretion, die wässrige Diarrhöe, welche nicht blos nach Erkältung, sondern nach langem Aufenthalt in der Kälte Statt finden. Aber die Stoffe, welche durch die gesunde Hautperspiration oder den Schweiss entfernt werden, scheinen nicht virulent genug, um durch ihr Zurückbleiben im Blute so schlimme Zufälle zu veranlassen. Geräth der Körper in Schweiss, so wird ja schon durch diesen mehr Hautsecret aus dem Blute ausgeschieden, als gewöhnlich: der Organismus wäre ohne jenen Schweiss gesund geblieben. Man kann sagen, es wäre ihm im ruhigen Zustande nicht möglieb gewesen, in vielen Stunden so viel seiner verbrauchten Stoffe durch die Haut abzugeben, als ihm jetzt in wenigen Minuten entzogen wird, und es sollten nach dem Aufhören des Schweisses dennoch mehr solche Stoffe im Blute zurückbleiben, als wenn gar nicht geschwitzt worden wäre? Man müsste also annehmen, dass diese erst während der Transpiralion, gleichsam für die Transpiration gebildet wür- den, dazu ist aber wieder kein Grund, weil die Unterdrückung bei gewöhnlicher Hautausdünstung oft ebenso nachlheilig ist, als während des Schwitzens. Wir sehn aber, dass es bei der Er- kältung überhaupt nicht auf die Quantität der Materie an- kömmt, die zurückgehalten wird, sondern auf die Schnellig- keit, womit der Zustand der Haut verändert wird. Auch die Erkältung wirkt als Ueberraschuog, um eo heftiger, je plötzlicher 272 der Ucbergang aus Wärme in Kälte, und um so allgemeiner, je mehr Theile des Körpers der Erkältung ausgesetzt sind. Was die ältere Annahme ganz unerklärt lässt, sind die örtlichen Erkältungen. Sollten Auswurfsstoffe im Blute die Krankheit be- dingen, so müsste diese an jedem andern Orte eher, als an dem erkälteten entstehn, da das Blut diesen sogleich verlässt; von jedem Orte aus müssten sich die Folgen einer raschen Abkühlung über den Körper verbreiten. Wir sehn, dass dem nicht so ist: einer örtlich beschränkten Einwirkung der Zugluft folgt oft ein ganz localer rheumatischer Schmerz, selbst rheumatische Entzün- dung; oder es folgt eine Krankheit in Theilen, die durch das Ner- vensystem mit der Stelle der äussern Haut sympathisch verbunden sind, z. B. Diarrhöe, wenn der Unterleib, Husten, wenn der Hals erkältet wird. Ich will keineswegs den Anlheil des Blu- tes an den Folgen der Erkältung ganz in Abrede stellen, zumal für die Fälle, wo bei allgemeiner Dyscrasie oder einer bestimmten PrädisposiJion die Haut wirklich Absonderungsor- gan pathologisch gebildeter Materien sein mag: aber für eine viel bedeutendere Krankheitsursache halte ich die plötzliche Veränderung der Substanz und Function der peripherischen Ner- ven. Wenn diese zu bedeutend ist, als dass der Nerve in der Ruhe sogleich normale Form und Mischung wieder gewinnen könnte, so entsteht eine Krankheit. Diese kann an dem ge- troffnen Nerven selbst erscheinen oder an einem sympathisch erregten oder, wenn der Einfluss allgemein war, an den Cen- tralorganen, z. B. als Tetanus. Unter den gewöhnlichsten Veranlassungen des Wechselfie- bers ist es von einigen gewiss, dass sie zunächst das Nerven- system treffen. Gemüthsbewegungen gehören zu den häufigem Ursachen des Wechselfiebers, und wenn man ihnen nicht zuge- stehen will, dass sie an und für sich Wechselfieber zu erregen im Stande sind, so ist ihr Einfluss auf Erzeugung von Recidi- ven unverkennbar. Aechte und larvirte Wechselfieber gehören zu den mannigfaltigen Krankheitsformen* durch welche die Hy- sterie , ein unzweifelhaftes Nervenleiden , sich kund giebt *). *) Auch dafür enthält die früher erwähnte Schrift vou Brodie, on local nervous affections, merkwürdige Belege. Vergl. z. B. die Fälle p. 28. 31. 273 Wenn Erkältung Wechsel fieber veranlasst, so geschieht es aus eben entwickelten Gründen durch die peripherischen Nerven. Danach wird es wahrscheinlich, dass auch der Fieberreiz xot J4o%ijv, das endemische oder epidemische Miasma, durch Alte- ration des peripherischen Nervensystems auf die Ccntralorganc wirke, in welcher Weise? bleibt freilich noch zu errathen. Die vierte und letzte Fiebergattung bildet das hectische. Auch über die Genesis dieses Fiebers stellen wir eine Reihe von Vcrmuthungen nebeneinander. Man kann dasselbe ansehn 1) als ein Verdauungsfieber, welches nur bei der allgemeinen Schwäche und Heizbarkeit des Körpers deutlicher hervortrete. 42) Als ein Reizficber, entweder von den Nerven des leidenden Theilcs oder durch Alteration des Blutes bei ausgebreiteter Eiterung sympa- thisch vermittelt. Das Reizfieber muss chronisch sein, da die zu Grunde liegende locale Krankheit einen chronischen Verlauf hat. 3) Man hat in neuerer Zeit die sogenannte Resorption des Eilers oder die Bildung von Eiter in den Venen auch von einer andern Seite als Krankheitsursache kennen gelernt, indem näm- lich die Eilerkügelchen in den Capillargcfässen ein mechanisches Hindcrniss des Kreislaufs und dadurch Grund zu Entzündung werden. Die Gegenwart der Eiterkügelchen im Blut erklärt viel, sie erklärt namentlich die Bildung seeundärer oder metasta- tischcr Abscesse. In Beziehung auf das hectische Fieber halte ich aber diesen Umstand für minder wichtig, als er auf den ersten Blick scheinen möchte. Die Eiterkügelchen erregen, wo sie im Kreislauf stocken, Entzündung und Eiterung; diese müsstc auch in den Ccntralorganen sich zeigen, wenn die Ei- terkügelchen Grund des Fiebers wären; aber weder die Sym- ptome, noch die Resultate der Leichenöffnungen sprechen da- für. Ferner können die Eiterkügelchen bekanntlich nur von den Lungen aus in den grossen Kreislauf gelangen; von Eite- rungen des grossen Kreislaufs entfalten sie ihre Wirkung in den Lungen. Ucctisches Fieber entsteht aber nicht bloss bei Ver- eiterungen der Lungen, sondern auch bei jeder consumirenden Eiterung im Gebiete des grossen Kreislaufs, wobei die Lungen gesuud sein können, obgleich sie es freilich in der Regel nicht sind. He nie, path. Unters. ^g 274 Welcher der erwähnten Vorgänge der Grund des hecUschen Fiebers sei oder ob mehrere derselben coneurriren, dies wird sich vielleicht mit der Zeit auf empirischem Wege ermitteln lassen, und ich schlicsse diese Untersuchung mit der Bemer- kung, womit ich sie einleitete: ihre Aufgabe konnte keine andre sein, als die Momente anzugehen , welche bei einer empirischen und physiologischen Behandlung des Gegenstandes zu erwägen sein werden. Gedruckt bei Julius SillenfeM, Bnre-Slrasse Ko 25. ISci August Hirschwald in Berlin ist erschie- nen und in allen Buchhandlungen zu haben: Brandt, Prof. Dr., J. F.", und Prof. Dr. J. T. C. Ratzeburg, medizinische Zoologie, oder getreue Darstellung und Beschreibung der in der Arzneimittellehre in Betracht kom- menden Thicrc in systematischer Folge. 2 Bde. (13 Ileflc) gr. 4o. Mit 64 sauber colorirlen Kupferlafeln. 1828 — 1834. Subscr.Pr. 17* Rlhlr. — — und Prof. Dr. J. T. C. Ratzeburg, Abbildung und Beschreibung der in Deutschland wildwachsenden uud in Gärten im Freien ausdauernden Giftge wachse, nach natürlichen Familien erläutert. (Erste Abtheilung, die Pha- nerogamen) 10 Hefte gr.4o. Mit 49 illum. Kupfcrtaf. 1834. Subscr.Pr. n. 9£ Rthlr. — — Dieselben, halbilluminirt. n. 5f Rlhlr. — — Dieselben, zweite Abtheilung, Cryptogamen, Gift- pilze, bearbeitet von P. Phöbus. 4o. Mit 9 illuminirtcn Kupfcrtaf. 1838. n. 3 Rthlr. Eschricht, D. F., Anatom. Untersuch, üb. d. Clione Borea- lis, gr. 4o. Mit 3 Kupfcrtaf. 1839. n. £ Rthlr. Gurlt, Prof. Dr., E. F., Lehrbuch der vergleichenden Physio- logie der Haus-Säugethicre. Mit 3 Kupfertafeln. 8o. 1837. 2i Rthlr. Hannover, A., de cartilaginibus, musculis, uervis auris ex- ternae. 4o. 1839. £ Rthlr. llcnlc, Proscct. Dr. F. G. J. , de membrana pupillari aliisque oculi membranis pellucentibus. C. tab. lith. 4o. Bonnae. 1832. n. | Rthlr. — — Uebcr Narcine, eine neue Gattung elcctrischer Rochen, mit 4 Steint. 4o. 1834. n. £ Rthlr. — — Symbolae ad anatomiam villorum intestinalium, impri- mis eorum ephithelii et vasorum lacteornm. Acc. tab. lith. 4o. 1837. n. * Rthlr. Krauss, G., Dr. Jules Gaerin's und Dr. Bouviers ge- krönten Werke üb. Orthopädie in ihren Ergebnissen be- trachtet. 8o. 1839. i Rthlr. Lessing, M. B., Handbuch der Geschichte der Medizin. Nach den Quellen bearbeitet, lr. Bd. gr. 8o. 1838. 2| Rthlr. (Der 2te Band ist unter der Presse.) Müller, Joh., Ueber die Compensation der physischen Kräfte am mcnschl. Stimmorgan. Fortsetz. u. Supplement z. Physiologie, gr. 8o. Mit 4 Kupfcrtaf. 1839. 1 Rthlr. Numan, Direct. Dr. A., Ueber die Brcmsenlarven, welche sich im Magen des Pferdes aufhalten. Aus dem Holland, frei übersetzt und mit Zusätzen versehen vom Prof. Dr. Hertwig., gv.8o« Mit illuminirtcn Tafeln. 1838. n. f Rthlr. Philipp, Dr., P. J., Die Lehre von der Erkenntniss und Be- handlung der Lungen- und Herzkrankheiten, Mit vorzüglicher Hinsicht auf die Auscultation - Percus- sion und die andern physiealischen Explorationsmcthodcn. Zweite, gänzlich umgearbeitete Auflage. 1838. gr. 80. geh. 2i Rtlilr. Schlemm, Prof. Dr. F., observationes neurologicae. C. 3. Tab. aen. 4o. maj. 1834. n. \ Rtlilr. Schmige, Dr. J., Adumbratio brevis morborum pilorum cor- poris humani. gr. 80. 1838. n. J Rlhlr. Schultz, C. II., sur la circulation et sur los vaisseaux latici- feres dans les plantes. 4o. avec23planches. 1839. n.3y Rthlr. — — de alimentorum concoctione experimenta nova. Iusti- tuit, exposuit, cum adversa digestionis organorum valetu- dine comparavit. C. tab. aeri incisa. 4omaj. 1834. 1TV Rthlr. — — Grundriss der Physiologie. 80. 1833. f Rthlr. Sobernheim, Dr. J. F., Praktische Diagnostik der innern Krankheiten mit vorzüglicher Rücksicht auf pathologische Anatomie, gr. 80. 1837. 1{ Rthlr. Vetter, Dr. A., Ueber den Gebrauch und die Wirkungen künstlicher und natürlicher Mineralbrunnen. Ein Beitrag zur Bcgründuug einer Pharmakodynamik der Mineralwäs- ser. 80. 1835. n. | Rthlr. — — Theoretisch -praktisches Handbuch der Heilquellenlehre nach dem neuesten Standpunkte der physiealischen und physiologischen Wissenschaften, so wie nach eigenen ärzt- lichen Erfahrungen systematisch bearbeitet. 2 Bde. gr. 80. 1838. geheftet 3| Rthlr. Accession noACK AuthorHenle, J. Pathologische Untersuchungen CaUno.19th cent RA651 H45 1840 * ' ,'